Friedrich Engels. Jürgen Herres
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Friedrich Engels - Jürgen Herres страница 24
Das Finanzkapital schafft „organisatorisch die letzten Voraussetzungen für den Sozialismus“, gleichzeitig „macht es auch politisch den Übergang leichter.“ Dieser Übergang ist nicht gewaltlos, das Ende des Kapitalismus ist nicht Folge eines ökonomischen Zusammenbruchs, wohl aber einer finalen Katstrophe politökonomischer Natur: Das Finanzkapital „vollendet die Diktatur der Kapitalmagnaten. Zugleich macht es die Diktatur der Kapitalbeherrscher des einen Landes immer unverträglicher mit den kapitalistischen Interessen des anderen Landes und die Herrschaft des Kapitals innerhalb des Landes immer unvereinbarer mit den Interessen der durch das Finanzkapital ausgebeuteten, aber auch zum Kampf aufgerufenen Volksmassen. In dem gewaltigen Zusammenprall der feindlichen Interessen schlägt schließlich die Diktatur der Kapitalmagnaten um in die Diktatur des Proletariats.“72
Eine originelle Konjunktur- und Krisentheorie des Kapitalismus entwickelte Otto Bauer im Zusammenhang seiner Kritik an Rosa Luxemburgs Die Akkumulation des Kapitals.73 Der mechanischen Zusammenbruchstheorie Luxemburgs stellte Bauer eine auf dem Kapital basierende Krisentheorie gegenüber. In dieser Krisentheorie gibt es einen Anpassungsmechanismus, der es dem Kapitalismus ermöglicht, die Bedingungen für gleichgewichtige Akkumulation immer wieder herzustellen. Maßgebliche Bestimmungsfaktoren des Krisenzyklus sind dabei das Wachstum der Bevölkerung bzw. des Arbeitskräftepotentials einerseits und die langfristige Tendenz zur Zunahme der organischen Zusammensetzung des Kapitals (c/v, Verhältnis von konstantem zum variablen Kapital). Die Akkumulation „vollzieht sich ohne Störung, sofern sie nur in einem bestimmten Größenverhältnis bleibt einerseits zum Wachstum der Bevölkerung, andererseits zur Entwicklung der Produktivkraft, die sich in dem Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals ausdrückt“. Eine „objektive Grenze der Akkumulation“ sieht Bauer dann gegeben, wenn Bevölkerung und Arbeitskräftepotential nicht mehr wachsen. „Akkumulation wäre dann nur mehr in dem Maße möglich, als die Entwicklung der Produktivkräfte zusätzliches konstantes Kapital zur Beschäftigung einer unveränderten Arbeitermasse erheischt“. Allerdings wird der Kapitalismus schon „früher gefällt“, nicht durch die Unmöglichkeit der Mehrwertrealisierung, sondern als Folge einer „wachsenden Empörung … der Arbeiterklasse“.74
Weichen diese Krisentheorien in ihren Argumentationen grundlegend von der Version von Karl Marx ab, so haben sie jedoch beide eine markant anti-revisionistische Tendenz, indem sie eine finale Krise prognostizieren.
DER AUSTROMARXISMUS – THEORIE UND POLITIK 75
„Austromarxismus“ war ursprünglich eine Sammelbezeichnung von österreichischen Autoren des wissenschaftlichen Sozialismus. Mit den in dem kurzen Zeitabschnitt von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg erschienenen Publikationen Rudolf Hilferdings, Karl Renners, Otto Bauers und Max Adlers erlangte die bis dahin kaum existente Theorieproduktion der alt-österreichischen Sozialdemokratie in kurzer Zeit eine hohe internationale Reputation.
Otto Bauer (1881–1938), 1919.
Auf der Grundlage der orthodox-marxistischen, nicht-revisionistischen politischen Ökonomie waren die Austromarxisten bestrebt, den wissenschaftlichen Sozialismus im Kontext zeitgenössischer sozialwissenschaftlicher (z. B. Österreichische Schule der Nationalökonomie) und philosophischer Strömungen (Neukantianismus) zu positionieren, unter Berücksichtigung von neuen Entwicklungstendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft der Zeit nach Marx.
In seinem Beitrag „Kausalität und Teleologie im Streite um die Wissenschaft“ zum 1. Band der Marx-Studien versuchte der Philosoph Max Adler (1873–1937) eine Synthese zwischen der Erkenntnistheorie Kants und der Marx’-schen Gesellschaftstheorie.76 Allerdings fällt dem Versuch einer Kantischen Fundierung des Marxismus die dialektisch-materialistische Erkenntnistheorie zu Opfer. Die geringe theoretische Kohärenz der Theorieansätze des wissenschaftlichen Austromarxismus zeigt sich etwa darin, dass Renner eine naiv-positivistische Erkenntnistheorie vertrat, in seinen politökonomischen Auffassungen stärker Lassalle als Marx und Engels verpflichtet erscheint. In der Frage des Verhältnisses von Theorie und Praxis bestanden erhebliche Meinungsdifferenzen zwischen den aktiven Politikern Renner und Bauer und Max Adler, den Renner als „marxistischen Scholastiker“77 bezeichnete.
Karl Renner (1870–1950), um 1905.
Anknüpfend an Victor Adlers Formel über das Verhältnis von Reform und Revolution ist die Verbindung von revolutionären marxistischen Zielsetzungen und Klassenkampf mit praktischer Reformarbeit in der Gegenwart das grundlegende Merkmal des „politischen Austromarxismus“ der Zwischenkriegszeit.78 Der Austromarxismus ist antirevisionistisch und vermeidet Kritik an einzelnen Theoremen von Marx und Engels.79 Deutlich ist die Abgrenzung zum bolschewistischen Kommunismus80 durch das Festhalten am demokratischen Parlamentarismus bei konsequenter Ablehnung von Gewalt als Mittel zur Erlangung der politischen Macht, auch auf Seiten des linken Parteiflügels. Als Vermächtnis Victor Adlers wirkte in der Partei auch in der Zeit der Republik ein starkes Streben nach Einheit zwischen rechten und linken Strömungen nach, um eine Spaltung der Arbeiterbewegung wie in Deutschland nach dem Weltkrieg zu vermeiden.
Als sich am Ende des Weltkriegs das heutige Österreich als demokratischen Republik konstituierte,81 sah sich die Sozialdemokratie, die mit Renner den Staatskanzler und zahlreiche Minister stellte, plötzlich in den Besitz der Staatsmacht gelangt, allerdings in einer Koalitionsregierung ohne eigene parlamentarische Mehrheit. In dieser Phase extremer politischer Instabilität verfolgte die Partei eine anti-revolutionäre Politik. Im Unterschied zu Deutschland gelang es, gewaltsame Aktionen der sog. Roten Garden zu verhindern, vor allem aber, die Kontrolle über die Arbeiterräte zu erlangen und so einer kommunistischen Rebellion den Boden zu entziehen. Ebenso bedeutend war die soziale Reformpolitik der unmittelbaren Nachkriegsjahre. Unterstützt vom Druck aus den Betrieben und von der Straße konnte die Sozialdemokratie eine Vielzahl von Sozialgesetzen durch das Parlament bringen, welche die soziale und wirtschaftliche Lage der Arbeiter kurzfristig fühlbar verbesserten und dadurch wahrscheinlich entscheidend zur Beruhigung der politischen Lage beitrugen.82 Langfristig bilden die Gesetze bis heute die Grundlage des modernen Sozialstaats. Allen Aufforderungen von Seiten der ungarischen Räteregierung, ihrem Beispiel zu folgen, erteilte die österreichische Sozialdemokratie eine klare Absage.
Durch die Parlamentswahlen von 1920 wurden die Christlichsozialen zur stärksten Partei. Im Gesamtstaat auf die Oppositionsrolle beschränkt, behielt die Sozialdemokratische Partei die unangefochtene politische Kontrolle über die Bundeshauptstadt Wien, wo weitreichende soziale Reformmaßnahmen verwirklicht wurden („Rotes Wien“). Die Neuausrichtung der politischen Strategie wurde durch die Oppositionsrolle entscheidend geprägt.
In der Opposition bestimmte Otto Bauer den politischen Kurs der Partei. In seinem Buch Die österreichische Revolution (1923) hatte er die Beteiligung an einer Regierungskoalition mit einer der bürgerlichen Parteien von der Bedingung abhängig gemacht, „ob die Koalitionsregierung ein zweckdienliches, ein wirksames Mittel im Klassenkampf sein kann.“83 Für die Erreichung einer absoluten Mandatsmehrheit bei Parlamentswahlen hätte die Partei allerdings die Stimmen beträchtlicher Teile der bäuer-lichen und „kleinbürgerlichen“ Bevölkerungsgruppen gewinnen müssen. Das bedeutete reformistische Politikangebote, großteils ohne „revolutionäres Potenzial“,