Great again?. Julia Kastein
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Donald Trump, der sein Talent zur telegenen Selbstinszenierung mit seinem TV-Hit »The Apprentice« verfeinert hatte, Trump, der Reality-TV-Star also, hatte nach holprigem Start seine neue Rolle gefunden: der omnipräsente Krisenmanager, der souveräne Kriegspräsident, umgeben und beraten von den besten Gesundheitsexperten des Landes, jeden Abend zur gleichen Einschaltzeit live auf den Bildschirmen der Nation. Die Krise war noch ganz am Anfang, da trompetete Trump schon verzückt, dass seine Corona-Show die höchsten Einschaltquoten aller Zeiten hätte, besser als die Dating-Show »The Bachelor«, besser als Football am Montagabend. Die meisten Zuschauer schalteten die allabendlichen Briefings natürlich an, weil sie das Neuste über die Pandemie wissen wollten. Andere suchten Trost oder aufmunternde Worte. Durchhalteparolen. Doch mehr und mehr wurden die Epidemiologen, Virologen und andere Mitglieder des Krisenstabes zu Statisten. Hilflos mussten sie miterleben, wie der Präsident sich Schlagabtausch nach Schlagabtausch mit den anwesenden Reportern lieferte. Trump wollte Claqueure, wie bei den Rallies und den Aufzeichnungen von »The Apprentice«. Gekommen waren Journalisten mit kritischen Fragen, was Trump von jeher als Majestätsbeleidigung empfindet. Auch in der Krise blieb er sich treu: leicht reizbar, dünnhäutig, immer im Angriffsmodus, nie selbstkritisch, stets voller Eigenlob. Regelmäßig, wenn der Präsident aufgebracht aus den Briefings kam, legte er auf Twitter nach. Etwa am 10. April, als er schrieb: »Weil die Einschaltquoten für die Pressekonferenzen des Weißen Hauses die höchsten überhaupt sind, tun die Opposition, die lahmarschigen Medien, die radikale Linke, die nichtstuerischen Demokraten und die paar verbliebenen RINOs alles in ihrer Macht stehende, um sie zu verunglimpfen und zu beenden.«
RINO, das steht für »Republicans in name only«, Republikaner nur dem Namen nach. So nennt Trump alle Parteifreunde, die ihn zu kritisieren wagen. Keine echten Republikaner, denn die bejubeln ihn ja. Doch auch in seiner eigenen Partei erntete Trump spätestens in dem Moment Kopfschütteln, als er während eines dieser Briefings allen Ernstes Lichttherapie und injizierte Desinfektionsmittel gegen Covid-19 in die Diskussion brachte. Tagelang hagelte es Hohn und Spott. Am 25. April riss dem POTUS der Geduldsfaden. Er twitterte: »Was ist der Sinn von Pressekonferenzen im Weißen Haus, wenn die lahmarschigen Medien nichts anderes tun, als feindselige Fragen zu stellen? Wenn sie sich dann weigern, die Wahrheit oder Fakten akkurat zu berichten? Die Medien bekommen Rekord-Einschaltquoten, und die Amerikaner kriegen nichts als Fake News. Das ist die Zeit und den Aufwand nicht wert!« Drei Tage lang hielt Trump es aus ohne die Corona-Show. Dann flimmerte sie, leicht verändert, wieder über die Fernsehschirme der Nation. So auch bei uns.
Wir leben in einer typischen amerikanischen Vorort-Idylle. »Mohican Hills« nennt sich das Wohnviertel, Mohikaner-Hügel. Die Straßen tragen allesamt indianische Namen. Hier, in der waldigen Hügellandschaft am Potomac, nördlich von Washington DC, ist alles unverändert während der Corona-Krise. Kinder spielen Basketball in den Driveways der McMansions. Die Anwohner führen ihre Hunde aus. Sie bleiben auf ein Schwätzchen stehen, mit Sicherheitsabstand. Das »social distancing« ist das Einzige, was anders ist als sonst. Meine Nachbarn fahren mit ihrem Subaru Outback oder ihrem Toyota Prius zum Einkaufen in die kleine, nahe gelegene Shopping-Mall. Für ein paar Tage steht dort auf dem Parkplatz ein Zelt, wo man »drive by« aus dem Auto heraus einen Corona-Test machen kann. Im »Safeway«-Supermarkt gibt es alles, auch Klopapier. Radiobeiträge für die ARD kann man auch aus dem Home-Office machen. Aber um über die zu berichten, die es deutlich härter getroffen hat als einen selbst, muss man die Komfortzone seiner Vorortidylle verlassen.
Am 33. Tag, nachdem der Bundesstaat Maryland seine »Stay-at-home«-Order« erlassen hatte, eine weitreichende Ausgangssperre, stehen wir in Frederick, eine knappe Autostunde nördlich von Washington, vor der »Francis Scott Key Mall«. Auf einem gewaltigen Parkplatz, der sich allmählich füllt. Ein Autokorso soll lautstark hupend und fahnenschwenkend von Frederick, nahe Baltimore, über die Kent Island nach Salisbury im Süden von Maryland rollen. Um für ein sofortiges Aufheben der Einschränkungen zu demonstrieren. »ReOpen Maryland« nennt sich dieser Ableger einer immer stärker werdenden Protestbewegung, die es mittlerweile in allen Bundesstaaten gibt. Ein blecherner Lindwurm formiert sich, der in ganz Maryland zu sehen sein soll. Alle Demonstranten geschützt in ihrem Blechkokon. Wie bei den Gottesdiensten in Autokinos, die es seit einiger Zeit wieder überall dort gibt, wo diese nostalgische Art des Filmgenusses noch möglich ist.
Kaum angekommen, begegnet uns eine Frau mit einem Hakenkreuz-Plakat. Das Nazi-Symbol ist auf ihrem Protestposter mit der deutschen Reichskriegsflagge verschmolzen. Und wir zucken natürlich zusammen: Diese Symbolik taucht in den USA sonst bei Aufmärschen von Rechtsextremen auf. Doch die Frau in Frederick propagiert keine »White Supremacy, sondern warnt im Gegenteil vor antidemokratischen Tendenzen: »Shut up and obey – Germany began this way!« – »Haltet die Klappe und gehorcht – so begann das damals in Deutschland!« Wir kommen ins Gespräch.
Natalie Brown ist Mitte vierzig, stammt aus der Gegend von Frederick und ist seit sechs oder sieben Wochen ans Haus gefesselt. Und Natalie ist stinksauer auf den Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, einen Republikaner. Hogan ist die Hassfigur schlechthin auf dem Parkplatz in Frederick: »Lawless Lockdown Larry! You’re killing US!!«, steht auf einem Plakat. Hogan hatte einen der striktesten Lockdowns in den USA in Kraft gesetzt. Und immer wieder scharf kritisiert, wenn Präsident Trump erste Lockerungen in Aussicht gestellt hatte. Natalie nennt Hogan einen Tyrannen. »Klappe halten und gehorchen, keine Fragen stellen, nicht selbstständig denken, tut, was wir euch sagen: So hat der Holocaust begonnen!«, schimpft sie. Dieses Gefühl der Ohnmacht gegenüber staatlicher Willkür hat die Demonstranten in ganz Amerika in Rage gebracht. »America – Land of the Free?« – fragt ein Banner. Misstrauen gegenüber Obrigkeiten und eine tiefsitzende Abscheu gegen staatliche Gängelei sind ganz tief verankert in der amerikanischen DNA. Jetzt vom Staat auf unabsehbare Zeit in Hausarrest versetzt worden zu sein, zur Untätigkeit verdammt, entmündigt: »Dagegen lehnen wir uns auf«, sagt Natalie.
Hinzu kommen existenzielle Ängste. Maryland hat wie alle anderen Bundesstaaten definiert, was »essential business« ist, essenziell für die Gesellschaft. Alle Betriebe, Geschäfte und Unternehmen, die nicht »essential business«, systemrelevant, sind, mussten dichtmachen. Natalie Brown betreibt ein kleines Reisebüro. Das hat natürlich zu. Aber selbst, wenn es aufhätte, würden die Kunden ausbleiben: »Die müssen zusehen, dass sie irgendwie Geld verdienen, ihre Rechnungen bezahlen und Lebensmittel kaufen können!« Natalie muss sich nicht ganz so existenzielle Sorgen machen. Ihr Mann geht einer »essenziellen« Tätigkeit nach und generiert weiterhin ein Einkommen. »Ich demonstriere hier für alle anderen, die nicht so viel Glück haben«, sagt Natalie. »Ich habe auch mal als alleinerziehende Mutter von der Hand in den Mund gelebt. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Das wird man niemals mehr los!«
So geht es Graham, der mit seiner Mutter aus dem Nachbarstaat West Virginia zum Demonstrieren nach Frederick