Great again?. Julia Kastein

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Great again? - Julia Kastein

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Abgeordneten. Einige von ihnen zogen kugelsichere Westen an, nachdem die Nachricht von der Stürmung die Runde machte. Gegen das Gesetz verstoßen hatten die martialischen Protestierer übrigens nicht. Das Waffentragen in Regierungsgebäuden ist in Michigan legal.

      Als zwei Wochen zuvor rund 3 000 Aufgebrachte mit Sturmgewehren, anderen Feuerwaffen, Konföderiertenflaggen und »Trump/Pence«-Plakaten ebenfalls durch Lansing zogen, auch da schon aus Protest gegen Whitmers Ausgangsbeschränkungen, da twitterte Trump: »Das sind sehr gute Menschen, aber sie sind zornig. Die wollen ihr altes Leben zurück, in Sicherheit!« Ende Mai dann, nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd in Minneapolis, als landesweit gegen rassistische Polizeigewalt demonstriert wurde, nannte Trump die Protestierer in einem Tweet: THUGS! Schläger! In landesweit über 140 Städten gingen die Menschen auf die Straßen. Dabei wurde auch geplündert und randaliert. Dieser Volkszorn ließ sich für Trump nicht instrumentalisieren.

      Am 16. April 2016 erschien in der Washington Times, der Hauspostille des republikanischen Amerikas, ein Kommentar mit der Überschrift: »Ziviler Ungehorsam kann die Coronavirus-Dummheit beenden.« Dazu gestellt hatten die Redakteure das Foto eines der Demonstranten von Lansing, der eine Stars-&-Stripes-Flagge schwenkt. In ihrem Text argumentierte die Kolumnistin Cheryl K. Chumley, die besten Nachrichten dieser Coronavirus-Wochen seien in Gestalt von Videobildern aus Michigan gekommen. Darauf seien gute Bürger zu sehen, »die die Nase voll haben von ihrer tyrannischen Gouverneurin, die in Massen und ohne Masken auf die Straße gehen, um ein Ende der Tyrannei zu verlangen«. Die Kolumnistin appelliert an ihre Leserschaft, der Bevormundung mit zivilem Ungehorsam zu begegnen.

      Mir ist nicht nach Aufbegehren zumute, als ich während der Corona-Krise bei strahlendem Sonnenschein über die M Street in Georgetown schlendere. Dort reiht sich Shop an Shop, Pub an Pub und Restaurant an Restaurant. Um diese Jahreszeit, wenn das Leben nach dem kurzen, aber oft heftigen DC-Winter wiedererwacht, wimmelt es üblicherweise nur so von Menschen auf der beliebten Flaniermeile. Jetzt, im März 2020, ist die M Street fast leer. Ich überlege, wann ich das letzte Mal eine derart gespenstische Ruhe und irritierende Menschenleere erlebt habe. Es war kurioserweise auch hier auf der M Street, in den Tagen nach dem 11. September 2001.

      Mir geht durch den Kopf, dass ich alle drei Male in meinem Leben, bei denen ich vor Corona mit Unbehagen und Verunsicherung zu kämpfen hatte, ebenfalls hier in Georgetown war. Am 11. September 2001. Eine Woche danach, als ab dem 18. September ein Unbekannter begann, tödliche Milzbranderreger per Post zu verschicken. Und dann im Oktober 2002, als die Sniper im Großraum Washington wahllos Menschen erschossen. Drei Mal innerhalb eines Jahres lag Angst über der Stadt.

      9/11 konnte ich zwar nicht mit eigenen Augen sehen, wie die gekaperte Passagiermaschine in das Pentagon einschlug. Das US-Verteidigungsmuseum liegt vom Georgetowner ARD-Studio aus auf der anderen Seite des Potomac, mehrere Meilen flussabwärts. Aber die Gerüchte, die Panik verursachten, verbreiteten sich rasend schnell. Von einer radioaktiven »dirty bomb« im State Department, dem Außenministerium, wurde gemunkelt. Blechlawinen quälten sich in Zeitlupe aus der Stadt. Wie in einem Katastrophen-Thriller aus Hollywood.

      Und dann die Anthrax-Sendungen. Ein Unbekannter hatte den Milzbranderreger in Briefumschlägen verschickt, erst an zwei demokratische Senatoren, dann wahllos in mehrere Stadtteile. Fünf Menschen kamen ums Leben. In meiner Straße klebten die Nachbarn die Briefschlitze ihrer Haustüren mit Isolierband ab. Die Briefverteilzentren wurden zwischenzeitlich aus Sicherheitsgründen geschlossen. Der Hauptverdächtige des FBI, der in einem staatlichen Biowaffenlabor arbeitete, beging Selbstmord, bevor ihm die Anschlagserie nachgewiesen werden konnte. Sie gilt bis heute als »cold case«, als ungeklärter Fall.

      Ein gutes Jahr später begangen die sogenannten Sniper eine der irrwitzigsten Mordserien aller Zeiten. John Allen Muhammad, damals 41 Jahre alt, und Lee Boyd Malvo, damals minderjährig, waren zwischen dem 2. und dem 24. Oktober im Großraum Washington unterwegs und schossen wahllos und willkürlich aus ihrem Auto auf Passanten. Zehn Menschen kamen dabei ums Leben, drei weitere wurden schwer verletzt. Ihr Fahrzeug, einen Chevrolet Caprice Kombi, hatten sie so umgebaut, dass der Schütze bäuchlings ausgestreckt in dem Wagen liegen und durch eine Öffnung im Heck seine Opfer mit einem Bushmaster-Scharfschützengewehr töten konnte. Einer ihrer Morde fand an einer Tankstelle auf der Wisconsin Avenue, in unmittelbarere Nähe zu unserem damaligen Haus, statt. Julia war zu diesem Zeitpunkt mit dem Auto unterwegs. Und hat an dieser Tankstelle getankt.

      Bei meinem nostalgischen Bummel, anderthalb Jahrzehnte später, bin ich zwar fast allein auf den Straßen von Georgetown, aber es fühlt sich nicht so an. Mich fasziniert der Gedanke, dass in diesem Moment rund um den Globus unzählige andere Menschen in der genau gleichen Situation sind. Ich frage mich, ob uns die gemeinsame Corona-Erfahrung als Weltgemeinschaft zusammenrücken lässt. Dann denke ich, welche Ironie darin liegt, dass die USA ausgerechnet in diesen Tagen einen Präsidenten haben, der wenig von internationaler Zusammenarbeit und globalen Perspektiven hält. Auf dem Höhepunkt der Pandemie hat Trump die Zusammenarbeit der USA mit der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, beendet. »America first« galt auch in der Krise. Im Alleingang zurück zu alter Glorie. Ein Teil von Trumps Landsleuten glaubt, die »greatness« ihrer Nation unterliege konjunkturellen Schwankungen. Sonst müsste man die USA nicht immer mal wieder »great again« machen.

      »Great again?« – so lautet dann auch die Frage, die dieses Buch dem Sehnsuchtsland Amerika stellt. Den Slogan »Make America Great Again« hat Donald Trump nicht erfunden. Ronald Reagan hat ihn benutzt – für Wahlkampfreden und auch auf Plakaten, mit denen er in den 1980er Jahren seine Landsleute aufforderte: »Let’s make America great again!« Auch Bill Clinton hat die Parole verwendet – in den 1990er Jahren. Donald Trump hat MAGA also nur aufgegriffen. Aber er hat den Slogan, wie es Geschäftsleute so tun, für sich schützen lassen. Das war im Jahr 2012, unmittelbar nach Barack Obamas Wiederwahl, als sich Trump noch gar nicht sicher war, ob er in die Politik wechseln sollte. Die Wirkmacht des Kampfrufes hatte er instinktsicher erkannt. Und sich den erst einmal unter den Nagel gerissen. Zur Wiederwahl hieß es dann bereits: »Keep America great!« So, als sei die Frage nach dem »great again« längst beantwortet. Wir, die Autoren dieses Buches, wollen so vorschnell nicht sein.

      II

       Nach der Kohle in West Virginia, oder:

       Wie Künstler eine Bergbaustadt wiedererwecken

      JULIA KASTEIN

      Die Stimmung ist gepflegtes Moll an einem kalten Winterabend Ende Februar in der »Purple Fiddle« in Thomas, West Virginia. Ein knappes Dutzend Männer und Frauen in den besten Jahren sitzt in der Konzertkneipe und lauscht den kurzen, melancholischen Songs von »June Star«, einer dreiköpfigen Country-Rock-Americana-Band aus Baltimore. Vor jedem einzelnen Stück macht Sänger Andrew Grimm, ein beleibter, vollbärtiger Mittvierziger mit Walle-Mähne, die gleiche lakonische Ansage: »Das ist ein Song über die Liebe.« Auch Sebastian und ich sitzen im Publikum und lachen und klatschen mit.

      Die »Purple Fiddle« ist ein ungewöhnlicher Ort. Genau wie Thomas selbst. Wie so viele ausgebeutete Bergbaureviere im einstigen Kohleland West Virginia schien die Kleinstadt vor ein paar Jahren noch zum langsamen Sterben verurteilt. Stattdessen erlebte Thomas eine zweite Blüte: als Kulturtreff mit einem halben Dutzend Galerien und noch mehr Ateliers. Und dem Musikclub »Purple Fiddle«. Wir sind zufällig hier gelandet: Thomas liegt am Rande des Canaan Valleys, einer der wenigen Wintersportregionen im Großraum Washington. Knapp drei Stunden dauert die Fahrt. Also gleich um die Ecke, nach amerikanischer Lesart. An einem trüben Februarnachmittag fällt hier – wie in den vergangenen Jahren wegen des Klimawandels häufig – nur Regen und kein Schnee. Skifahren macht so keinen Spaß. Also erkunden wir Thomas.

      Die Bergarbeiterstadt schmiegt sich terrassenförmig an den Osthang über dem Blackwater River. Entlang der Hauptstraße und parallel zum Fluss reihen sich imposante dreistöckige Backsteingebäude mit Zierfassaden aus Blech. Städtebaulich irgendwo zwischen

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