Great again?. Julia Kastein

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Great again? - Julia Kastein

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einsetzt und die Kreativen sich dann die Mieten nicht mehr leisten können«, erklärt Seth.

      Bis zum Corona-Lockdown schmiedete das Künstlerkollektiv schon den nächsten Plan: Gemeinsam wollen sie das Haus kaufen, in dem sie den »White Room« eingerichtet haben, gleichzeitig Atelierhaus und Galerie. Das Geld dafür sollte auch beim jährlichen »Art Spring«-Festival verdient werden. Doch das wurde abgesagt. Noch lassen Seth, J. R. und die anderen niemand Fremden ins Atelier.

      Zum Interview treffen wir uns deshalb an einem Picknicktisch am Rail Trail, der ehemaligen Bahnstrecke zwischen dem Black Water River und der Hauptstraße. Früher dampften hier die Kohlezüge durch. Die Schienen sind längst verschwunden. Jetzt summen ein paar Hummeln über der Wiese.

      »Zwischen Mai und September ist unsere Hauptsaison, da verkaufen wir am meisten. Also ist schon eine schwierige Zeit, geschlossen zu sein«, sagt J. R. »Aber mir fällt es echt schwer zu sagen: Wir machen unsere Kunsträume auf, wenn das irgendein Risiko birgt.«

      Die Künstler haben ihr Konzept umgestellt. Wir spazieren die paar Meter hoch zu Seths Galerie: Abstrakte Grafiken hängen neben fast naiven Aquarellen und experimenteller Fotografie – ein stilistischer Wildwuchs von verschiedenen Künstlern aus dem Ort. Eine Schaufensterausstellung, für die wenigen Besucher, die sich schon her trauen. Aber vor allem eine Online-Show, sagt Seth: »John Ryan hat eine Seite gebaut, dort stellen wir jetzt aus. Und versuchen uns mit den sozialen Netzwerken anzufreunden – was wir bislang eigentlich vermieden haben.«

      Im Umgang mit der Pandemie spiegelt sich in Thomas die Zerrissenheit der Nation. Die zugezogenen liberalen Künstler in der historischen Altstadt tragen Maske und sind sehr vorsichtig. Aber nur zweihundert Meter weiter den Hang hinauf ist von Corona-Ängsten nichts mehr zu sehen oder zu spüren.

      Im »Country Roads Saloon« herrscht um die Mittagszeit schon reger Betrieb. Die Blockhütte auf dem Gelände einer ehemaligen Tankstelle mit einer kleinen Musikbühne, den schlichten Holztischen, den Jagdtrophäen und den gerahmten Aphorismen (»Alkohol! – Weil keine gute Geschichte je mit einem Salat begonnen hat.«) ist der Treff der Alteingesessenen. Eine Familie mit zwei Kindern macht sich über Burger und Pommes her. Mit meiner Maske werde ich von den Gästen halb belächelt, halb misstrauisch beäugt – weil außer mir niemand eine trägt. Selbst Wirt Gary Riggs, mit Baseballkappe und grauem Bart, verzichtet auf einen Gesichtsschutz. Obwohl er ihn gebrauchen könnte, wie er mir verrät: »Ich bin in der Hochrisikogruppe, 63 Jahre alt, hatte schon drei Herzinfarkte. Aber wenn ich das Virus jetzt bekäme, würde ich nicht sagen: ›O Gott, warum ich?‹ – Sondern: ›Okay, ich bin jetzt dran.‹«

      Auch für Gary waren die vergangenen Monate im Lockdown schwer. Er versuchte vergeblich, einen Kredit aus einem der Hilfsprogramme für Kleinunternehmer zu bekommen: »Zwei Monate lang habe ich immer wieder dort angerufen und musste jedes Mal wieder einer anderen Person die gleichen Informationen geben. Und dann haben sie es schließlich abgelehnt, weil wir keine ›Credit History‹ haben.«

      Credit History ist das US-Äquivalent der Schufa-Auskunft. Mit einem entscheidenden Unterschied: Kreditwürdigkeit bekommt man hier erst bescheinigt, wenn man schon mal einen Kredit hatte oder wenigstens eine Kreditkarte, die man regelmäßig abbezahlt. »Aber wenn man eine Bar in West Virginia aufmacht, dann bekommt man von keiner Bank einen Kredit.« Gary schüttelt genervt den Kopf.

      Die politischen Entscheidungen während der Corona-Pandemie sieht Gary kritisch: »Manches hat einfach keinen Sinn gemacht: Dieses Rigorose und wie dann die Regierung entschieden hat, was systemrelevant ist und was nicht.«

      Obwohl Gary das »watering hole«, also die Bar für die Einheimischen betreibt: der ehemalige Polizist selbst zog erst vor sechs Jahren aus Florida hierher. Gemeinsam mit seiner Frau, die aus West Virginia stammt: »Das Leben hier ist ein bisschen langsamer und alle achten aufeinander. Als diese ganzen Unannehmlichkeiten wegen Corona anfingen, da haben wir zusammengehalten. Anderswo wurde das Toilettenpapier knapp. Hier hat irgendeine gute Seele immer Klopapier vor das Postamt gelegt. Und wer eine Rolle gebraucht hat, hat sich bedient. Und wer es nicht brauchte, hat es liegen lassen. So ist das hier. Wie kann man das nicht lieben?«

      Die Leute in diesem Landstrich seien anders, sagt Gary: »Uns ist es egal, mit wem du ins Bett gehst. Uns ist es wurscht, ob du einen Titel hast oder wen du wählst. Wir nehmen die Leute, wie sie sind. Und wir kommen miteinander aus.«

      Im Rest der USA gilt West Virginia als »Trump Country«. 68,5 Prozent der Menschen stimmten für den Republikaner; nirgendwo sonst war der Vorsprung vor Hillary Clinton so groß wie hier. In Tucker County holte Donald Trump sogar 73 Prozent. Auch Gary Riggs machte sein Kreuzchen für den Präsidenten. Jetzt bereut er das – aber nur ein bisschen: »Er hat für ziemlich Verwirrung gesorgt. Er twittert einfach zu viel. Aber das war ja von Anfang sein Problem. Und je nachdem, welchen Kanal man wann guckt, hat er entweder einen guten Job gemacht oder total versagt. Anfangs sah es so aus, als ob er bei Corona zu schnell handelt. Und jetzt, im Rückblick hat er nicht schnell genug gehandelt.« Gary zuckt mit den Schultern: »Ich bin froh, dass ich nicht Präsident bin.«

      Noch hat sich Gary nicht entschieden, für wen er im November stimmen wird. Aber er ist sich trotzdem ziemlich sicher, dass Trump auch ohne seine Unterstützung wiedergewählt wird: »Man sieht hier immer noch viele Trump-Fahnen.«

      Seth, der Künstler aus Michigan, warnt davor, alle Bewohner von West Virginia über einen Kamm zu scheren. »Natürlich gibt es hier viele Trump-Unterstützer, das sieht man ja an den Zahlen. Aber in diesem Staat gibt es auch sehr viele unabhängige Geister. Und ich glaube, viele haben Trump gewählt, weil er der Anti-Establishment-Kandidat war. Und das Gleiche gilt für alle Staaten, in denen die Leute schlecht behandelt und ausgebeutet wurden. Die Menschen misstrauen der Politik. Aus gutem Grund, denn sie sind schon so oft enttäuscht worden.«

      Eine Anti-Corona-Maßnahme war in West Virginia – wie in den gesamten USA – besonders umstritten: das Verbot von Gottesdiensten. In West Virginia galten religiöse Einrichtungen zwar als »systemrelevant« und durften theoretisch Messen und Andachten abhalten, aber auch für Kirchen galt die Obergrenze von maximal zehn Teilnehmern. Im Mai wurde dieses Gebot wieder aufgehoben. Und Jay Bunting konnte wieder fast wie gewohnt seiner Arbeit nachgehen: als Pfarrer der Methodistenkirche von Thomas.

      Die drei Kirchen des Ortes thronen auf dem Hang über der Stadt. Das Gotteshaus der Methodisten ist ein schlichter weißer Holzbau. Jay, der mit seinem langen roten Bart an Rübezahl erinnert, betreut nicht nur diese Gemeinde, sondern auch drei weitere in der Region.

      Bevor wir hineingehen, ziehe ich mir meine Maske auf. Jay winkt ab: »Von mir aus müssen Sie keine Maske tragen.« Rechts neben dem Eingang steht die US-Flagge. Links an der Wand hängt die Fahne von Israel. Unter dem Holzpult lehnt ein Schild mit der Aufforderung: »Bete!« Wir setzen uns auf eine der stoffbezogenen Kirchenbänke. Auch auf Abstand legt Pfarrer Jay keinen Wert – obwohl er zugibt, dass seine Ärzte das nicht gerne sehen: »Ich hatte Krebs. Aber ich sage mir: ›Wenn Gott mich jetzt zu sich holen will, dann ist das eben so.‹ Ob man nun an Covid-19 stirbt oder durch einen Blitzschlag oder bei einem Autounfall. Wenn die Zeit gekommen ist, ist die Zeit gekommen.«

      Im Gottesdienst aber hält sich auch Jay aus Rücksicht auf die Gemeinde an die vom Bundesstaat empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen. Keine Gesangbücher, weil Singen wegen der fliegenden Tröpfchen zu gefährlich ist. Abstand auf den Kirchenbänken. »Wir mussten uns was Neues ausdenken. Unser Pianist hat einfach ein paar von den alten Hymen angespielt. Und die Gemeinde musste raten. Er hat uns ganz schön zum Grübeln gebracht. Ein paar von den älteren Frauen meinten: ›Was spielt er da?‹ Ich habe auch nicht alle erkannt …«

      Jay, der aus dem Nachbarstaat Maryland stammt und wie Seth an den Menschen in West Virginia ihre Neigung zum Widerspruch schätzt, macht aus seiner Meinung zu den Anti-Corona-Maßnahmen kein Hehl: Alles

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