Friedrich Engels. Jürgen Herres
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Wuppertal und Düsseldorf, im April 2020
Eberhard Illner Hans Frambach Norbert Koubek
Paul Friedrich Meyerheim, Lokomotiv-Montagehalle Borsig, 1873.
EINLEITUNG
Seit der Industriellen Revolution vor 200 Jahren gelten Technik, Arbeit und Kapital als entscheidende Bestimmungsgrößen des ökonomischen und sozialen Fortschritts von Gesellschaften. Zwar hat es schon immer in der Weltgeschichte der Zivilisation Technik gegeben, spätestens seitdem der Mensch Werkzeuge entwickelt hat und Feuer entzünden konnte. Auch ist Arbeit immer schon das konstitutive Element des Menschen gewesen, um in der Auseinandersetzung mit der Natur überleben zu können. Und verschiedenste Formen von Kapital kamen in unterschiedlichsten Hortungs- und Austauschzusammenhängen zu allen Zeiten vor, in denen Menschen miteinander in Beziehungen traten. Am Ende dieser Entwicklungen, die sich mit Attributen wie evolvierend, dynamisch und irreversibel beschreiben lassen, steht unter anderem das, was wir heute im allgemeinen Sinne als „Kapitalismus“ bezeichnen, verstanden als ein ökonomisches und soziales Universalsystem des Ausnutzens von Gewinnchancen durch produktiven und spekulativen Kapitaleinsatz zu Zwecken der Reinvestition und Konsumption. In dieser Interpretation hat der „Kapitalismus“ so gut wie alle Gesellschaften der Welt in den vergangenen 200 Jahren stärker geprägt als sämtliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen zuvor. Von der Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus hängt es ab, ob und inwieweit er gegenwärtige und künftige Herausforderungen wird bewältigen können. Karl Marx und Friedrich Engels gaben dieser Produktionsform bereits 1848 noch während seiner Entwicklungsphase keine Zukunft und suchten dies theoretisch zu begründen. Offen ist, ob sie an der Vorstellung eines notwendigen Zusammenbruchs des Kapitalismus wirklich bis zum Schluss festhielten.
Mittels historisch-kritischer Aufbereitung bisheriger Verlaufswege und theoretischer Erklärungsmuster der im kapitalistischen System aufgetretenen Entwicklungen sowie Aufnahme der nicht geringen Erkenntnisse von Zeitgenossen – durchaus mit Engels und Marx kontrastierend –, soll mit dem vorliegenden Band zu einem besseren Verständnis auch gegenwärtiger Problemlagen beigetragen werden. Aufgerufen werden Fragen, wie sich Technik, Arbeit und Kapital in der Geschichte des ökonomischen Denkens und insbesondere an der Schwelle zum „Kapitalismus“ europäischer Prägung, also im „langen 19. Jahrhundert“ zwischen etwa 1780 und 1914, als zentrale Kategorien entwickelt haben, wie sich deren Verhältnis zu- und untereinander real dargestellt hat und wie es von aufmerksamen Beobachtern in jener Zeit aufgefasst und verstanden worden ist. Die damals neu auftauchenden Probleme zeitversetzter Entwicklungen und massiver konjunktureller Schwankungen während der Aufbruchsphase in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert stellten die Zeitgenossen vor immense Herausforderungen. Im Versuch, Antworten zu finden, griffen viele – wie es den Usancen der Zeit entsprach – auf Theorien zurück, die der Kameralistik, den Staatswissenschaften oder der Philosophie David Humes wie auch Georg Wilhelm Friedrich Hegels entlehnt waren.
Der Journalist und spätere Textilkaufmann Friedrich Engels (1820-1895) setzte sich bereits in jungen Jahren prägnant und meinungsstark mit jenen Kernfragen globaler Entwicklung auseinander. Der Mann aus der Praxis hatte sein Wissen autodidaktisch erarbeitet. Er war zwar kein guter Redner, aber dank seiner gewandten Feder und seiner Fremdsprachenkompetenz wurde er zu einem international beachteten Journalisten. Seine eigenständigen und facettenreichen Beiträge, die bis heute vom langen Schatten von Karl Marx verdeckt werden, reichen in geradezu enzyklopädischer Breite von literarischen zu historischen, von militärwissenschaftlichen zu technischen, von anthropologischen zu naturwissenschaftlichen und nicht zuletzt von politischen hin zu ökonomischen Schriften.
Im Mittelpunkt des Überblickbeitrags von Jürgen Herres steht ein unscheinbares Blatt Papier, dem der 70-jährige Friedrich Engels den ironischen Titel Meine unsterblichen Werke gab und auf dem er seine zahlreichen Publikationen über vielfältige Themen auflistete. Schon als Kaufmannslehrling hatte er begonnen, Gedichte und Berichte zu veröffentlichen. Sein Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England 1845 befeuerte die Diskussion um die soziale Frage und ihre ökonomischen Ursachen. Er war ein halbes Jahrhundert ungemein produktiv und rangiert in dem von der UNESCO herausgegebenen „Index Translationum“ (Liste übersetzter Literatur) unter den ersten fünfzig Bestseller-Autoren der Welt. Seine Schriften sowie jene zu Lebzeiten nicht veröffentlichten Manuskripte, wie z. B. die später zur Dialektik der Natur zusammengefassten Entwürfe, sollten nicht zu kohärenten „Werken“ vereindeutigt werden.
Seit vielen Jahrzehnten bewegt die Forschung das sogenannte „Marx/Engels Problem“ und damit die Frage, in welchem Maße Friedrich Engels als Sachwalter und Vertrauter von Karl Marx durch seine popularisierenden Schriften wie etwa Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft und insbesondere nach dessen Tod am 14. März 1883 mit der Herausgabe der Bände 2 und 3 des Kapitals dafür gesorgt hat, dass sich eine zugespitzt modifizierte und damit nicht mehr autorisierte Fassung der von Marx unbestimmt hinterlassenen Theorieelemente in der Rezeption der Werke von Marx hat verbreiten können. Engels war – vor dem Hintergrund, dass einige uns heute bekannte Schriften zu Ende des 19. Jahrhunderts noch gar nicht veröffentlicht oder dem Publikum als solche bekannt waren – der Dreh- und Angelpunkt für die Marx-Rezeption durch die erste Generation marxistischer Theoretiker und Politiker. Wilfried Nippel wird zu dieser zentralen Frage heutigen Verständnisses der Werke von Marx und Engels aus quellenkritischer Sicht Einsichten eröffnen, die für nicht wenige „Marxologen“ unserer Tage überraschende Tatsachen bieten.
Der ab Ende 1849 in England lebende Friedrich Engels hat immer wieder aus dem Exil heraus versucht, auf die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien auf dem Kontinent Einfluss zu nehmen, mit mehr oder minder großem Erfolg. In den 1880/1890er Jahren begleitete Engels den in Österreich von Victor Adler beschrittenen Weg der sozialdemokratischen Bewegung. Günther Chaloupek verdeutlicht die Argumente und Positionen von Engels, um der 1889 gegründeten sozialdemokratischen Arbeiterpartei einen pragmatischen und programmatischen Weg zu einem sozialistischen Österreich zu eröffnen.
Carl Eduard Biermann, Borsig’s Maschinenbau-Anstalt zu Berlin, 1847.
Nach herrschendem Denkmuster stellte sich die Industrialisierung als eine durch technische Erfindungen ausgelöste „Revolution“ dar, obwohl es sich hier genauer betrachtet um die Realisierung bereits vorhandener Inventionen in Form von Innovationen handelte. Dieser mannigfache Wandel in Bereichen wie der Energieversorgung, der Rogstoffgewinnung, der Materialbearbeitung und Herstellungstechnik, der Mobilität und des Transportwesens, der Kommunikation, der Chemie oder Pharmazie wurde als „Siegeszug der Technik“ überwiegend positiv aufgenommen und führte zu einer Neujustierung des Verhältnisses von Mensch und Maschine. Es konstituierte sich Ingenieurtechnik als Grundlagenwissenschaft mit der Folge, dass in England bereits früh Konzepte einer Theorie der Technik entwickelt wurden. Mit Anleihen bei den damals aktuellen Wissenschaftstheorien, dem Empirismus und dem Positivismus, skizzierte Engels Ansätze einer Technikanthropologie, die sich durchaus vom Maschinenverständnis des Hegelianers Karl Marx unterschied, der nach eigenem Bekunden nur geringe technische Sachkunde aufzuweisen hatte, nichts desto trotz im Kapital zur Explikation der Entwicklung der Produktivkräfte ein neues theoretisches Mensch-Maschine Verhältnis zu definieren hatte, das die technische Modernisierung reflektierte. Eberhard Illner vergleicht die Technikvorstellungen bei Friedrich Engels, Karl Marx und Ernst Kapp,