Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler страница 12

Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

Скачать книгу

oder die »akademische Lesehalle« fliehen. AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) nicht. Sie saß Tag für Tag auf der Franzensgasse und versuchte, sich auf ihre Übersetzungen zu konzentrieren. Mit Erfolg. Denn in Czernowitz würdigte man sie schon bald als eine der Besten ihres Faches. »Mit ersten Jänner 1906 beginnen wir mit der Veröffentlichung eines hervorragenden englischen Romanes, übersetzt von Frau Anna KellnerKellner, Anna (geb. Weiß), der Gattin des Herrn Universitätsprofessors Dr. Leon KellnerKellner, Leon«, hieß es in einer der Tageszeitungen. »Frau KellnerKellner, Anna (geb. Weiß) hat sich auf diesem Gebiete einen bedeutenden Namen erworben, und ihre feine Übersetzungskunst wird auch hier neue Freunde und Verehrer finden.«[100] Es handelte sich um den Roman Um ein Linsengericht von Mary CholmondeleyCholmondeley, Mary, eine Geschichte über Ehebruch, Emanzipation, schreibende Frauen und den engstirnigen englischen Klerus, die zum Teil fast satirischen Charakter hat, ein Paradestück viktorianisch-feministischer Literatur, das bei seinem Erscheinen in England für Skandale sorgte. AnnasKellner, Anna (geb. Weiß) Übersetzung war die erste Übertragung ins Deutsche. Damit stand sie genau da, wo ihr Mann sie auf keinen Fall sehen wollte: im Zentrum der österreichischen Frauenbewegung. In ihren Erinnerungen klammert sie »Szenen« in ihrer Ehe sorgsam aus. Aber es wäre ein Wunder, wenn es sie jetzt nicht gegeben hätte.

      Lichtblicke

      Als Dora kurz nach der Ankunft darauf bestand, das Czernowitzer Mädchenlyzeum besuchen zu dürfen, konnte KellnerKellner, Leon kaum nein sagen, denn was er PaulaKellner, Paula erlaubt hatte, musste er auch Dora gestatten. Es führte zwar auch nur zur Lyzeal-Matura, war aber staatlich anerkannt und galt als sehr liberal. Unter den rund 400 Schülerinnen waren Deutsche, Rumäninnen, Rutheninnen und Polinnen. Weit über die Hälfte von ihnen waren Jüdinnen, denn Czernowitz hatte eine große jüdische Bürgerschaft, darunter viele Akademiker, Geschäftsleute und hohe Beamte. Auch der Bürgermeister, Dr. Eduard ReißReiß, Eduard, war Jude und setzte sich für die deutsch-jüdische Kultursymbiose ein.[101]

      Da es in Czernowitz wenig Ablenkung gab, hatte Dora genügend Zeit, Klavier und Gesang zu üben. Auf dem Klavier spielte sie besonders gern BachBach, Johann Sebastian, HaydnHaydn, Joseph, MozartMozart, Wolfgang Amadeus und BeethovenBeethoven, Ludwig van, den sie für den größten aller Komponisten hielt. SchumannSchumann, Robert, BrahmsBrahms, Johannes und GriegGrieg, Edvard lagen ihr weniger. Sie meinte, dass sie vergeblich versucht hätten, das Klavier wie ein eigenes »Instrument« zu behandeln, während es in Wirklichkeit nur ein unvollkommener Ersatz für das Orchester sei.[102] Bei wem sie lernte – ob bei ihrer Mutter, im Selbststudium oder bei einem Lehrer –, ist leider nicht bekannt.

      Im Mai 1905 trat sie bei einer Feier auf, die das Lyzeum zum 100. Todestag Friedrich SchillersSchiller, Friedrich gab. Die gesamte Presse – das kleine Czernowitz hatte sieben Tageszeitungen! – berichtete darüber. Gemeinsam mit fünf anderen Mädchen sang Dora Solopartien aus dem »Lied von der Glocke« in einer zeitgenössischen Vertonung, eine »anmutige Huldigung« an den »Verkünder der Freiheit und Wahrheit«.[103]

      Auch Camilla, die Heldin ihres Romans, ist eine begabte Sängerin. Dora weiß das Timbre ihrer Stimme genau zu beschreiben:

      Tief und dunkel, nicht groß, aber warm und lebendig, frei von falschem Schmelz und Sentimentalität. Sie stieg, klar, einfach und ungezwungen empor und senkte sich mit der Leichtigkeit einer Feder, die zur Ruhe kommt.[104]

      Sang Dora so ähnlich? »Warm und lebendig«, aber nicht »groß« genug, um zur Bühne zu gehen, was ihr VaterKellner, Leon vermutlich auch nie erlaubt hätte? Ihre Liebe zur Musik soll sie immer behalten haben. In ihrem letzten – Londoner – Domizil stand ein Blüthner-Flügel, an dem sie spielte und sang, meistens BeethovenBeethoven, Ludwig van.[105]

      Als der erst 57-jährige Eduard ReißReiß, Eduard 1907 an einem Schlaganfall starb, war die Trauer groß. Von allen Seiten gingen Kondolenzschreiben ein, sogar vom »Verein der christlichen Deutschen«. Zu seinem Begräbnis hatten sich sämtliche Schülerinnen des Mädchenlyzeums, viele Studenten, der Vorstand der jüdischen Kultusgemeinde und große Teile der Bürgerschaft versammelt. Alle Zeitungen waren sich darüber einig, dass ReißReiß, Eduard den »nationalen und konfessionellen Frieden« in dieser »vielsprachigen Gemeinde« gestärkt und gefördert habe und auf lange Sicht von niemandem ersetzt werden könne.[106]

      Die Trennung

      Ungefähr um diese Zeit, im Frühjahr 1907, muss Anna KellnerKellner, Anna (geb. Weiß) sich entschlossen haben, Czernowitz zu verlassen und wieder nach Wien zu gehen. Zur Begründung gab sie an, dass sie PaulaKellner, Paula nicht länger allein lassen wollte; dass ViktorKellner, Viktor, der kurz vor dem Eintritt ins Gymnasium stand, sich geweigert habe, Rumänisch zu lernen, was in Czernowitz obligatorisch gewesen sei; vor allem aber, dass Dora, die im Juli 1906 ihre Lyzeal-Matura bestanden hatte, unbedingt wieder nach Wien wollte, um ihre höhere Schulbildung fortzusetzen. Das wäre zwar auch am Staatsgymnasium von Czernowitz möglich gewesen, wie das Beispiel von Ninon AusländerAusländer, Ninon, der späteren Frau Hermann HessesHesse, Hermann, zeigt,[107] doch für Dora war das keine Option. Sie hatte Heimweh und wollte nur fort.

      Tatsächlich hatte sich die Stimmung in der Stadt sehr verändert, seitdem der Kampf um die Nachfolge von ReißReiß, Eduard ausgebrochen war. Bei aller Verehrung des Toten bestanden die Christlich-Sozialen darauf, dass diesmal kein Jude gewählt werden sollte. Eine Zeitung schrieb, »in Kreisen, welche dem antisemitischen Klüngel nicht allzu fern stehen«, sei gedroht worden, dass andernfalls »Blut fließen« würde.[108] Dazu kam es allerdings nicht. Denn Christen und Juden einigten sich auf einen gemäßigten Kandidaten. Bis zu seiner Wahl war die Stadt jedoch herrenlos. Johlende Burschen randalierten auf dem Ringplatz. Die Fenster einer jüdischen Schule wurden zertrümmert. »Auf der ganzen Linie war kein Wachmann zu sehen. Die beste Voraussetzung für ein Pogrom!« hieß es in der Presse.[109]

      AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) wird später viele Legenden über ihre angeblich rundum glückliche Ehe verbreiten. Sie seien in 45 Jahren kaum länger als einen Tag getrennt gewesen, schreibt sie zum Beispiel.[110]

Скачать книгу