Morgenroths Haus. Thomas Perlick
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„Jetzt geht es ihr wieder besser“, sagte Fritz trocken.
Es wurde dunkel, und die Geschäfte zeigten ihre beleuchteten Auslagen: Der Juwelierladen mit seinen funkelnden Kostbarkeiten, das Haus des Hutmachers Paroli, in dem gerade umdekoriert wurde. Das Pralinengeschäft Mayer, aus dem es so süß duftete, und schließlich das amerikanische Kaufhaus, in dem es vom Hausschuh bis zum Pelzmantel nicht weniger als alles gab.
Jetzt wurde es lauter. Straßenbahnen kreischten und die Marktschreier am unteren Ende konnte man auch schon hören:
„Bananen bester Qualität, frisch aus Übersee! Einen Groschen billiger als gestern. Brezeln, frische Salzbrezeln!“
„Wiedergeburt“, schrie eine heisere Männerstimme, „das Haarwuchsmittel mit Erfolgsgarantie!“
„Hier gibt es reinweg alles“, sagte Fritz zu seinem staunenden Freund, der nur so dahintaumelte vor Schaulust. Die Straßenlaternen flammten auf, große, milchgesichtige Ballons, die über den Menschen hingen. Ein Kriegsversehrter hockte am Brunnen und verkaufte Schwefelhölzer mit seiner verbliebenen Hand.
„Es ist der Unterschied“, murmelte Fritz, „er macht einen so meschugge, Kleiner. Der Unterschied.“
Martin wusste nicht, was sein Freund meinte, aber er ahnte es natürlich.
„Gerade Seeleute verstehen es oft nicht“, begann Fritz wieder, „sie fahren Monate auf den einsamen Meeren herum. Dann kommen sie nach Hamburg. Die erste Hure nimmt ihnen schon die Hälfte der Heuer für einen elend schnellen und lieblosen Dienst. Dann kommen sie hierher, werden aufgesogen und ausgepresst, versinken in all dem Überfluss und kommen leer wieder nach oben wie eine Flasche, die sich unter Wasser verschüttet hat. Schon nach der ersten Nacht haben sie keinen Groschen mehr in der Tasche. Dann nehmen sie irgendeine Schinderarbeit am Hafen an oder fahren gleich mit dem nächsten Kahn wieder ab. Es ist der Unterschied, Kleiner! Er raubt dir die Vernunft. Merk’ dir das!“
Sie bogen in eine Seitenstraße ein. Die Schaufenster wurden kleiner: Ein Schuster, ein Schneider und die Leuchtschrift des Messerschmiedes Dörfer in dritter Generation.
„Da drüben ist es!“, sagte Fritz feierlich.
Martin war ein bisschen enttäuscht. Von außen machte das Haus nicht viel her: Kleine Fenster, vor denen blaue Gardinen hingen, eine schwach beleuchtete Tür und ringsum keine Menschenseele.
„Wir sind noch etwas früh dran!“, sagte Fritz. „Erst ab zehn geht es so richtig los. Aber wir können schon unsere Karten holen.“
Sie schritten forsch in die Empfangshalle. Auf dem Teppichboden konnte man allerlei Badeszenen beobachten. Martin lief gedämpften Schrittes auf den Bildern nackter Damen und Herren herum. Fritz kümmerte sich inzwischen um das Geschäftliche.
„Die Herren wünschen sich zu amüsieren?“, fragte eine Dame in die Untiefen ihres Dekolleté hinein.
„Jawohl“, sagte Fritz Teumer, der Leichtmatrose und hinterlegte das geforderte Geld. Nun bekam er eine Karte mit Bändchen an der Seite.
„Und was ist mit dem verträumten Jüngling dort?“, fragte die Dame.
„Ein Anfänger, mit Verlaub!“, sagte Fritz. „Geld hat er kaum, aber mit dieser kleinen Kostbarkeit wird es schon gehen, nicht wahr?“ Die Dame nahm das Kistchen Pepe in die Hand und prüfte das Gewicht.
„Ihr Kerle habt doch keine Bambushölzchen drin?“
„Wo denken Sie hin!“
„Man erlebt hier so manches, mein Lieber. Ich habe schon eine vollständig versiegelte Flasche Champagner entgegengenommen, in der nichts als Seifenwasser war. Nun gut, der Kleine muss es sowieso mit seiner Erwählten selbst aushandeln. Gib ihm die Kiste zurück!“, sagte die Vollbusige und händigte die zweite Karte aus.
„Junge, das sind doch nur Bilder!“, sagte Fritz zu seinem in den Fußboden versunkenen Freund. „Das kommt alles noch viel besser. Hier, nimm!“
Und so kam das Zigarrenkistchen Pepe in den Genuss, das erlesenste Freudenhaus der Freien und Hansestadt Hamburg kennen zu lernen. Es schritt mit dem verklärten Martin durch den Saal. Dort saßen allerlei elegant gekleidete Herren und rauchten Pfeife oder lange Zigaretten. Auch ins Casino schlenderte Fritz mit seinem Freund, wo die Großkopfer, wie er sagte, ihr Geld verspielten. Die Herren saßen an einem riesigen Tisch und starrten so fiebrig auf den Lauf der Kugel, als ob ihr Schicksal davon abhinge.
„Der Reeder Emsmussen hat hier im Laufe der Zeit seine neun Schiffe verloren und sich dann im Stadtpark aufgeknüpft. Spielen ist noch schlimmer als Saufen. Lass am besten von beidem die Finger!“
Wir sehen bewundernd: Fritz Teumer war seinem jugendlichen Gefährten ein wirklich guter Freund. Er bemühte sich, ihn vor dem Schlimmen zu bewahren und zum Schönen zu verführen.
Das Schöne war freilich noch nicht da. Es war gerade mal acht und die Damen marschierten erst Punkt Zehn in einer langen Parade ein. Aber die so genannten Badenixen arbeiteten schon. Gegen ein kleines Trinkgeld massierten sie sogar die müden Schultern und Rücken. Sie trugen hochgeschlossene Kleider und ließen sich auf keinerlei Wünsche eines verfrühten, durch Baddämpfe und eigene Nacktheit erwachten Begehrens ein. Im Badesaal war um diese Zeit noch wenig los. Martin hatte zunächst Probleme mit dem Entkleiden, denn es bestand noch eine beträchtliche Unausgewogenheit zwischen seinem männlichen Sehnen und seiner kindliche Scham.
„Das erste Mal?“, fragte eine Frau, die schon jenseits der mittleren Jahre war.
„Ja, sozusagen.“
„Delegiert?“, fragte sie.
„Bitte?“
„Ob du vom Vater geschickt worden bist, Kleiner?“
„Ich habe keinen Vater.“
„Ach so, weißt du, die vermögenden Väter schicken ihre Söhne gern zu uns. Sie sollen das Handwerk von Professionellen lernen. Und nun setz dich da rein! Es dampft zwar ordentlich, aber du wirst dich nicht verbrühen.“
Martin ließ sich in das Schaumbad fallen. Es war wunderbar. Nicht weit von ihm sang Fritz Teumer aus vollem Halse die Hymne der Bayern, die noch vor wenigen Tagen der gerührte Alois unter allerlei Tränen gehört hatte, bevor er gemeuchelt auf den Meeresgrund sank, wo er das Gebirg’ nun endgültig nicht mehr sehen wird.
„Na, wie ist es?“, rief Fritz, als er seinen Gesang beendet hatte.
„Wunderbar“, erwiderte Martin aus dem Schaum heraus, „aber sie hat meine Sachen fortgetragen.“
Fritz lachte: „Die bekommst du schon zurück. Nach der Wanne geben sie einem immer Bademäntel. Die muss man sich später, wenn die Bescherung kommt, nicht einmal selbst ausziehen.“ Martin verspürte wieder dieses flaue Gefühl in der Magengegend. Man konnte sich furchtbar blamieren bei diesen Dingen.
„Hier Kleiner, ich leg alles auf den Stuhl“, sagte die Badedame.
„Deine Zigarren stehen auch dabei. Du lässt sie wohl niemals aus dem Auge?“
„Ich brauche sie zum