Friedrich Engels. Jürgen Herres

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nur geringen Anteil hatte. Das im Handwörterbuch gedruckte Schriftenverzeichnis, das gegenüber der handschriftlichen Liste einige Ergänzungen enthält, verwies allerdings auf den kurz zuvor – anlässlich des 70. Geburtstags von Engels – erfolgten Wiederabdrucks in der sozialdemokratischen Zeitschrift Die Neue Zeit.17

      Engels in Manchester und Marx in Paris hatten eine ähnliche intellektuelle Wandlung vollzogen. Als sie 1844 zunächst briefl ich in Kontakt traten und sich dann zehn Sommertage lang in Paris trafen, sahen beide im Sozialismus und Kommunismus ihre gesellschaftsverändernde Perspektive. In den Mittelpunkt ihres Denkens begann „die moderne bürgerliche Gesellschaft“ zu rücken, „die Gesellschaft der Industrie, der allgemeinen Concurrenz, der frei ihre Zwecke verfolgenden Privatinteressen, der Anarchie, der sich selbst entfremdeten natürlichen und geistigen Individualität“, wie Marx in der Heiligen Familie schrieb. Die Französische Revolution von 1789 sei keineswegs ein dem 18. Jahrhundert angehörendes Experiment, wie Marx als gemeinsame Quintessenz formulierte, vielmehr betrachteten sie die aus ihr hervorgegangene „kommunistische Idee“ als „die Idee des neuen Weltzustandes“.18

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      V. Poljakov, Karl Marx und Friedrich Engels bei der Arbeit am Kommunistischen Manifest, 1961.

      Die zweite Publikation, die Engels auflistet, ist sein Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England, das er nach seiner Rückkehr im heimatlichen Wuppertal von Herbst 1844 bis März 1845 niederschrieb und das im Mai 1845 erschien. Es machte ihn im deutschen Sprachraum bekannt.19 Für die englische Übersetzung, zu der es erst viel später, 1885/87, kam, verfasste er eine Vorrede und ein Appendix, die er ebenfalls in seinem Schriftenverzeichnis aufführt.20 Am Beispiel der Baumwollverarbeitung in England zeichnet er die Entwicklung der großen Industrie sowie die Herausbildung eines verelendeten Industrie- und Ackerbauproletariats nach. Er untersucht die Wohn-, Gesundheits-, Ernährungs- und Bildungssituation in den gettoisierten Elendsvierteln der großen Städte, in denen ein brutaler sozialer Krieg herrsche. Sein Buch ist eine soziologische Monografi e, aber zugleich auch eine moralische Anklageschrift. Noch 2007 führte Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe Salvi Engels als Kronzeugen für die „grauenvollen Lebensbedingungen“ der Industriearbeiter an, die er „in einer erschütternden Weise“ geschildert habe.21

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      Entwurf zum Manifest der Kommunistischen Partei, Handschrift Marx, die oberen beiden Zeilen von seiner Frau Jenny Marx; heute UNESCO-Weltdokumentenerbe.

      An dritter Stelle der handschriftlichen Liste fi guriert das Manifest der kommunistischen Partei, das, im Winter 1847/48 in Brüssel geschrieben, im März 1848 in London ausgeliefert wurde.22 Marx hat zeit seines Lebens Engels immer als gleichberechtigten Mitverfasser bezeichnet, obwohl er zumindest die Abschnitte eins und zwei des Textes aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Zug allein niederschrieb. Darauf weist die einzige Manuskriptseite hin, die überliefert ist und heute zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählt.23 Die unfertigen und off ensichtlich in noch größerer Eile niedergeschriebenen Abschnitte drei und vier, in denen gegen die zeitgenössische sozialistische und kommunistische Literatur polemisiert wird und die nächsten Aufgaben der Kommunisten in den verschiedenen Ländern skizziert werden, wurden möglicherweise unter direkter Mitwirkung von Engels fertiggestellt, der, aus Paris ausgewiesen, Ende Januar 1848 wieder nach Brüssel zurück gekommen war.24 Den Auftrag dazu hatten sie im Dezember 1847 in London auf dem Gründungskongress des Bundes der Kommunisten erhalten, eines Geheimbundes von emigrierten Intellektuellen und Handwerkeraktivisten.25

      Im Manifest fassten Marx und Engels ihre materialistischen Auff assungen von Geschichte und Gesellschaft zusammen, die sie seit 1844 entwickelt hatten. Politische Bewegungen, Institutionen und Ideen werden als historisch und klassenmäßig basiert beschrieben, letztlich bedingt durch makrogesellschaftliche Basis -prozesse wie die Entfesselung der Produktivkräfte, die mit der industriellen Revolution zuerst in Großbritannien und dann im beginnenden 19. Jahrhundert auch im westlichen Kontinentaleuropa eingesetzt hatte. Dem Wirtschaftsbürgertum, der „Bourgeoisie“, wird eine „höchst revolutionäre Rolle“ attestiert, die sich in beeindruckenden „Umwälzungen der Produktions- und Verkehrsweise“ manifestiere, aber ebenso auch in einem „entsprechenden politischen Fortschritt“.26 In einer Art Fortschrittsdialektik wird an die immanente Widersprüchlichkeit des Kapitalismus die Möglichkeit kollektiver Befreiung geknüpft, deren Subjekt das revolutionäre „Proletariat“ sein soll.

      Im Frühjahr 1848 vermutlich in ein- bis zweitausend Exemplaren auf dem europäischen Kontinent verbreitet,27 entfaltete das Manifest in der Revolution von 1848/49 kaum Wirkung. Seine eigentliche Wirkungsgeschichte begann erst 1872 und vor allem im 20. Jahrhundert, in dem es in erster Linie als kommunistisches Parteiprogramm gelesen wurde.28 1998, an seinem 150. Geburtstag, wurde es dann als hellsichtige Darstellung der kapitalistischen Globalisierung entdeckt. Der britische Historiker Eric Hobsbawm zeigte sich „verblüff t … über die Schärfe der Vision eines – damals noch weit in der Zukunft liegenden – wahrhaft globalen Kapitalismus“.29

      Mit den erwähnten vier Publikationen werden diese für Engels und Marx prägenden Jahre in Manchester, Brüssel und Paris nur unzureichend erfasst. Von Manchester aus schilderte Engels in zahlreichen Korrespondentenberichten deutschen Oppositionszeitungen die britischen Politik- und Sozialverhältnisse und englischen Blättern die kontinentaleuropäischen. In der von Robert Owen herausgegebenen britischen Zeitung The New Moral World behauptete er, England, Frankreich und Deutschland, die drei großen und zivilisierten Länder Europas, hätten erkannt, dass eine durchgreifende Revolution der sozialen Verhältnisse auf der Grundlage des Gemeineigentums jetzt zu einer dringenden und unvermeidlichen Notwendigkeit geworden sei.30

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      Manifest der Kommunistischen Partei, 1848.

      In einer Artikelserie, die Engels noch vor seinem Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England veröffentlichte, beschrieb er 1844 die „Revolutionirung der englischen Industrie“ als eigendynamischen Prozess, der durch nichts aufzuhalten und „die Basis aller modernen englischen Verhältnisse“ sei.31 Die „Schöpfung des Proletariats durch die industrielle Revolution“ sah er „für England“ als das „wichtigste Resultat des achtzehnten Jahrhunderts“.32 Der Begriff „Proletariat“ hatte sich erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu verbreiten begonnen. Als Marx Ende 1843 das „Proletariat“ als revolutionäres Subjekt politisch deutete, dachte er noch nicht an die Industriearbeiter. Für ihn war es vielmehr ein Auflösungs- und Verfallsprodukt, eine „Menschenmasse“, die „vorzugsweise aus der Auflösung des Mittelstandes“ hervorgehe.33

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      „Capital and Labour“, 1843.

      1845/46 fanden sich Engels und Marx mit anderen Kommunisten in Brüssel in einer „kleine[n] deutsche[n] Kolonie“ (Jenny Marx)34 zusammen. Haus an Haus lebend, verfassten sie die als Deutsche Ideologie bekannt gewordenen Manuskripte.35 In ihnen lässt sich nachvollziehen, wie Engels und Marx, von der Religions- und Philosophiekritik kommend und die französischen und englischen Sozialwissenschaften und Sozialisten diskutierend, begannen, ihre „materialistische Geschichtsauffassung“ zu entwickeln. Ab 1890 sprach Engels auch vom „historischen Materialismus“.36 Ihr Ziel war, die Welt anders zu sehen, Zusammenhänge und Entwicklungen zu erkennen, aber auch die Grundlagen der Erkenntnisweisen zu erneuern. Als „praktische Materialisten, d. h. Kommunisten“ wollten

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