Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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Dora keine Spur von Mitleid, sondern schrieb an Benjamin:

      Die Akten über Genia SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie sind nun geschlossen. Sie ist und bleibt ein infames Luder, wird niemand mehr nützen, aber hoffentlich auch niemand mehr schaden.[131]

      Dieser Hass ist eigentlich nur durch sexuellen Missbrauch zu erklären, ob er nun von Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie selbst oder einem ihrer männlichen Gäste ausgeübt wurde. Dora war groß, blond und schön, ein Typus, den die SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie besonders liebte. Zur Erklärung des Phänomens »Antisemitismus« soll sie einmal gesagt haben:

      Wenn ihr euch nebeneinander ein hochgewachsenes, blondes, blauäugiges Paar vorstellen könnt aus dem hohen Norden, Schweden vielleicht, und daneben ein kleines, verhutzeltes, jüdisches ostpolnisches Ehepaar und dazu beider Paare Bewegungen, Sprache und Gehaben, ist es da nicht vielleicht ein wenig zu verstehen, wem von der Welt […] bei weitem der Vorzug gegeben wird?[132]

      Was immer Dora in dieser schwülen Atmosphäre erlebt haben mag, es muss schrecklich gewesen sein. Denn zu solcher Aggressivität hat sie sich sonst selten hinreißen lassen.

      © Archiv Mona Benjamin, London

      Dora Kellner um 1909. Fotografiert von Rudolf Jobst, Wien

      2 Das Leben der Studenten (1909–1914)

      Zwischen Chemie und Philosophie

      Schon auf der Schule hatte Dora angekündigt, Chemie studieren zu wollen, als Einzige aus ihrer Klasse. Die Überraschung der Eltern muss groß gewesen sein. Sie war doch mit Musik und Literatur aufgewachsen? Und in den Gymnasialkursen bei Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie war Chemie gar nicht gelehrt worden, wenn man von dem Mischfach Naturgeschichte absieht, in dem ein Professor Noe die Sulfide, Oxyde und Haloidsalze behandelt hatte?[133]

      Wahrscheinlich war es ein Versuch der Ablösung von ihrem VaterKellner, Leon. Denn so gebildet und redegewandt er auch war: Von Chemie und Naturwissenschaften überhaupt verstand er rein gar nichts. Und er war immer noch der Ansicht, dass die Rolle der jüdischen Frau vor allem darin bestehe, »jüdische Werte« innerhalb der Familie weiterzugeben und die »jüdische Nation« zu erhalten.[134]

      Da der Andrang auf das Fach sehr groß war, mussten zwei, zeitweilig sogar drei chemische Institute betrieben werden, die allerdings in schlechtem Zustand waren. Im Oktober 1909 versammelten sich Professoren und Studenten zu einer Demonstration: Jeder Gewerbeinspektor würde einschreiten, wenn er in einer Fabrik so unhygienische Zustände vorfände wie in den chemischen Instituten. Es war ungewöhnlich, dass Professoren und Studenten sich öffentlich solidarisierten. Es war auch ungewöhnlich, dass immerhin vier Juden im Kollegium waren: Jacques PollakPollak, Jacques, Josef HerzigHerzig, Josef, Eduard LippmannLippmann, Eduard und Guido GoldschmiedtGoldschmiedt, Guido. Sie bekamen allerdings weniger Jahresgehalt als die »Christen«, wurden langsamer befördert[135] und mussten immer wieder erleben, dass die Presse hämische Bemerkungen über sie machte: »Muss es denn immer ein Jude sein?« schrieb etwa das Deutsche Volksblatt zur Berufung von Guido GoldschmiedtGoldschmiedt, Guido.[136]

      Ungefähr zehn Prozent aller Studierenden der Chemie in dieser Zeit waren Frauen, die aus allen Kronländern der Monarchie kamen. Sie waren überwiegend jüdisch. In ihren »Nationalen« (so heißen in Österreich die Studienbücher), die sie selbst auszufüllen hatten, gaben sie als Muttersprachen Deutsch, Russisch, Ruthenisch, Rumänisch, Polnisch, Italienisch, Kroatisch, Ungarisch und sogar »Jüdisch« an, obwohl »Jüdisch« nicht als Sprache, sondern nur als »Jargon« galt, was für großes Selbstbewusstsein dieser jungen Frauen spricht.

      Pünktlich zum Studienbeginn ließ Dora sich fotografieren von Rudolf JobstJobst, Rudolf, einem bekannten Porträt-Fotografen, der besonders bei Bühnenkünstlern beliebt war. Das Bild zeigt eine ernst und entschlossen wirkende junge Frau mit hellen Augen, gerader Nase und vollen, schön geschwungenen Lippen. Das üppige blonde Haar ist in der Mitte gescheitelt und an den Seiten kunstvoll hochgesteckt, ihr Kleid – Samt mit Spitzeneinsatz – verhüllt weitaus mehr als es frei gibt. Trotzdem lässt das Bild ahnen, dass viele Männer von ihrer »Schönheit und starken Präsenz«[137] tief beeindruckt waren und sich reihenweise in sie verliebten.

      Aus den Studienbüchern der Universität Wien kann man relativ genau ablesen, was sie im Einzelnen belegt und gehört hat:

      Im Wintersemester 1909/10 Differenzial- und Integralrechnung, chemische Übungen für Anfänger, Experimentalchemie und »hygienische Pädagogik«, aber auch eine »Einleitung in die Philosophie«. Im zweiten Semester organische Chemie, chemische Thermodynamik, Laborarbeiten für »Vorgeschrittene« und »praktische Mittelschulpädagogik«, im dritten Semester »theoretische und physikalische« Chemie. Mit einem Seminar über Arthur SchopenhauerSchopenhauer, Arthur taucht wieder das Fach »Philosophie« auf. Dieses Interesse lässt sich bis 1912 mit Veranstaltungen über FeuerbachFeuerbach, Ludwig, René DescartesDescartes, René und die »Geschichte der Philosophie« weiter nachweisen. Das Thema ließ sie offenbar nicht mehr los und stand schließlich gleichberechtigt neben genuin chemischen Lehrstoffen.

      Dora hat in ihren Wiener Jahren vor allem bei Friedrich JodlJodl, Friedrich, dem Doktorvater von Stefan ZweigZweig, Stefan und Egon FriedellFriedell, Egon Philosophie gehört. Ein weiterer Lieblingsdozent, Wilhelm JerusalemJerusalem, Wilhelm, vertrat ein modernes interdisziplinäres Konzept, bestehend aus Philosophie, Soziologie, Reformpädagogik und Psychologie. Er hatte eine Lehrerlaubnis als Rabbiner und stand jahrelang der jüdischen Loge B’nai B’rith in Wien vor. Es ist also nicht nur diskreditierend, sondern auch objektiv falsch, wenn Zeitzeugen wie die ehemaligen Benjamin-Freunde Franz SachsSachs, Franz und Herbert BlumenthalBlumenthal, Herbert die spätere Dora Benjamin als »ehrgeizige Gans« oder »Alma MahlerMahler, Alma en miniature« bezeichnen, die ihrem Mann keine intellektuelle Partnerin habe sein können.[138]

      Max Pollak

      Um Wilhelm JerusalemJerusalem, Wilhelm und die anderen Professoren des philosophischen Instituts scharten sich eine Reihe junger Männer, die der Psychoanalyse nahestanden oder gar Schüler von Sigmund FreudFreud,

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