Das Leichenpuzzle von Anhalt. Bernd Kaufholz
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Die Fahndung wird auf andere Besatzungszonen ausgeweitet. Nachdem der Generalstaatsanwalt in Halle kategorisch ablehnt, das Verfahren gegen Bruno Priest einzustellen, erlässt das Amtsgericht Kölleda am 10. Mai 1948 gegen den Schlosser Bruno Priest Haftbefehl. Als aktueller Aufenthaltsort wurde laut der Akten Neukirchen im Kreis Ziegenhain bei Kassel in der amerikanischen Zone ermittelt.
Durch die Gendarmerie-Station Ziegenhain wird über die zuständige Staatsanwaltschaft in Marburg/Lahn einen Tag später mitgeteilt, dass die Fahndung in Neukirchen erfolglos war. »Unter der im Haftbefehl angegebenen Adresse, Bahnhofstraße 12, ist kein Bruno Priest gemeldet. Eine Person mit diesem Namen wohnt dort auch nicht.«
Der Haftbefehl und die Bitte um Fahndung gehen von Halle an das Kriminalpolizeiamt für die britische Zone in Hamburg. Aber auch dort ist nichts über den Gesuchten bekannt.
Obwohl die Staatsanwaltschaft sich intensiv um die Suche nach Bruno Priest bemüht und von der Kripo fast monatlich Ermittlungsberichte anfordert, läuft die Fahndung ins Leere. Die Brüder des gesuchten Mörders werden »aus der deutschen Gerichtsbarkeit entlassen«, aber nicht auf freien Fuß gesetzt. Ihnen war zwar weder im Zusammenhang mit den Schüssen auf den Polizisten noch mit dem Einbruchdiebstahl beim Friseur eine Straftat nachzuweisen, allerdings wird ihnen illegaler Waffenbesitz vorgeworfen, und der fällt unter Besatzerrecht. Sie warten im Polizeiarrest auf die Überstellung zum örtlichen NKWD, von dem sie zu mehreren Jahren Haft verurteilt werden. Erich Priest gelingt 1953 die Flucht aus dem Gefängnis Gräfentonna bei Gotha in Thüringen.
Am 20. November 1948 wird das Ermittlungsverfahren gegen Bruno Priest eingestellt.
In einem Schreiben des Oberstaatsanwalts der Stadt Halle an den Leiter der Mordkommission des Präsidiums der Saalestadt wird der Fall aber zwei Jahre später wieder thematisiert. Darin kritisiert der Oberstaatsanwalt, dass der Mord an den Polizisten immer noch ungesühnt ist, und erkundigt sich, ob die Ermittlungen gegebenenfalls wieder aufgenommen werden könnten. Die Antwort des Moko-Chefs lautet: »Infolge allgemeiner Arbeitsüberlastung konnten in der Mordsache Jöck bisher noch keine weiteren Ermittlungen getätigt werden.«
Zwei Jahre später wird der Fall ins Deutsche Fahndungsbuch des Bundeskriminalamtes aufgenommen. Allerdings lediglich als »Aufenthaltsermittlung«, da »kein beglaubigter Haftbefehl aus der DDR vorliegt«.
Die Jahre vergehen, und die Kriminalisten, die 1948 mit dem Polizistenmord in Bad Bibra zu tun hatten, gehen nach und nach in den Ruhestand. Fast 40 Jahre später, im September 1987, kommt dennoch ein letztes Mal Bewegung in den Fall. In einer »Verfügung« der Staatsanwaltschaft Halle an den Kripo-Leiter der Volkspolizei-Bezirksbehörde heißt es unter anderem: »In den folgenden Jahren sind die Fahndungsausschreibungen zur Verhaftung mehrfach verlängert worden, die letzte Verlängerung erfolgte 1984, ohne dass weitere Prüfungshandlungen vorgenommen wurden, ob Priest überhaupt noch am Leben ist.« Es wird darauf verwiesen, dass erneut Ermittlungen angeschoben werden müssen, um den Aufenthaltsort des Gesuchten festzustellen beziehungsweise die Frage zweifelsfrei zu beantworten, ob der inzwischen 70-Jährige noch lebe. Aus den Akten werden fünf Punkte zitiert, die mögliche Hinweise für die Ermittlungen sein könnten. Der vielversprechendste ist eine Liste mit Personen, darunter die Ehefrau Priests, die eventuell Angaben über seinen Verbleib machen können. »Die Ermittlungen müssten bis zum 31. Oktober 1987 abgeschlossen sein, da dann zu entscheiden ist, ob eine neue Fahndungs-/Verhaftungsausschreibung erfolgen muss«, endet das Schreiben an VP-Oberst Amler.
Einen Tag vor Ablauf der Frist wird der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass »die im Oktober geführten Ermittlungen (…) keine neuen Hinweise ergeben haben«. Es sei mit 16 Verwandten des Polizistenmörders gesprochen worden. Keiner der noch in der DDR lebenden Befragten habe ein Lebenszeichen vom Gesuchten erhalten. »Es kann vermutet werden, dass Bruno Priest nicht mehr am Leben ist«, schreibt Kripo-Major Löser.
Ende 1994 glaubt die Staatsanwaltschaft Halle, nach nunmehr 46 Jahren, die Identität Priests festgestellt zu haben. Staatsanwalt Wölfel schreibt in seinem Bericht am 30. Januar 1995, dass Recherchen im Falle des Polizistenmordes den »dringenden Verdacht« ergeben hätten, dass ein gewisser »Hugo Walter Heinz Freitag in Dortmund unter falschem Namen gelebt hat«. Doch auch diese Hoffnung zerschlägt sich. Eine Verwandte des Gesuchten identifiziert Priest auf den Fotos, die ihr vorgelegt werden, nicht.
Im Jahr 2000 wird die Fahndung endgültig eingestellt. Staatsanwalt Hendrik Weber beantragt 2007 eine letzte Frist für zehn Jahre. 2017 werden die Akten dem Landeshauptarchiv in Merseburg übergeben. Bruno Priest, der Polizistenmörder von Bad Bibra, wäre in dem Falle, dass er noch lebt, zu diesem Zeitpunkt 100 Jahre alt gewesen.
DER SACK UNTERM KOHLEHAUFEN
Richard Räder* sitzt am Freitag, dem 22. Mai 1953, im Kommissariat Kriminaltechnik in Halle Polizeimeister Rasch gegenüber. »Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagt der 43-Jährige. »Am 20. Mai ist meine acht Jahre alte Tochter Helga nicht nach Hause gekommen. Sie sollte gegen 10.45 Uhr für eine Mieterin unseres Hauses im Kuttelhof eine Brause kaufen. Von diesem Weg zur Herrenstraße ist sie nicht zurückgekommen. Ich weiß nicht, wo sie sein könnte.«
»Wer ist die Bürgerin, für die Ihre Tochter einkaufen sollte?«
»Es handelt sich um Fräulein Ruth Banse*, die in unserem Haus wohnt. Sie kam am 20. Mai zu mir und sagte, dass sie schon eineinhalb Stunden auf Helga wartet.«
Vielleicht sei sie bei der Hitze baden gegangen, vermutet der Vater. »Sie hat wie im letzten Jahr einen Dauerbadeschein und badet öfter im Pionierpark auf der Peißnitz.«
»Haben Sie ein Foto Ihrer Tochter dabei? Und dann brauche ich noch eine Personenbeschreibung«, sagt der Polizeimeister.
Räder zieht ein Foto aus seiner Brieftasche und gibt es Rasch. »Helga ist schlank. Sie hat hellblondes Haar, links gescheitelt. Ihre Augenfarbe ist graublau, ihr Gesicht eher oval.«
»Und das Gebiss?«
»Lückenhaft.«
»Was hatte Ihre Tochter an, als sie das Haus verließ?«
»Eine schwarze Turnhose und einen rosa Schlüpfer. Kein Oberteil und keine Schuhe.«
Nachdem die Vermisstenanzeige aufgenommen wurde, informiert Unterwachtmeister Hesse gegen 15 Uhr Wasserschutz- und Transportpolizei. Das Jugendlager auf der Peißnitz-Insel wird in Kenntnis gesetzt. Die Leitung kann allerdings nicht weiterhelfen. Helga ist dort nicht gesehen worden.
Helga Räder
Die Behörde in Halle schickt Fernschreiben an die Volkspolizeikreisämter in Bernburg, Merseburg, Eisleben, Köthen und Bitterfeld. Der Vorgang wird »zur weiteren Bearbeitung dem Kommissariat Allgemeine Kriminalität übergeben«.
Erste Ermittlungen in dem Vermisstenfall ergeben, dass das Mädchen das letzte Mal im Geschäft »Prenzlau« in der Herrenstraße gesehen wurde. Begleitet wurde sie dabei von der Tochter der Familie Krausche*. Die Freundin erzählt der Polizei, dass es im Geschäft in der Herrenstraße keine Limonade gegeben habe, und Helga dann ein paar Häuser weiter zum Konsum gegangen sei. Die Verkäuferinnen bestätigen, dass das Kind dort gewesen ist.
Else Räder*, die Mutter der Vermissten, antwortet auf die Frage, ob sie den Verdacht habe, dass jemand etwas mit dem Verschwinden Helgas zu tun haben könnte: »Eine Beschuldigung gegen jemanden