Morgenroths Haus. Thomas Perlick
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„Saupack, elendes!“, knurrte Fritz und verbat sich, auszuspucken.
„Wenn du einmal reich wirst, Kleiner, dann bleib immer auf deinem Korridor. Mach’ es nicht so wie die da drüben!“
Jetzt traten die ersten Tänzerinnen auf. Sie warfen die Beine in die Höhe und bückten sich rittlings, die Röcke über den Rücken nach oben schleudernd.
„Das sind nur die Anheizerinnen!“, sagte Fritz.
Die Herren aus dem Spielcasino trafen ein, sofern sie nicht, vom Spiel berauscht, die ganze Nacht hocken blieben. Die Kapelle spielte einen Tusch, die Tänzerinnen verschwanden und nun war es kurze Zeit still. Nur die Ungezogensten riefen Unflätiges, wurden aber sogleich ermahnt. Es war ein bisschen wie Weihnachten im bürgerlichen Heim: Die Spannung riss an der Stille, die Erwartung machte das Atmen schwer. Die weiße Garde in ihren Bademänteln, fast alle von irgendeinem stolzen Schiff im Hamburger Hafen ausgespuckt, verknotete die Hände, bis sie weiß wurden. Amor, der Geiger, fiedelte mancherlei jauchzenden Ton und endlich, endlich zogen die Damen ein. Jetzt begannen die Bravorufe, die Pfiffe und das Gejohle. Einige klatschten, andere hatten die Hände nicht frei. Die Herrlichkeiten betraten die Bühne, eine nach der anderen, bis sie in einer langen Reihe standen und hinabwinkten. Alle trugen hohes Schuhwerk, das die Beine noch mehr streckte, die ja ohnehin bis zu den Bäuchen langten. Einige verrauschten sich in durchsichtigen Strümpfen, die auf halber Höhe der Oberschenkel endeten.
Die nackten Hälse zeigten wie Finger nach unten, wo die Brüste durch aufgeklebte Goldsterne mehr verziert als verdeckt wurden.
„Kruzitürkennochemol!“, rief Fritz Teumer im Dialekt des verblichenen Alois. „Hat sich die ganze Schinderei doch wieder gelohnt!“ Martin, unser Schiffsjunge mit Pepe in der Tasche, bestaunte die Bäuche der Damen, auf die man Zahlen gemalt hatte. Von der 1 bis zur 42 war mancherlei zu sehen: ganz Schlanke fast ohne Wölbung, richtig Fette, deren Wülste überhingen, und natürlich auch die dazwischen, denen das Schicksal die göttliche Idealziffernkombination geschenkt hatte.
„Siehst du die 17?“, flüsterte Fritz. „Das ist Helene. Die hatte ich beim letzten Mal. Ein bisschen albern, aber sehr eifrig, Die könnt ich dir empfehlen.“
Die ersten Herren riefen ihre Nummern. Hier musste man schnell sein. Die Nummer 21 beispielsweise war sofort weg. Ein blondes Traumweib mit Beinen, die bis zum Himmel gereicht hätten, wären sie nicht von anderem aufgehalten worden. Auch die 9 hatte keine Not, sich zu verdingen. Ein reiferer Herr mit Monokel zog mit ihr davon.
„Die wird nicht viel Freud’ haben mit dem Gockel da!“, sagte Fritz ärgerlich. Er hätte die 9 auch gern gehabt. Jetzt nahm er halt die 12, schwarzhaarig, voll in den Hüften und oben herum das Gebirg’ des verstummten Alois.
„Du musst dich ranhalten, mein Junge“, sagte Fritz im Gehen, „am Ende stehen nur noch die Ladenhüter im Schaufenster.“
Aber Martin hockte trockenen Mundes wie festgeklebt auf seinem Stuhl. Er hatte ein zartes Mädchen mit wunderschönen Augen entdeckt, kaum älter als er selbst. Auf der Bühne standen nur noch siebzehn Damen. Martin fürchtete bei jedem weiteren Ruf, nun werde Nummer 31 wohl erwählt. Aber sie blieb stehen, und endlich gab sich Martin einen kräftigen Stoß, rief, so laut es ihm sein kratziger Hals erlaubte: „Einunddreißig.“
Da erschrak die Schönäugige ganz entsetzlich. Sie sah mit ihren flehenden Augen zu ihm hin. Aber er war schon aufgestanden, um sie zu holen, seinen Preis des Abends. Und so ging sie mit ihm. Auch das Zimmer, in dem sie verschwanden, war die 31. Es gab ein breites Bett darin, ein Tischchen mit Gebäck und Wein, einen Kleiderständer und die gedämpfte Lampe. Martin setzte sich.
„Es tut mir leid“, sagte er, „ich bin zum ersten Mal hier und kenne die Gepflogenheiten nicht. In Wahrheit war ich überhaupt noch nie mit einer Frau zusammen. Mir fehlt die Erfahrung in diesen Dingen.“
Jetzt erst wagte er aufzublicken.
„Mir auch“, sagte die Zarte leise.
„Aber Sie sind doch hier angestellt!“, sagte Martin verwundert.
„Ja, seit Montag, aber es hat mich nie jemand genommen, und mir wars recht so.“
Martin blickte auf, sah ganz tief in die braunen Pupillen hinein und verliebte sich zum ersten Mal in seinem jungen Leben gleich dermaßen heftig, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er nahm die Decke und legte sie dem Mädchen um die Schultern. Jetzt war ihr kleiner Sternenbusen ebenso bedeckt wie die schlanken Beine. Martin griff verlegen in die Tasche, wo er auf Pepe, das Kistchen stieß, einen Voyeur wider Willen.
„Das habe ich als Bezahlung mitgebracht“, sagte er. „Rauchen Sie?“ Sie lachte: „Auch darin bin ich noch unschuldig. Bei uns im Heim war es streng verboten.“
Plötzlich sah der Schiffsjunge Martin das Waisenheim „Theodor Fontane“ wieder vor sich und wurde hellhörig.
„Sie waren auch im Kinderknast?“
„Ja, sozusagen.“
„Dann verbindet uns ja doch etwas. Im übrigen bin ich Martin Winter, der Schiffsjunge.“
„Angenehm“, sagte sie, „Irene Friedenthal. Verhinderte Prostituierte.“
Sie sahen sich lachend in die Augen, und plötzlich begann in Zimmer 31 ein langes, bitteres und doch unerhört vertrautes Fragen und Antworten, Kichern und Schluchzen und vor allem ein heißes Verlieben in den gequälten Herzen. Als die zwei Stunden verstrichen waren und draußen der Gong ertönte, da saß das Mädchen Irene noch immer dicht bei dem Schiffsjungen Martin, in die Decke gehüllt, jungfräulich beide nach wie vor, aber glücklicher als alle anderen in diesem freudenreichen Haus. Pepe hatte mancherlei gehört, aber wenig gesehen und wars zufrieden. Was interessiert sich ein Zigarrenkistchen auch für die fleischlichen Dinge?
Fritz Teumer, der selige Leichtmatrose, hockte schon fertig angezogen da, als Martin mit der schönäugigen Irene kam.
„Aber Kumpel“, sagte Fritz, „du darfst die Dame des Abends doch nicht einfach mitnehmen. Wo denkst du hin?“
„Mach ich aber“, sagte Martin übermütig, „und vielen Dank für alles!“
Fritz sah ihn entgeistert an: „Die Lust hat dich doch nicht zum Narren gemacht, mein Freund?“
„Wenn schon, dann die Liebe!“, erwiderte Martin, seine Irene fest im Arm haltend.
„Hast du denn nicht ...“
„Nein, wir mussten einfach zu viel reden.“
„Und die Zigarren?“
„Die sind noch da“, sagte Martin.
Nun wurde Pepe mitten im Hamburger Nobelbordell geöffnet, denn man findet hier genügend Abnehmer für