Together. Katrin Gindele
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So sehr ich dieses Monster auch hasste, leider hatte er recht mit seiner Behauptung. Nur ein einziges Mal war ich bis jetzt weiter von unserem Dorf entfernt gewesen als bis zu unserem jährlichen Treffpunkt vor der Winterruhe.
Als ich noch klein war, ungefähr so alt wie meine Schwester jetzt, hatte mich mein Vater in die Stadt mitgenommen. Einmal jährlich musste er dort seine Unterlagen hinterlegen, so wie jeder Mann einer Vorsteherin es schon seit Anbeginn der Zeit tat. Das war die Aufgabe meines Vaters, er zählte das Vieh in unserem Dorf, führte genau Buch über Geburten und Todesfälle, trieb die Steuern ein und kümmerte sich um die Belange der Bauern.
Der Ausflug war aufregend gewesen. All die großen Häuser und der Lärm auf den eng befahrenen Straßen, wo es von Pferdekutschen nur so wimmelte. Trotzdem hatte ich die Heimreise damals kaum erwarten können. Ich fühlte mich einfach nicht wohl in der Stadt. Seitdem blieb ich Zuhause, wenn Vater dort seine Geschäfte erledigte.
Meine Gedanken überschlugen sich.
Hier draußen in der Kälte, weit weg von unserem Dorf, war ich der Willkür dieser Scheusale schutzlos ausgeliefert.
Ich war die Tochter einer Vorsteherin, ich sollte hübsch aussehen und unser Haus repräsentieren.
Scheinbar war das alles, was ich konnte: Hübsch aussehen, lächeln, schöne Kleider tragen.
Mit einem prüfenden Blick auf meine Entführer wurde mir klar, dass ich ohne sie hier draußen in der Wildnis keinen einzigen Tag lang überleben würde. So sehr mich dieser Gedanke auch quälte, ich brauchte gar nicht erst versuchen abzuhauen, es sei denn, ich wollte erfrieren oder verhungern, ehe ich das Dorf erreichte. Falls ich es überhaupt jemals finden würde.
Mein Blick heftete sich erneut auf die Männerschar, die immer noch genüsslich an den Knochen nagten. Obwohl ich mir wirklich die größte Mühe gab, schien es mir unmöglich sie auseinanderzuhalten.
Irgendwie sahen alle gleich aus in ihren grauen Mänteln, mit Fell behängt. Groß, breitschultrig und vermummt von Kopf bis Fuß.
Außer den dunklen stechenden Augen, die unter ihren dichten Kapuzen hervorlugten, sahen sie einander viel zu ähnlich.
Aufmerksam betrachtete ich die Männer, auf der Suche nach irgendetwas, wovon ich profitieren konnte, und sei es auch nur ein klitzekleiner Hinweis auf eine Schwachstelle. Vielleicht gab es unter ihnen einen, von dem ich etwas Mitleid erhalten würde.
Wem wollte ich hier was vormachen?
Ich seufzte leise. Keines dieser Ungeheuer würde Mitleid zeigen, dessen war ich mir gewiss.
Ich hasste die Männer für das, was sie unserem Vieh angetan hatten. Und dafür, dass ich von ihnen verschleppt wurde. O ja, ich hasste jeden einzelnen von ihnen abgrundtief.
Allerdings würde sich an meiner Situation nichts ändern, solange ich nur hier im Schnee kauerte und den Kerlen böse Blicke zuwarf.
So oder so.
Um meine Situation zu verbessern, musste ich aktiv werden. Besser heute als morgen.
»Meine Mutter ist die Vorsteherin«, rief ich kurz entschlossen in die Runde, ehe mich der Mut verließ.
»Ich bin sicher, sie zahlt einen hohen Preis für meine Freilassung.«
Auch eine Horde wilder Nordmänner würde doch wohl hoffentlich meine Stellung anerkennen? Als Erstgeborene einer Vorsteherin, wenn ich diesen Titel auch nicht ausstehen konnte, sollte mein Leben einiges wert sein – zumindest hoffte ich das.
Wie auf Kommando verstummten sämtliche Gespräche und ausnahmslos alle Männer drehten den Kopf in meine Richtung. Unverhohlen starrten sie mich mit ihren beinahe schwarzen Augen an.
»Da ich die Tochter einer Vorsteherin bin«, sprach ich erhobenen Hauptes und versuchte nicht zu zittern, »haben wir mehr Geld als ihr alle zusammen. Meine Mutter wird euch für meine Freilassung sicherlich reich belohnen.«
Natürlich würde sie das, schließlich war ich ihr wertvoller als Gold und Gut.
Ein Mann erhob sich nun langsam und kam auf mich zu. Erst als er unmittelbar vor mir stand, erkannte ich den Nordmann, der zuallererst in unser Haus eingedrungen war. Sein stechender Blick heftete sich auf mein Gesicht.
Ich schluckte mehrmals, während er mich finster anschaute, dennoch versuchte ich mit aller Würde, die ich aufbringen konnte, seinem misstrauischen Blick standzuhalten.
»Scheiß auf dein Geld«, stieß er hervor und spuckte direkt vor mir in den Schnee. »Wir brauchen dein Geld nicht.«
Ohne noch etwas zu sagen, trat er den Rückweg an.
»Aber was ...«, rief ich ihm hinterher, von meiner Verzweiflung angetrieben.
Der Mann blieb auf halbem Wege ruckartig stehen und wirbelte zu mir herum.
»Was wollt ihr dann von mir?«, beendete ich meinen Satz ganz vorsichtig und leise.
Seine tiefbraunen Augen wirkten kalt und hasserfüllt, darum wagte ich es nicht, meine Stimme noch einmal zu erheben.
»Ich könnte eine Dienstmagd gebrauchen«, rief einer der anderen Männer. »Oder eine Braut für meinen Sohn.«
Die übrigen Nordmänner grölten vor Lachen.
»Eine Braut?«, echote der Mann, mit dem ich eben noch zu verhandeln versucht hatte. Dabei wurden seine Augen zuerst riesengroß, dann zog er die Brauen finster zusammen.
»Du würdest Matalo ernsthaft eine Südtochter ins Bett legen?«, fragte er den alten Mann.
Ich konnte den Ekel aus seinen Worten heraushören, den er für mich empfand.
»Vorher würde ich mich über die Klippen stürzen, das versichere ich dir«, schwor dieser mit eiskalter Stimme.
»Und ich würde freiwillig hinterher springen«, warf ein anderer ein.
Alle lachten über mich, laut und schamlos, während mir der Nordmann nun endgültig den Rücken zudrehte und sich zügig entfernte.
Mit zusammengepressten Lippen ballte ich die Fäuste. Die Schmach, die mir soeben zuteilgeworden war, wog schwer. Ich fühlte mich in meinem Stolz verletzt – und gedemütigt.
Ob ich den Titel nun mochte oder ablehnte, es gab Dinge, die waren in Stein gemeißelt: Niemand durfte sich über die Tochter einer Vorsteherin lustig machen.
Mein angeknackstes Selbstbewusstsein blendete die gefährlichen Tatsachen komplett aus. Ich wusste genau, wen ich vor mir hatte und auch, wozu sie in der Lage waren. Doch das war mir in diesem Moment völlig egal.
»Du könntest dich glücklich schätzen eine Südtochter als Frau zu bekommen«, rief ich dem Nordmann wutentbrannt hinterher. »Aber wer will schon solch ein Monster als Ehemann haben? So etwas Widerliches wie dich würde keine von uns anfassen. Du bist nicht besser als die dreckigen Schweine meines Vaters hinter unserem Haus.«
Schon kurz nachdem die Worte meinen Mund verlassen hatten, bereute ich jede einzelne Silbe davon. In meiner Position war es äußerst unklug