Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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FreudFreud, Sigmund, der in einem muffigen Ordinationszimmer auf der Wiener Berggasse saß, eingepfercht zwischen Büchern, Polstermöbeln und Nippesfiguren. PollakPollak, Max erklärte später, FreudFreud, Sigmund habe ihm erklärt, dass er zu viel Klavier spiele und unter einem vorgeburtlichen Trauma leide. Auf seine MutterPollak, Eveline, die ihn mit äußerster Strenge erzog und, um ihn abzuhärten, eine Uhr in seinem Zimmer anbringen ließ, die Tag und Nacht jede halbe Stunde laut schlug, sei er nicht weiter eingegangen.

      Nach dem Abitur habe er zunächst Medizin studieren wollen, in München, wo er sich maßlos überanstrengt habe. Die Folgen: zu niedriger Blutdruck, kaum noch Puls, schwerer Kollaps. Daraufhin habe man ihn zum ersten Mal in ein psychiatrisches Sanatorium gebracht, nach Wien-Inzersdorf, zu Dr. Emil RedlichRedlich, Emil, einer »rührenden Mischung aus einem Schimpansen und Jesus«. Dann: Praktikum in einem Familienbetrieb in der Nähe von Brünn. Dort erneute Katastrophe, denn die Toilette sei nur über einen dunklen Hof zu erreichen gewesen, sodass er sich völlig abgewöhnt habe, sie zu benutzen. Weitere Psychiatrie-Aufenthalte. Fortsetzung des Studiums in Wien. Dort Begegnung oder Wiederbegegnung mit Dora, die er wahrscheinlich schon seit seiner Kindheit kannte. Interesse für Philosophie und Chemie. Gemeinsamer Besuch von Vorlesungen und Seminaren. Aber Liebe? Davon ist nirgends die Rede. In seinem Interview mit Kurt EisslerEissler, Kurt klammert er das Thema »Dora« vollständig aus.

      Als sie heirateten oder wohl eher: verheiratet wurden, war er selbst 23, Dora 22 Jahre alt, beide nach österreichischem Recht noch nicht volljährig. PollakPollak, Max konnte sich bei Gericht für mündig erklären lassen, Dora brauchte die schriftliche Erlaubnis ihres VatersKellner, Leon, die ins Matrikenbuch der jüdischen Gemeinde von Bielitz eingetragen wurde. PollakPollak, Max ist darin als »Chemiker« verzeichnet, obwohl er sein Studium niemals abgeschlossen hat.[153] Die meisten Benjamin-Biographen bezeichnen ihn als »Journalist«. Aber es ist kein einziger Text von ihm nachweisbar. Woher diese Annahme rührt, bleibt ein Rätsel.

      Dora selbst hat sich nur einmal zu dem Thema »Zwangsehe« geäußert. In ihrem Roman Gas gegen Gas oder Das Mädchen von Lagosta schreibt sie:

      Ein junger Mann hat sich mit irgendeinem armen Mädel eingelassen, die Familie ist dagegen, es wäre auch ein Jammer um den prächtigen Menschen. Was tut H.? Er verschafft dem Mädchen einen reichen Verehrer, und allen ist geholfen. – Die Familie kann den jungen Mann mit der guten Partie verheiraten, die sie ihm ausgesucht hat, und das Mädchen sieht nach einer Weile selber ein, dass es so am besten ist.[154]

      Nie vollzogen

      In den fünfziger Jahren wird sie den englischen Behörden gegenüber versichern, dass die Ehe mit PollakPollak, Max quasi nicht existiert habe, da sie »nie vollzogen« worden sei.[155] Körperliche Gründe hatte das offenbar nicht. Denn seine zweite Frau, Lisa BergmannBergmann, Lisa, bekam von ihm 1918 einen Sohn. Vielleicht widersetzten sich beide dem familiären Zwang, indem sie den »ehelichen Pflichten« bewusst nicht nachkamen, sondern einander wie Fremde behandelten, bestenfalls wie Freunde oder Geschwister?

      Bis September 1912 scheint Dora sich in Wien als Hausfrau versucht zu haben,[156] dann ging sie mit PollakPollak, Max nach Berlin, wo sie zunächst in einer japanischen Pension wohnten. Das Ganze wirkte sehr überstürzt und hatte den Charakter einer Flucht. PollakPollak, Max wollte weg von seiner Familie, die ihm wohl ständig vorhielt, ein Versager zu sein, den man noch nicht einmal im Familienbetrieb einsetzen könne. Doch auch Dora brauchte Distanz, vor allem vom VaterKellner, Leon, der sich in den Jahren in Czernowitz sehr verändert hatte.

      Man wusste manchmal gar nicht mehr, wer oder was er war. Anglist? Zionist? Journalist? Österreichischer Patriot? Patriarch? Orthodoxer Jude? Politischer Agitator? Als Chronist der nordamerikanischen Literatur, über die er ein hervorragendes Kompendium schrieb,[157] trat er leidenschaftlich gegen Rassismus ein. Als Jude verteidigte er den Alleinanspruch seines Volkes auf das Alte Testament, das sich die Christen wie Räuber in der Nacht angeeignet hätten.[158] Er träumte von der Herrschaft der Juden »vom Euphrat bis zum Libanon«[159] und war doch dafür, dass sie sich in Österreich als »Nation« etablierten.[160] Er liebte die vermeintlich friedliche k.u.k. Monarchie, in der alle Völker unter dem Schutz eines großmütigen Kaisers lebten und nannte sie gleichzeitig eine feindselige Fremde.[161] Er pries Harriet Beecher-StoweBeecher-Stowe, Harriet als geborene Erzählerin und rief die jüdische Frau zurück an den Herd. Er schalt den amerikanischen Calvinismus als »Schreckenslehre« und verherrlichte seine eigene orthodoxe Kindheit, in der er vom Rebben mit der Peitsche geschlagen worden war.[162] Vielleicht war er in Czernowitz zu weit weg von der Familie und vom kollegialen Diskurs, sodass ihm jede Selbstkritik abhandengekommen war.

      Seine Besuche in Wien wurden immer seltener. Wenn er da war, gab es viel Streit, vor allem mit Dora, die ihm nicht immer folgen konnte und wollte. Sie war von Wilhelm JerusalemJerusalem, Wilhelm philosophisch geschult worden und konnte gut diskutieren, auch über Themen, von denen KellnerKellner, Leon besonders viel zu verstehen glaubte, wie etwa Sozialismus und Zionismus. KellnerKellner, Leon war immer gegen die »Rothen« gewesen. Jerusalem dagegen hielt MarxMarx, Karl und LassalleLassalle, Ferdinand für »die größten Kulturfaktoren des 19. Jahrhunderts« und glaubte, dass sie die »neue Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft«, die Soziologie, begründet hätten.[163] Er war dezidiert gegen den Zionismus, dem er sich aufgrund seines »Bildungsganges« und seines »Verhältnisses zur deutschen Wissenschaft« nicht anschließen könne, wenn er ihn auch als vitale Kraft betrachte.[164] Insgesamt argumentierte er viel sachlicher als KellnerKellner, Leon, kannte aber – da studierter Rabbiner – Bibel und Talmud mindestens genauso gut wie er, wenn nicht besser. Das mag einen Keil zwischen Vater und Tochter getrieben haben: dass sie ihn nicht mehr als einzige Autorität sah, sondern sich auch an anderen – ebenfalls jüdischen – Vorbildern orientierte. Zu Gershom ScholemScholem, Gershom (Gerhard) sagte sie einmal, dass sie sich von dem »zionistischen Milieu« ihres Elternhauses distanziert habe.[165] In Wahrheit aber war es wohl eher der VaterKellner, Leon, den sie immer kritischer sah oder vielleicht schlicht nicht mehr ertragen konnte.

      Zwischen Motz-Bar und Sprechsaal

      Die japanische Pension Matsushita in Berlin lag auf der Motzstraße zwischen Viktoria-Luise- und Nollendorf-Platz. Es war ein buntes internationales Viertel mit Theatern, Cafés, Läden und Travestie-Lokalen, die von Homosexuellen beiderlei Geschlechts besucht wurden. Unten im Haus befand sich eine Bar, die »Motz-Bar«, gleich nebenan das »Café Imperial«,

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