Friedrich Engels. Jürgen Herres

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Friedrich Engels - Jürgen Herres

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der als Redakteur des „Vorwärts“ seiner Ansicht nach zu nachsichtig über zu kompromissbereite Parteien in Frankreich und England berichtete,44 sowie an dessen Neigung zu „vulgärdemokratischen und vulgärsozialistischen Phrasen.“45 Handelte es sich dabei eher um alte Querelen, so berührte ein anderer Konfliktstoff ein ernstes Problem. Bei verschiedenen Gesetzgebungsmaterien, die im Reichstag verhandelt wurden, z. B. in der Agrarfrage, plädierte der bayrische Abgeordnete Georg von Vollmar dafür, Schutzmaßnahmen für Bauern zu unterstützen. Für Wahlerfolge in den ländlichen Wahlkreisen könne die Partei „unmöglich viele Anhänger gewinnen, wenn sie den Bauern nur predige, dass ihr Untergang unabwendbar sei.“46 Ein Zwiespalt ähnlicher Art zeigte sich in der Frage einer Subventionierung von Schiffswerften (sog. „Dampfersubventionsfrage“).47 Für Bebel wurde es mit der Zeit schwieriger, die Partei auf die von Engels vorgegebene Linie festzulegen.

      In Österreich war die Partei erst seit 1897, also nach Engels’ Tod, im Parlament vertreten, bis zur Einführung des allgemeinen Stimmrechts nur mit einer kleinen Zahl von Abgeordneten. Unter der Bedingung der Machtlosigkeit im Vergleich zur deutschen Partei stellten sich solche Fragen vorerst nicht. Eindeutig die oberste Priorität als politische Zielsetzung hatte das allgemeine Stimmrecht.48 Verbesserungen im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitszeit wurden durch Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften erreicht, die seit der Gründung der Partei eine starke Entwicklung verzeichnen konnten. Der erste Kongress der österreichischen Gewerkschaften, bei dem 69 Vereine vertreten waren, fand 1893 statt.49

      Die späte Gründung der Parteiorganisation hatte auch zur Folge, dass eine intellektuelle Diskussion über theoretische und strategische Fragen sich in Österreich erst spät entwickelte. Zwar boten die Parteizeitungen auch die Möglichkeit, längere Abhandlungen zu veröffentlichen.50 Victor Adler betrachtete sich selbst nicht als Theoretiker, publizierte aber mehrere Aufsätze zu grundsätzlichen Fragen in der von Kautsky herausgegebenen und in Deutschland erscheinenden „Neuen Zeit“. Erst mit der Monatszeitschrift „Der Kampf“ hatte die Partei seit 1907 ein eigenes theoretisches Publikationsorgan. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gab, wie z. B. über die Taktik in der Wahlrechtsauseinandersetzung, so war es nicht zuletzt auch die überragende Autorität Victor Adlers, der mit Kompromissformulierungen Gegensätze zu überbrücken vermochte.

      Engels erwartete von großen Erfolgen der österreichischen Partei positive Auswirkungen auf die Entwicklung insbesondere der deutschen Sozialdemokratie. Mit Bezug auf die damals aktuelle politische Auseinandersetzung um die Reform des Wahlrechts schrieb Engels an Karl Kautsky am 3. November 1893: „Österreich ist jetzt das wichtigste Land in Europa, wenigstens für den Moment. Hier liegt die Initiative, die in ein bis zwei Jahren auf Deutschland und andere Länder zurückwirken wird.“51 Von einem baldigen Erfolg der österreichischen Partei erwartete er einen Anstoß für die SPD, den Kampf um das allgemeine Wahlrecht in Preußen, wo immer noch ein Dreiklassen-Wahlrecht galt, aufzunehmen.

      Eine Revolution – mit oder ohne Gewalt – musste sich nach Engels’ Auffassung mehr oder weniger gleichzeitig in allen fortgeschrittenen Staaten vollziehen. Der Anstoß dazu konnte aber durchaus von Revolutionen in rückständigen Ländern kommen. „Ein Sturz des zarischen Despotismus, die Revolution in Russland … wird auch der Arbeiterbewegung des Westens einen neuen Anstoß und neue, bessere Kampfbedingungen geben und damit den Sieg des modernen industriellen Proletariats beschleunigen.“52

      In Österreich kam der letzte Anstoß für das allgemeine Wahlrecht von der russischen Revolution 1905. Diesmal entschied sich Victor Adler – anders als 1893 – dafür, wenn notwendig den Massenstreik als „letztes Mittel“ einzusetzen. Als 1906 die Reform im Reichsrat zu scheitern drohte, wurden Vorbereitungen zu einem Generalstreik getroffen. Der Druck von der Straße trug wesentlich dazu bei, dass die Reform Ende 1906 beschlossen wurde.

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      Eduard Bernstein (1850–1932), 1895.

       REFORMISMUS UND REVISIONISMUS

      Nach zwei Jahrzehnten parlamentarischer Tätigkeit mehrten sich in der SPD die Anzeichen, dass das Verhältnis von politischer Alltagsarbeit und revolutionärem Endziel nicht so einfach zu lösen wäre, wie es Engels in seiner Strategie für einen Weg zum Sozialismus dargestellt hatte. Das Erfurter Programm versuchte diese Spannung dadurch aufzulösen, dass einem marxistischen theoretischen Teil, in dem die Partei auf eine (nicht notwendigerweise) revolutionäre Überwindung des Kapitalismus („Zukunftsprogramm“) festgelegt wurde, ein Katalog von reformistischen „Gegenwartsforderungen“ angefügt wurde, ohne Aussage, wie der Kampf um Gegenwartsforderungen konkret zur Erreichung des Endziels beitragen solle. Dass diese Spannung weiter bestand, zeigt der Umstand, dass sich in einigen Fragen tief ins Grundsätzliche gehende Debatten entwickelten: in der Agrarfrage, zu der Engels in einem längeren Aufsatz in der „Neuen Zeit“ noch einmal ausführlich Stellung nahm,53 und über den Begriff „Staatssozialismus“. Wenn für Bismarck „der Staatssozialismus nur ein Mittel zur noch wirksameren Fesselung des Volkes“ war, so kam es Georg von Vollmar darauf an, „welchen Gebrauch der Staat von dem ihm zustehenden Rechten zu machen habe, d. h. in welchem Sinn und von wem der Staat zu leiten sei.“ Für ihn war kein Zweifel möglich, dass diese Rolle „bei fortschreitender Demokratisierung der Staatsgewalt“ die Sozialdemokraten übernehmen wür den. Deshalb sah er „keinen Grund, den Gedanken des Staatssozialismus an sich mit besonderem Eifer zu bekämpfen.“54

      Innerparteiliche Konflikte ähnlicher Art entwickelten sich in Österreich nicht, obwohl Struktur und Forderungskatalog des Hainfelder Programms dem Erfurter Programm ähnlich sind. Anders als in Deutschland war es in Österreich die Gruppe der Radicalen, eine „Bakunistisch-anarchistische“ Strömung, und nicht eine Lassalleanisch-staatssozialistische Richtung, die auf ein marxistisches Programm verpflichtet wurde. Der Unterschied zwischen dem Staatssozialismus und dem marxistischen Sozialismus war in der österreichischen Partei zunächst kaum relevant. Die Versuchung zum Abgleiten in den Reformismus ging in Deutschland von der nun schon Jahrzehnte langen parlamentarischen Arbeit aus. Eine relevante Vertretung im Parlament hatte die österreichische Partei erst seit 1907, bis dahin waren hauptsächlich die Gewerkschaften ein gewisser Nährboden für den Reformismus. Dazu kommt, dass das Nationalitätenproblem die Partei in zunehmendem Maße beschäftigte.

      Ein innerparteilicher Konflikt von weit größerer Intensität entwickelte sich in der SPD, als Eduard Bernstein nach dem Tod von Engels seine revisionistischen Thesen in einzelnen Beiträgen, systematisch entfaltet in seinem Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ (1899) veröffentlichte. Anders als die reformistischen Querelen betraf der Bernstein’sche Revisionismus die Kernbereiche der sozialistischen Theorie und der politischen Strategie des Wegs zum Sozialismus. In Frage gestellt war nichts weniger als die „geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“: die unter dem Druck des „Gesetzes des tendenziellen Falls der Profit-rate“ immer weiter fortschreitende Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die Eliminierung der besitzenden kleinbürgerlichen und bäuerlichen Gesellschaftsschichten, die zunehmende Ausbeutung und „Verelendung“ der proletarischen Arbeiter, Zunahme der Schärfe der periodischen Wirtschaftskrisen, etc., alle Tendenzen in ihrem Zusammenwirken in eine finale Krise mündend, in der das im Klassenbewusstsein geeinte Proletariat in einem „revolutionären“ Akt dem kapitalistischen System ein Ende bereitet. Damit wäre es mit der quasi-naturgesetzlichen Gewissheit des Sieges der sozialdemokratischen Bewegung vorbei gewesen.

      Dass Victor Adlers Autorität auch nach Deutschland ausstrahlte, zeigt sich darin, dass er von Anfang an in die heftige Kontroverse, die Bernsteins Thesen auslöste, involviert wurde. Adlers Haltung in dem Konflikt zeigt eine gewisse Ambivalenz. Immer wieder betont er, dass er Bernsteins Thesen für unrichtig halte, aber im selben Atemzug sagt er schon in seiner ersten Stellungnahme, er verstehe

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