Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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Noch Jahrzehnte später schwärmte sie von Stadtvierteln, aus deren Geschäften sich »Kirschen und Tulpen, Hummer, Flundern und Taschenkrebse in wildem Überfluss bis auf den Bürgersteig« ergossen, von Straßen, auf denen Händler ihr »wirres Geschrei erschallen« ließen und Hausfrauen die Lammschulter für den Sonntagstisch prüften.[94]

      Und diese schöne Welt sollte sie nun verlassen, um in die »k.u.k. akademische Strafkolonie Czernowitz« zu gehen, eine Stadt mit ungefähr 80000 Einwohnern, die zwar berühmt für ihre prächtigen Kuppeln, ihre Vielfalt der Sprachen und Religionen und ihr hoch entwickeltes »deutsches« Kulturleben war, aber auch für ihre Bettler, ihren Matsch, ihren Schneeregen und ihren Straßenkot, für ihren Bahnhof, der, gelblich und halb verfallen, schon seit Jahren renoviert werden sollte, um den Reisenden eine etwas freundlichere Begrüßung zu bieten?

      Im Frühjahr 1904 trat KellnerKellner, Leon seine Stellung in Czernowitz an, nachdem er sich glanzvoll aus Wien verabschiedet hatte. In der von ihm gegründeten jüdischen Bildungs- oder »Toynbee-Halle« im Stadtteil Brigittenau hatte er einen Vortrag über »Israel als Gastvolk« gehalten. Viele Zuhörer sollen unter Tränen gesagt haben, er sei es, der sie zum Judentum zurückgeführt habe durch Konzerte, Vorträge, Sprachkurse und gemeinsame Feste. Beladen mit Blumen und verfolgt von »tausendstimmigem Hoch« sei er traurig von dannen geschlichen, so als ob ihm der Jubel irgendwie peinlich gewesen sei.[95]

      PaulaKellner, Paula blieb also in Wien, um ihr Studium fortzusetzen, während AnnaKellner, Anna (geb. Weiß), Dora und ViktorKellner, Viktor ihm zähneknirschend nach Czernowitz folgten, allerdings erst im Herbst, nach einem Sommerurlaub in Abbazia, heute Opatija, Kroatien, ein ungewohnter Luxus, für den KellnerKellner, Leon tief in die Tasche gegriffen haben muss. Es war nobel und schön hier. Aristokraten aus aller Welt waren zu Gast, Kaiser Franz JosephFranz Joseph I., Elisabeth von RumänienElisabeth von Rumänien, Sophie von SchwedenSophie von Schweden. In der Nähe der Strandpromenade waren viele Prachtvillen gebaut worden, aber in der Stadt gab es noch enge, italienisch anmutende Gassen und kleine Kirchen mit schlanken Türmen. Wenn der Kaiser kam, wurde der ganze Ort mit bengalischen Feuern beleuchtet. Überall wehte die Flagge der Habsburger Monarchie. In den Schaufenstern standen Kaiserbüsten. Bis in den Winter blühten Rosen, Kamelien und Oleander. Die Kellners müssen sich wie im Paradies gefühlt haben. Wenn nur die Aussicht auf Czernowitz nicht gewesen wäre!

      Dora hat dieser Gegend ein literarisches Denkmal gesetzt, in ihrem Roman Gas gegen Gas, den sie in einem Nachdruck Das Mädchen von Lagosta genannt hat. »Lagosta« ist eine Phantasie-Insel vor der Adria-Küste, ein kleines Traumland, das viel Ähnlichkeit mit dem realen Abbazia/Opatija hat:

      Wind, Sonne und Wasser; der trockene würzige Duft heißer Piniennadeln auf den Lichtungen des Waldes; das Brennen der erfrischten, vom kalten Salzwasser noch nassen Glieder auf den flachen, erhitzten Steintafeln des Ufers; Fahrten im Boot nach der Küste, deren Felsen sich steil vom Grün der Agaven und Lorbeerbäume erhoben; […] Fischfang am frühen Morgen oder müßiges Träumen im Schatten des geliebten blauen Baumes. […] Vor ihnen lag […] die Steinmauer, aber darunter das Meer, zu dieser Stunde der abendlichen Dämmerung mit zauberhaften Farben übergossen. Das Land fiel hier nicht schroff ab als Steilküste, sanft senkte es sich zum Wasserspiegel in vielen kleinen, weichen Buchten, schmückte sich mit unzähligen weiß, rosafarbig und glutrot blühenden Gebüschen und Bäumen. […] Rechts vom Hause fing der Wald an, aber links ging der Garten weiter, und durch die Stämme der Orangenbäume und Palmen schimmerte es vor Blumen. […] Sie hob Apfelsinen vom Boden auf und schüttelte eine japanische Mispel, dass die kleinen, gelben, kugeligen Früchte über den Weg rollten. An Blüten und Blättern roch sie. Sie strich mit der Hand über Taxus und Lorbeer, pflückte einen winzigen Zweig Jasmin und steckte die Nase in eine voll erblühte weiße Lilie, die sie gelb überpuderte.[96]

      Czernowitz

      Nun also Czernowitz, das »Wien des Ostens«, Hauptstadt der Bukowina, des »Buchenlandes«: ein größerer Kontrast war kaum denkbar. Denn wenn die Stadt auch von vielen Dichterinnen und Dichtern, die aus ihr stammten, besungen worden war, von Rose AusländerAusländer, Rose, Paul CelanCelan, Paul, Gregor von RezzoriRezzori, Gregor von, Karl Emil FranzosFranzos, Karl Emil, Moses RosenkranzRosenkranz, Moses: Auf mindestens ebenso viele wirkte sie abstoßend, hässlich und schmutzig.

      Auch Camilla, die Heldin von Doras Roman, empfindet das so, wobei Dora Czernowitz durch das 270 Kilometer entfernte Lemberg, heute Lviv, ersetzt, um nicht zu autobiographisch zu werden:

      Weit, weithin dehnte sich die unendliche Ebene, einförmig und trostlos, ohne Seen und Wälder, ohne Berge. Es regnete ohne Unterlass. […] Das bedrückende Grau des Himmels lastete auf Stoppelfeldern und Kartoffeläckern. Man sehnte sich nach einem Stückchen Lieblichkeit, nach einer romantischen Weide, dem erlenbestandenen Lauf eines Flüsschens. Aber es gab nur öde Pappelalleen, in denen der Nebel hing, unsaubere Lehmhäuser, an denen die Feuchtigkeit schon bis unters Dach gekrochen war, und trübes Wasser von Teichen, die ihre Ufer überfluteten.

      Die podolische Ebene barg auch bei gutem Wetter für Camilla wenig Reize, es war ihr nie gelungen, die Schönheit der Steppe zu begreifen, von der die russischen und polnischen Dichter singen; unwillkürlich suchte ihr Auge immer nach Berggipfeln, nach Wasserfällen und Wäldern. […]

      Das gelbe Gebäude im Barockstil […] roch nach Tinte, Staub, Kreide und Lysoform wie eine Schule. Camilla erinnerte sich, dass sie einmal vor vielen Jahren mit ihrem Onkel hier gewesen war. Und plötzlich sah sie die ganze Stadt, durch die sie wie eine Fremde gewandert war, mit den Augen des heimwehkranken kleinen Mädchens, sie spürte wieder den brennenden Hass, den die lehmigen Seitenstraßen ebenso stark in ihr erweckt hatten wie die rosengeschmückten Anlagen, die schmutzigen Treppenaufgänge ebenso wie die herrlichen altertümlichen Kirchen und Festungsmauern. Der schönste Ort der Welt wird zur Hölle, wenn man sich mit der ganzen Kraft eines vierzehnjährigen Herzens fortsehnt.[97]

      Leon KellnerKellner, Leon hatte eine Wohnung in der Franzensgasse 35 gemietet. In der Nachbarschaft wohnten Professoren, Pelzhändler, Schlosser, Posamentierer, Schuhmacher, Tischler, Lehrer, Kaufleute und Fiakerkutscher. Sogar die Redaktion des »Bukowinaer Volksblattes« hatte hier ihren Sitz. Das Gesamtbild der Straße war allerdings trostlos. Die meisten Häuser waren ein-, wenige zweistöckig. Nur die neueren hatten elektrisches Licht. Wenn es regnete, stapfte man durch tiefen Matsch, denn die Straße war größtenteils unbefestigt und bei Schnee und Glatteis fast nicht passierbar. Da sie weit ab vom Stadtzentrum lag, wurde sie kaum je gereinigt oder instand gehalten.

      Bei jedem Wetter trieb man Vieh über die Fahrbahn, das, vom Land kommend, auf den Markt gebracht werden sollte. Herrenlose Hunde streunten herum und griffen Passanten an.[98] Vor den Wirtshäusern sammelten sich die Betrunkenen. Krawalle und Schlägereien waren an der Tagesordnung.[99]

      Kein Wunder, dass AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) ihrem Mann bittere Vorwürfe machte, sie hierhergebracht

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