Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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href="#u5c565467-e063-5238-9258-e4f25dd7fed2">KellnerKellner, Leon noch bis 1914 in Czernowitz, und zwar freiwillig. Er hätte sich wegversetzen lassen können, notfalls wieder an eine Schule in Wien. Doch er blieb lieber in Czernowitz, wo er Vorträge über GoetheGoethe, Johann Wolfgang von und ShakespeareShakespeare, William hielt, eine weitere jüdische »Toynbee-Halle« gründete, im Vorstand der Kultusgemeinde mitwirkte und als Vorsitzender eines »jüdischen Volksrates« sogar in den Landtag einzog, obwohl AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) und ihre Mutter strikt dagegen waren.

      »Lass dich nicht in Politik ein!«, warnte Klara WeißWeiß, Klara. Er werde kein »häusliches Glück« und keine »innere Ruhe« mehr finden.[111]

      Doch er ließ sich ein, und zwar vehement. Anders als früher vertrat er nun nicht mehr explizit die Idee eines »Judenstaates« in Palästina, sondern forderte mehr Autonomie für die Juden in Österreich, sprich: ihre Gleichstellung mit den anderen Volksgruppen wie den Rumänen, Ruthenen, »Deutschen« und Böhmen und die Anerkennung des Jiddischen als eigene Sprache:

      Wien sagt uns, das Jüdische sei keine Sprache, folglich könne die Regierung die Juden nicht als Nationalität anerkennen […]. Staatstheoretiker von anderer Färbung sagen, die Juden seien keine Nation, denn es fehle ihnen der Boden; wieder andere sagen, sie können die Juden nicht als Nation anerkennen, weil sie nicht bewiesen haben, dass sie eine reine Rasse sind und dergleichen Kinkerlitzchen mehr.

      Die Juden von heute […] fragen […] euch, die anerkannten Nationalitäten: Sind wir Rumänen? (Zwischenruf) Keine Spur! Wir fragen die Ruthenen: Zählen Sie uns zu den Ruthenen, wenn wir die ruthenische Sprache sprechen? Denn es gibt viele Juden, die vortrefflich Ruthenisch sprechen. Die Ruthenen antworten: Keine Spur!

      Nun kommen die Deutschen. Ich bilde mir ein, dass viele von uns die deutsche Sprache und Literatur so sehr in sich aufgenommen haben, dass man sie nach der Sprache sicherlich nicht von den arischen Deutschen unterscheidet. Richtet man aber an die Deutschen die Frage, ob jene Leute, die die deutsche Sprache, Literatur und Kultur in sich aufgenommen haben, Deutsche sind, dann werden die Herren sicherlich mit »Nein« antworten. Was sind wir also? Sie selbst sagen, dass wir nicht Rumänen, nicht Deutsche und nicht Ruthenen sind; wir sagen Ihnen, wir sind Juden![112]

      Das war eine Abkehr vom klassischen Zionismus-Gedanken, der Anfang einer Karriere als Volkstribun. Wo immer KellnerKellner, Leon sich in Czernowitz oder der Bukowina blicken ließ, die jüdische Bevölkerung feierte ihn und rief »Hoch, Kellner!«. Mochte es seiner Frau gefallen oder nicht: Er dachte gar nicht an eine Rückkehr nach Wien, sondern genoss seinen Ruhm und seinen politischen Auftrag.

      Endlich sesshaft

      AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) musste sich also mit den Kindern alleine durchschlagen, genauer: mit ViktorKellner, Viktor und Dora, denn PaulaKellner, Paula hatte sich ein Zimmer bei Verwandten genommen, weil sie sich mit der Mutter immer schlechter verstand. AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) war strikt dagegen, dass sie nach Palästina auswandern wollte und soll für diesen Fall sogar mit Selbstmord gedroht haben.[113] Sie war keine Verehrerin HerzlsHerzl, Theodor und seiner Thesen, sondern hielt sich weitmöglichst vom Zionismus fern, eine Haltung, die sie erst Jahrzehnte später revidieren würde.

      Im ersten Jahr scheinen sie mal da, mal dort unterkommen zu sein. Erst 1908 ist wieder eine feste Adresse nachweisbar: Messerschmidtgasse 23 im 18. Bezirk, zwischen Währing und Gersthof. Es gab dort keine romantische »Detailmarkthalle« wie auf der Nußdorfer Straße. Alles war nüchtern, sachlich und modern. Die Fahrbahn und die Bürgersteige wurden gerade verbreitert. Überall entstanden Neubauten.[114] Statt der alten Glöckerlbahn fuhr hier die Dampftramway, mit der man bequem den Westbahnhof erreichen konnte. Die Zimmer im Haus waren groß und hell. Es gab elektrisches Licht. In einer Nachbarwohnung wurde sogar ein »kleines Sanatorium« betrieben, vermutlich für psychisch Kranke.[115]

      Wien hatte sich verändert, war moderner und lebenswerter geworden, und zwar ausgerechnet unter Bürgermeister Karl LuegerLueger, Karl, der so heftig gegen die Juden agitiert hatte. Es waren neue Parkanlagen, Kirchen, Schulen und Krankenhäuser entstanden, in Simmering wurde ein neues Gaswerk gebaut, es gab mehr bezahlbaren Wohnraum, und auch für die Armen und Arbeitslosen wurde mehr getan. LuegerLueger, Karl war als Redner etwas leiser geworden. Man hörte ihn nicht mehr so oft gegen die Juden hetzen und munkelte sogar, dass er gesagt habe:

      Ja wissen’s, der Antisemitismus is a sehr gutes Agitationsmittel, um in der Politik hinaufzukommen. Wenn man aber einmal oben is, kann man ihn nimmer brauchen, denn des is a Pöbelsport![116]

      Seit 1907 ging Dora auf dieselbe Schule, die auch PaulaKellner, Paula besucht hatte: die Eugenie-Schwarzwald-Schule, deren Leiterin inzwischen noch populärer geworden war, eine Lichtgestalt der Mädchenreformpädagogik. Da Dora ihre Lyzeal-Matura schon gemacht hatte, trat sie sofort in die zweite Stufe der Gymnasialkurse ein, um sich auf die »richtige« Matura vorzubereiten. Im Jahresbericht der Schule heißt es zu diesen Kursen:

      Als Vorbildung wird die Absolvierung der unteren drei Lyzealklassen oder der Bürgerschule mit entsprechender privater Ergänzung der Kenntnisse vorausgesetzt, da die modernen Sprachen den Untergrund der gymnasialen Schulung zu bilden haben; eine Aufnahmeprüfung hat in zweifelhaften Fällen das Vorhandensein der nötigen Kenntnisse nachzuweisen. […] Diese Institution soll keine »Presse« sein, sondern eine wirklich humanistische Bildungsanstalt; ihr Ziel ist nicht einzig und allein die Maturität, sondern die Vermittlung einer gründlichen klassizistischen Bildung.[117]

      Liest man die Lehrpläne dieser Gymnasialkurse etwas genauer, muss man allerdings doch den Eindruck gewinnen, dass es sich hier um eine Pauk- und Drillanstalt ohne großen pädagogischen Anspruch handelte. Es ging im Grunde nur darum, den Mädchen in vier Jahren einzuhämmern, wofür die Jungen neun Jahre Zeit hatten: Latein und Griechisch, die Voraussetzung für das humanistische Abitur.

      Im ersten Jahr ihres Schulbesuchs hatte Dora fünf Wochenstunden in Latein und sechs in Griechisch, aber nur zwei in Deutsch. Kunst und Musik wurden überhaupt nicht gelehrt, Geschichte und Philosophie nur sehr oberflächlich. Der Deutschunterricht reichte von den »ältesten Zeiten bis zum Göttinger Hainbund«, also bis 1775. Im Aufsatz mussten Themen wie »Schöne Ferientage« oder »Poesie der Nacht« bearbeitet werden.[118]

      Im darauffolgenden Jahr, 1908, lagen die Schwerpunkte ähnlich. Zehn Stunden CiceroCicero, LiviusLivius, TacitusTacitus, PlatonPlaton, EuripidesEuripides und dergleichen, zwei Stunden Deutsch, hauptsächlich SchillerSchiller, Friedrich und HerderHerder, Johann Gottfried. In Mathematik ging

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