Das Leichenpuzzle von Anhalt. Bernd Kaufholz

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Das Leichenpuzzle von Anhalt - Bernd Kaufholz

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Peter Kohl den Haufen mit den vier Zentnern Kohle unterhalb des schmalen Fensters sieht, stöhnt er auf: »Da haben wir ja bis morgen zu tun …« Doch sein Freund ermuntert ihn: »Los, lass uns anfangen! Umso schneller sind wir fertig.«

      Die Jungs haben schon drei volle Körbe in den Keller der Kohls geschleppt und füllen gerade den vierten, da sieht Werner einen hellen Sack unter dem Kohlehaufen. Weil der Stoff ihnen beim Schippen im Wege ist, greift Peter danach und will ihn hervorziehen. Der Gestank, der den beiden Jungs augenblicklich entgegenschlägt, raubt ihnen fast den Atem. Entsetzt rennt der 15-Jährige nach oben zur Mutter und erzählt ihr von dem übelriechenden Fund.

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      Die eingewickelte Leiche des Mädchens von der linken Kellerseite aus gesehen

      Hildegard Kohl* geht mit ihrem Sohn in den Keller zurück. Auf dem Weg dorthin klingelt die 47 Jahre alte Schneiderin an der Wohnungstür von Familie Otte. Horst, der Sohn der Familie, öffnet. Aufgeregt berichtet Hildegard Kohl dem jungen Mann im blauen Trainingsanzug, was Peter und Werner gefunden haben. Hildegard Kohl, Horst Otte* und eine Nachbarin gehen zum Fundort der Leiche. Otte nimmt eine Schaufel und sticht damit ein paar Mal in den fast zerfallenen und verfaulten Zuckersack. Sie schauen sich den schaurigen Fund genauer an und sehen nun, dass an der Seite des Stoffbehältnisses eine Hand herausguckt. Kurz darauf verlassen sie den Keller, den Hildegard Kohl mit einem Vorhängeschloss sichert.

      Ein Mieter des Hauses verständigt die Polizei.

      Wenig später ist die Mordkommission vor Ort. Besonders interessiert Polizeiunterkommissar Baberowski und Polizeimeister Grothe ein 40 Zentimeter langes Beil. Schon mit bloßem Auge sind zwei Haare zu erkennen, die sich dort befinden, wo die Klinge ins Holzgetrieben ist. »Schau mal den Stiel an«, macht Baberowski den VP-Meister aufmerksam. »Das sieht doch aus wie angetrocknetes Blut …«

      Nachdem der zum Teil verklebte Sack entfernt wurde, entdecken die Mord-Ermittler eine Kinderleiche, um deren Hals ein dünnes Seil hängt. Blut- oder Kampfspuren werden in dem 18 Quadratmeter großen Raum nicht festgestellt.

      Am 5. August werden dem Vater der vermissten Helga Räder Teile der Kleidung vorgelegt, die bei der Leiche gefunden wurden. Bereits am Vortag hatte ihn die Kripo darüber informiert, dass seine Tochter mit hoher Wahrscheinlichkeit tot aufgefunden wurde. Er erkennt die Stoffproben vom rosa Schlüpfer und der ausgewaschenen schwarzen Turnhose. Als ihm eine Haarprobe gezeigt wird, bricht Richard Ruhland beinahe zusammen. »Ja, diese Haarfarbe hatte Helga«, laufen ihm Tränen über die Wangen.

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      Die Tatwaffe

      Zu diesem Zeitpunkt weiß die Mordkommission bereits Näheres über den Tod des Mädchens. Die Obduktion am Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität Halle hat ergeben, dass der Schädel »linksseitig hochgradig« zertrümmert wurde. Die Gardinenschnur vom Hals des Kindes sei »in typischer Drossellage vorgefunden« worden. Die Rechtsmediziner gehen von einem »gewaltsamen Erstickungstod mit wahrscheinlich folgender stumpfer Gewalteinwirkung in Form von Hieben mit der stumpfen Beilseite« aus. Ein Todeszeitpunkt sei aufgrund des hohen Verwesungsgrades nicht mehr festzustellen.

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      Links die Schnur, nachdem sie von der Leiche entfernt wurde. Daneben das Gegenstück der Gardinenschnur, von der die Schlinge abgeschnitten wurde.

      Was im Haus vermutet wird, damit hält Hildegard Kohl bei ihrer Zeugenvernehmung nicht hinterm Berg. »Für uns gibt es keine Frage: Als Täter kommt nur der Horst – Horst Otte – in Frage.«

      Als Unterkommissar Baberowski sie fragend anschaut, wird sie deutlicher: »Na, der hat sich doch im vorigen Jahr schon an ein Mädchen rangemacht. Er hat der Gisela aus unserem Haus, sie war damals 12 oder 13 Jahre alt, erzählt, dass er einen Brief für sie hat, und sie in seine Wohnung gelockt. Da hat er ihr den Schlüpfer runtergezogen und sie aufs Bett geworfen. Abgelassen von ihr hat er doch nur, weil sie sich gewehrt und laut geweint hat.«

      Noch am selben Abend wird die Schülerin der 7. Klasse im Beisein ihrer Mutter befragt. Sie erzählt, dass sie Anfang Mai 1952 nach Hause gegangen sei. »Aus der Gaststube kam der Horst. ›Du, deine Großmutter hat geschrieben. Ich habe den Brief in meiner Wohnung. Komm mal mit‹, hat er gesagt.« Sie habe an der Korridortür gewartet. »Horst hat gerufen: ›Komm mal rein!‹ Als ich in der Wohnung war, hat er mich an den Schultern gepackt und mich aufs Bett geworfen. Er versuchte, mir den Schlüpfer herunterzuziehen. Ich strampelte und schrie. Horst drückte mir die Kehle zu. Im selben Moment klapperte es an der Wohnungstür.« Horst Otte habe dann gesagt: »Ich lasse dich gehen. Aber nur, wenn du keinem was sagst.«

      Sie habe ihrer Mutter den Vorfall geschildert, unter dem sie »heute noch nervlich leidet«. »Meine Mutti hat dem Schulleiter, dem Sozialamt und unserem Schularzt die Sache erzählt. Eine Anzeige bei der Polizei hat sie nicht gemacht.«

      Polizeirat Düben befragt am 4. August kurz vor 22 Uhr Anna Otte*. Die 47-Jährige berichtet, dass ihr Sohn Horst kein leibliches, sondern ein Adoptivkind ist. »Ich kann keine Kinder bekommen, darum haben wir 1935 Horst adoptiert. Da war er vier Wochen alt.« Nach seiner Kochlehre habe der 18-Jährige in der Gaststätte mitgearbeitet. »Nachdem klar war, dass wir die Pacht kündigen, hat sich Horst bei der Volkspolizei beworben. Er wurde angenommen und ist seit einer Woche beim Betriebsschutz in Leuna.«

      Wie das tote Kind in ihren Keller gekommen ist, könne sie sich nicht erklären, sagt die Frau. Allerdings habe sie manchmal den Eindruck gehabt, dass der Keller offen gewesen sei. »Die Kohlen hochgeholt haben zumeist mein Sohn Horst oder die 23 Jahre alte Kellnerin Annemarie Zobel*.«

      Auf die Fragen des Polizeirates, ob ihr Mann irgendeine spezielle sexuelle Ausrichtung habe, und ob sie ihm einen Mord zutraue, antwortet die Wirtin: »Mein Mann ist sehr ruhig und nach der Arbeit immer sehr abgespannt und müde.« Einen Mord traue sie ihm auf keinen Fall zu.

      Auch ihrem Sohn Horst traue sie solch eine Gewalttat nicht zu. »In seinem Wesen ist er ruhig, zurückhaltend und verschlossen.« In »sexueller Hinsicht« sei ihr zu Ohren gekommen, dass sich Horst an einem Mädchen aus dem Haus »vergreifen wollte«. Genaueres sei ihr darüber nicht bekannt.

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      Polizeifoto des Täters Horst Otte, das nach seiner Festnahme gemacht wurde

      Am selben Abend muss Horst Otte auf die Fragen der Kriminalpolizei antworten. Nachdem die Leiche gefunden worden war, hatte er schnell seine Werkschutz-Uniform angezogen, um dadurch jeden Verdacht von sich abzulenken. Doch diese Strategie geht nur kurze Zeit auf, und bald schon gilt er bei der Polizei als Hauptverdächtiger.

      Er räumt auch gleich ein, dass er 1951 einmal für vier Tage im Jugendheim in der Fischer-von-Erlach-Straße »festgehalten« wurde. »Ich hatte eine junge Frau an der Saale überfallen und versucht, sie zu vergewaltigen. Aber die Polizei hat mich festgenommen, bevor es zur Notzucht kam. Weil ich noch jugendlich war, habe ich keine Strafe gekriegt.«

      »Das interessiert uns jetzt hier gar nicht«, fällt Polizeimeister Masthoff ihm energisch ins Wort. »Uns geht es hier einzig und allein um das tote Mädchen im Keller Ihrer Eltern. Und ich sage Ihnen gleich, um die ganze Sache abzukürzen: Sie haben ganz schlechte Karten. Bei Ihrem sexuellen Vorleben, das Sie hier ja gerade noch einmal angedeutet haben, und der Tatsache, dass Sie fast alleine Zugang zum Keller hatten, sind Sie hier der Hauptverdächtige.«

      Der

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