Great again?. Julia Kastein
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Zunächst komme ich mit Christin ins Gespräch. Die Mittvierzigerin ist extra aus dem Nachbarstaat Indiana angereist. »Ich liebe ihn!«, sagt Christin über Trump, »weil er den Sumpf trockenlegt. Nicht nur zum Wohle Amerikas, sondern für die ganze Welt!« Den Sumpf trockenlegen: »Drain the Swamp!« Das hört man immer wieder, wenn außerhalb von Washington DC die Rede auf Politik kommt. »The Swamp«, der Sumpf, das ist das faulige, modrige Politmilieu. Der »Deep State«: eine Verschwörung aus korrupten Bürokraten, die sich seit Jahr und Tag auf Kosten des übrigen Amerikas bereichern. Die nicht das Allgemeinwohl im Sinne haben, sondern ausschließlich ihre eigenes und das ihrer Subkultur. Elitär sind die, und Globalisten, keine Patrioten. »Globalist elitists« – das ist unter Trump-Anhängern das vernichtendste Schimpfwort. Sogar noch vor Fake News. Den »globalistischen Eliten« hat Trump, der politische Quereinsteiger, den Kampf angesagt: »Drain the Swamp!« Und wie recht er damit hat, zeige sich am erbitterten Widerstand des »Deep State«, findet Christin. Die Demokraten seien die Partei der elitären Globalisten. Elitär, weil sie auf Leute wie Christin herunterblicken. Globalisten, weil sie an der Globalisierung verdienen, während Leute wie Christin ihre Jobs verlieren. Trump hole die Jobs zurück nach Amerika. Deshalb wollten die Globalisten ihn vernichten. »Was mich am meisten stört, was mich mehr als alles andere wütend macht«, sagt Christin, »ist, dass die unseren Präsidenten als russischen Spion anklagen wollten, wegen Hochverrats!« Gemeint ist die Untersuchung wegen angeblicher russischer Wahlmanipulation zugunsten Trumps. »How dare they?«, fragt Christin an die Adresse von Trumps Widersachern, »how dare they?« Eine bewusste Anspielung auf die berühmte Greta-Thunberg-Phrase. »Wir sind wütender denn je!«, sagt sie. Wie Greta.
Ein älterer Herr, ein paar Schritte weiter, hat weniger Schaum vor dem Mund als Christin. »Gegen Erfolg lässt sich schlecht argumentieren«, sagt er mir. Gemeint ist Trumps Wirtschaftsbilanz. Das Jobwunder, das Amerika unter diesem Präsidenten erlebt hat. Die Corona-Krise ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht abzusehen. Weiter hinten in der Schlange steht ein jüngerer Mann. »Das ist der am härtesten arbeitende Präsident aller Zeiten«, schwärmt er. »Eine ehrliche Haut!« Ehrlich? Wirklich? Ausgerechnet Trump, der sich die Realität so gerne zu seinen Gunsten zurechtbiegt? »Der macht aus seinem Herzen keine Mördergrube«, sagt mir Lisa, eine ältere Dame aus Battle Creek. Trump sei authentisch. Man wisse immer, was er denkt! Und seine Tweets seien eine prima Sache: Wann hatte man je einen derart tiefen Einblick in das, was der Präsident der Vereinigten Staaten gerade denkt. Was ihn umtreibt. Etwas kleinlaut frage ich, ob es Lisa nicht stört, wie zornig und hasserfüllt Trump gegen seine Gegner austeilt. »Ich finde es gut, dass er so gradeheraus ist«, kontert Lisa. Das Impeachment-Verfahren jedenfalls sei eine völlige Zeitverschwendung; darin sind sich alle, mit denen ich in Battle Creek spreche, einig. Seit 2016 würden der Sumpf und der »Deep State« versuchen, Trump aus dem Amt zu befördern und die Wahl ungeschehen zu machen. Das sei ein Dauerangriff auch auf sie, die Trump-Unterstützer. »Je härter sie zuschlagen«, sagt Christin, »desto stärker werden wir!« Und wer nicht in völlige Verzückung über Trump gerät, der rechnet mir ganz nüchtern dessen Erfolgsbilanz vor: »Was haben denn die Demokraten in all den Jahren unter Obama erreicht?«, fragt mich ein älterer Herr. Und hat gleich auch die Antwort parat: »Nichts!« Trump habe in kürzester Zeit so viel geschafft: »I want more of it!« Davon habe er noch lange nicht genug. Authentisch sei dieser Präsident: Der hält, was er verspricht. »Promises made, promises kept!«
Ich schlendere wieder zurück in den Pressepferch. Trump steht noch immer am Rednerpult. Rechts und links davon stehen Weihnachtsbäume, auf deren Spitzen Wahlkampfkappen mit dem »Make America Great Again«-Logo, MAGA, thronen. Gerade erklärt Trump, dass man es ihm persönlich zu verdanken habe, dass Amerika wieder »Merry Christmas!« wünschen dürfe. Und nicht mehr politisch korrekt »Happy Holidays!« sagen müsse, wie es die säkularen Eliten eingeführt hätten. »Ihr seid die Elite!«, brüllt Trump seinen Fans zu. Die Halle kocht.
Zum Ausklang des Abends plärrt wie immer »You can’t always get what you want!« von den Rolling Stones aus den Lautsprechern. Keine Ahnung, warum Trump ausgerechnet an diesem Song einen Narren gefressen hat. Ich kann mir kein Motto vorstellen, das noch weniger zu seiner Person passt. Während der Trump-Show läuft eine Handvoll von anderen Songs in Dauerschleife: »Sympathy for the devil«, noch ein Stones-Titel. Und »Macho man!«, von den Village People. Bei dem singen fast alle mit. Trumps Dauer-Tournee bringt die immer gleiche Show auf die Bühnen. Variationen gibt es je nach tagespolitischer Themenlage. Aber das Kerngerüst bleibt gleich. Trump teilt aus. Verletzend, gehässig, unter der Gürtellinie. Dem Publikum stockt der Atem. Na, der traut sich was! Eine Mischung aus Befremden und Bewunderung entsteht bei seinen Zuhörern. Ein bisschen wie bei Dieter Bohlen in Deutschland. Dann breitet Trump seine Arme aus. Geschickt versteht er es, sich zum Anwalt und Interessenwahrer seiner Unterstützer zu stilisieren. Seine Kulturrevolution: Das ist kein Egotrip. Das ist eine Massenbewegung! Sie kommt eigentlich aus der Mitte des Volkes. Trump hat sie lediglich entfesselt. Nun ist es ein Gemeinschaftsprojekt. Weil Trump selbstlos vorausschreitet, lässt man ihm auch so manches durchgehen. Das endlose, eitle Eigenlob? Geschenkt! »Everything he does is for the American people«, hatte mir ein Teilnehmer in Battle Creek erklärt. »We the people!« Mit diesen drei Worten – »Wir, das Volk« – beginnt die Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten.
Seit jenem Winterabend in Battle Creek habe ich immer wieder nachgedacht über die Menschen, denen ich dort begegnet bin. Landauf, landab gibt es Legionen von ihnen. Als Publikum der Trump-Shows sind sie auf einmal sichtbar. Sie feiern ihr Idol. Aber noch mehr feiert er sie. Wie konnte es passieren, dass einer wie Trump kommen musste, um diese Menschen aus dem Verborgenen ins Rampenlicht zu holen? Wo waren die vorher? Warum wurden sie übersehen? Klar ist, dass Trump ihnen Würde verspricht und Aufmerksamkeit verleiht. Der Working Class Hero des 21. Jahrhunderts: ein habgieriger und selbstverliebter Immobilienmogul. Wer hat dieser Revolution den Boden bereitet? Wer hat diesen Kulturkampf provoziert? Ein Name fällt auffällig häufig, wenn man Amerikaner nach der Verkörperung des Elitären in der Politik fragt: Hillary Clinton, Trumps unterlegene Gegenspielerin von 2016.
Am 9. September des schicksalhaften Wahljahres beging die demokratische Präsidentschaftskandidatin den vielleicht schwerwiegendsten Fehler ihrer politischen Karriere. Die Szene war aus der Sicht eines republikanischen Wahlkampfstrategen eigentlich zu gut, um real zu sein. Hier passte alles. Als habe Donald Trump sich die Situation für eine polemische Wahlkampfrede zusammenspintisiert. Wenn es noch Zweifel daran gab, dass Clinton die Kandidatin einer abgehobenen, arroganten Küstenelite war: Sie hatte sie selber ausgehoben. Hier ist die Szene:
Ausgerechnet von einer LGBTQ-Versammlung (LGBTQ, das steht für »Lesbisch, Gay, Bisexuell, Transgender, Queer«) ließ sich Clinton dafür feiern und beklatschen, dass sie Teile der Trump-Verehrer als Bemitleidenswerte oder auch Klägliche schmähte. In einen »basket of deplorables«, einen »Korb für Bedauernswerte«, gehöre die halbe Anhängerschaft Trumps. Das Etikett saß: Nach anfänglicher Entrüstung konterten die Geschmähten strategisch klug. Sie funktionierten den Schmähbegriff in sein Gegenteil um: in ein selbstbewusst geführtes Markenzeichen. Wir sind die Deplorables! Ihr da oben mögt auf uns herabschauen, uns verachten, uns für vernachlässigbar halten! Aber wir sind viele! Wir sind die Mehrheit, die bislang schwieg, jetzt aber ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. Deplorables! So, wie Schwarze sich manchmal selbst als »Nigger« bezeichnen. Oder Homosexuelle sich »Schwuchteln« nennen. Schmähbegriffe entwerten, indem man sie sich aneignet. Bis heute veranstalten republikanische Frauenorganisationen, wie »Women for Trump«, sogenannte »DeploraBalls«. Also Partys, Bälle, bei denen das ländliche, konservative, gottesfürchtige Mittelklasse-Amerika selbstbewusst seinen eigenen Lebensstil feiert. Und sich nicht mehr verschämt kleinmacht gegenüber metrosexuellen Jetsettern, die Amerikas Mainstreamkultur so lange idealisierte. »DeploraBalls« für »deplorables«. Kampfbegriffe, die eine ungeheure Wucht entfalteten. Viel wirkungsvoller