Morgenroths Haus. Thomas Perlick

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Morgenroths Haus - Thomas Perlick

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hätte er’s ja, aber wir wollen gnädig sein. Wir stechen ihm nur die Augen aus“, sagte Patrizia.

      Mein Freund Andreas wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Patrizias Liebhaber hatte nämlich tatsächlich ein Taschenmesser. Der Kerl fuhr mit der Klinge vom Bauchnabel bis zum Kinn.

      „Wie heißt du?“, fragte er.

      „Äh, äh, ich heiße Andreas.“

      „So, in Zukunft heißt du blinder Andreas.“

      „Aber das können Sie doch nicht machen!“

      „So, kann ich nicht?“

      Mir reichte es. Ich verließ das Gebüsch, die anderen folgten.

      „Du lässt das jetzt!“, rief ich.

      „Oh, da sind ja die anderen Spanner!“, sagte Patrizia. „Seid ihr wenigstens auf eure Kosten gekommen?“

      „Es tut uns ja leid“, sagte Frank, „aber ein Staatsverbrechen ist das doch nun auch wieder nicht.“

      „Nein, aber einen von euch müssen wir schon bestrafen, oder?“

      Sie kam auf uns zu. Wir konnten gar nicht hinschauen. Wir hatten noch das andere Bild von ihr im Kopf.

      „Es sei denn, ihr befreit ihn irgendwie aus dieser unangenehmen Lage“, sagte sie, dicht vor mir stehend.

      „Das machen wir auch“, erwiderte ich kämpferisch. Andreas keuchte noch immer im Würgegriff des Riesen.

      „Also, wer von euch Knalltüten hat genug Mut?“

      Frank schaute zu Boden, Ulli kaute an seinen Fingernägeln.

      „Tja, Kleiner, tolle Freunde hast du!“

      Andreas schaute mich kurz an. Jetzt war es klar: Ich musste mich opfern. Sonst brauchte ich gar nicht mehr im ersten Stock Georgstraße 17 an die Tür zu klopfen. Das konnte ich mir dann für alle Zeiten abschminken. Also trat ich vor.

      „Ich mach das.“

      „Oh, doch ein Held! Na, dann wollen wir mal“, sagte Patrizia mit einem unheildrohenden Lächeln auf den tollen Lippen. „Siehst du die Frau da unten auf dem blauen Handtuch?“

      „Die mit der Badekappe?“

      „Ja, genau die. Kennst du sie?“

      „Nö, nie gesehen.“

      „Das ist meine Klassenlehrerin, ein fieses Raff, ein Ausbund an Gemeinheit. Sie hat ihre Lieblinge in der Klasse, die Streber und die Duckmäuser. Alle anderen sind am Arsch. Letzte Woche hat sie mir eine Fünf gegeben, obwohl ich fast alles richtig hatte. Du wirst

      jetzt zu ihr gehen und ganz laut ‚fette, schmierige, alte Kuh‘ sagen.“

      „Bist du verrückt geworden?“

      „Toll, Patrizia, das ist echt fetzig!“, sagte der Riese plötzlich. „Das haut voll durch.“

      „Aber die zinkt mich doch an!“, protestierte ich.

      „Du musst dich entscheiden!“, lächelte Patrizia. „Der kleine Blinde wird es dir ewig übel nehmen, wenn du das Falsche tust.“

      Das war natürlich nicht von der Hand zu weisen. Mein bester Freund Andreas, im Schwitzkasten und mit einer kühlen Klinge auf der Haut: Das war schon ein unschlagbares Argument.

      Also ging ich langsam los.

      „Und so laut, dass es alle hören können!“, sagte Patrizia. „Sonst gilt es nicht. Soll ich dir die Botschaft noch einmal vorsprechen?“

      „Danke“, sagte ich, „das war nicht so schwer zu merken.“

      Also lief ich schneller. Es hatte ja keinen Sinn, das Ganze in die Länge zu ziehen. Davon wurde es auch nicht besser. Also baute ich mich vor der Dame auf. Ich konnte ihren faltigen Körper sehen, den Hängebauch und die braunen Flecken darauf. Es konnte also gar nicht so schwer sein, zu ihr etwas ganz Gemeines zu sagen. Aber es war verdammt schwer. Ich sah mich um, entdeckte meine Freunde und blickte in das triumphal grinsende Engelsgesicht der schönen Patrizia. Dann sagte ich, so laut es mein zugeschnürter Hals erlaubte: „Sie fette, schmierige, alte Kuh!“

      Bevor die Dame so richtig begriff, was geschehen war, hatte ich schon das Weite gesucht.

      „Unverschämter Bengel“, schrie sie und erhob sich. Jetzt hieß es, schnell zu verschwinden. Ulli und Frank liefen schon, Andreas stieß zu mir vor, und dann legten wir die hundert Meter in neun Sekunden hin, so wahr ich ein Geschichtenerfinder bin! Die Oberschullehrerin war aber auch noch ganz gut zu Fuß. Sie forderte die Badegäste auf, das Gesindel festzuhalten, aber so weit geht die Übereinstimmung mit dem Amt des Schullehrers dann doch nicht, und so waren wir durch den Ausgang geflitzt, ehe sie ihn erreicht hatte.

      „Saubande!“, schrie sie uns nach. „Ich geh zu euren Eltern!“

      Aber sie hatte ja nur mich gesehen und ich war immer nur in den Ferien da.

      Ich musste natürlich in der Stadt vorsichtig sein. Also lief ich mit weit aufgerissenen Augen und in ständiger Fluchtbereitschaft durch das schöne Themar.

      Von Marion sprachen wir lange nicht mehr. Keiner wollte Unterricht in gekaufter Liebe. Aber die herrliche Patrizia, bei der die Jungs immer mit der Zunge schnalzten, hatten wir tatsächlich nackt gesehen. Das konnte uns keiner mehr nehmen, obwohl uns natürlich niemand glaubte, mir am allerwenigsten. Irgendwann zahlt man den Preis für sein fröhliches Münchhausenleben, und das hat man sich dann auch redlich verdient.

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