Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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Grundsätzen geführt wurde. Hier begegnete er Gustav WynekenWyneken, Gustav, der sein geistiger Mentor werden sollte.

      WynekenWyneken, Gustav lehrte ihm, dass Erziehung niemals in der Familie stattfinden könne, sondern nur in einer »Gesellschaft von Gleichaltrigen«, die durch das »pädagogische Eros« eines »geistigen Führers« beseelt sei. Nur »große Urteilslosigkeit« und »Affenliebe« könne dazu führen, »die Familienerziehung als Ideal zu preisen«.[189] Die meisten Schüler waren begeistert von WynekenWyneken, Gustav. Die Eltern weniger. Es gab Klagen, dass er ihnen die Kinder »vollständig entfremdet« habe, »in einer Weise, die fast an Verachtung« grenze.[190] Nicht nur oberflächlich ähnelten die Grundsätze von WynekenWyneken, Gustav denen von Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie. Beide glaubten an ihre messianische Sendung. Beide hatten ausgeprägt pädophile Neigungen. WynekenWyneken, Gustav verherrlichte die griechische »Knabenliebe« und pflegte mit seinen Lieblingsschülern in einem Zimmer zu schlafen.[191] Später würde er sich wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener vor Gericht verantworten müssen.[192] WynekenWyneken, Gustav war gelegentlich Sommergast von Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie und verehrte sie sehr, obwohl er ansonsten von Frauen nichts hielt.[193] »Erziehung« war für ihn grundsätzlich nur »Knabenerziehung«. Mädchen seien nur in Ausnahmefällen zu fördern, soweit ihr beschränkter Geist »dazu fähig sei«.[194]

      Da man in Haubinda kein Abitur machen konnte, musste Benjamin nach zwei Jahren wieder zurück nach Berlin. Er hatte viel Selbstbewusstsein gewonnen und absolvierte den Rest seiner Gymnasialzeit mit Bravour. Doch das häusliche Milieu wurde ihm immer fremder: die protzigen Schmuckstücke der Mutter, die steifen Gesellschaftsabende, die edlen Sektschalen und die ihm undurchsichtigen Verhältnisse, auf denen der Wohlstand der Familie beruhte – aus dieser Szenerie floh er so oft er konnte, auf Reisen, in die Jugendkulturbewegung, in den Sprechsaal und – zu Dora, die er am 13. Mai 1914 zum ersten Mal in ihrer Wohnung in der Emser Straße besuchte.

      »Hinreißende Terzen und Oktaven«

      Er hatte Glück. Denn aus Doras Beziehung zu Franz SachsSachs, Franz war nichts geworden, zum Glück, möchte man beinahe sagen, denn er hatte entsetzlich herablassende Ansichten über Frauen, besonders jüdische Frauen, die er für »ziseliert«, »manieriert« und unmütterlich hielt, vor allem, wenn sie aus den gehobenen Kreisen stammten.

      Kein Feuer, keine Leidenschaft, keine Begeisterung oder schöner Ernst; alles ist geglättet. Den Dingen, mit denen sie sich befassen – und sie haben für vielerlei ein bewegliches Interesse – werden alle schärferen Ecken abgeschliffen; ihnen wird alles zur Konversation. Soziale Probleme werden ebenso wie die Regungen der Seele mit ein bisschen Tätigkeit (soziale und Berufsarbeit) in den Wind geschlagen. Sie verlieren – das ist bezeichnend – ein natürliches Verhältnis zu Kindern, zur Landschaft, zur Einsamkeit. Die Kunst dient ihnen zur Erhöhung persönlicher Behaglichkeit; Vorliebe für Operette und Kino kennzeichnet sie. Sehr rationalistisch und geschäftig gleichen sie jenem von uns so bekämpften Typ des modernen Großstadtjuden; so wird auch Liebe ihnen ein veräußerlichtes Spiel, ein Flirt, eine Körpertechnik.[195]

      Er war wieder einmal sehr scharf zu Dora gewesen und hatte ihr einen »nicht eben geistvollen Brief« geschrieben.[196] Sie hatte es geahnt, dass er sie unglücklich machen würde. Das sei ja ihr Schicksal. »Wenn ich unglücklich sein soll, dann muss ich eben unglücklich sein«, schrieb sie an Herbert BlumenthalBlumenthal, Herbert.[197] In dieser Zeit scheint sie ein recht schwaches Selbstbild gehabt zu haben.

      Aus dem gemeinsamen Musizieren mit Franz SachsSachs, Franz wurde also nichts. Stattdessen lud sie Walter Benjamin ein, um mit ihr »den HalmHalm, August« durchzuarbeiten. Dabei konnte er weder Noten lesen noch ein Instrument spielen. Aber er war trotzdem glücklich über die »hinreißenden Terzen und Oktaven«, die sie ihm in kurzer Zeit beibrachte. Dazu benutzten sie wahrscheinlich HalmsHalm, August »Harmonielehre«,[198] die für gebildete Anfänger besonders geeignet war. HalmHalm, August erläutert darin die Tongeschlechter, die Dreiklänge, die Umkehrungen und Intervalle, die Konsonanzen und Dissonanzen, alles anhand von Beispielen, die Dora und MaxPollak, Max ihrem »Schüler« vorspielten. Die intellektuelle Struktur dieses Buches muss Benjamin sehr zugesagt haben. Denn aus ihr wurde klar, dass Musik nichts Sentimentales oder gar Pathetisches war, sondern ihre eigenen logischen Strukturen hatte wie die Mathematik oder die Sprache.

      Benjamin kannte August HalmHalm, August, den Verfasser des Buches, ja, er liebte ihn, könnte man fast sagen, denn auch er zählte zum Lehrerkollegium von Haubinda, wo er ihn nicht nur in Musik, sondern auch in Literatur unterrichtet und in die fantastische Welt von E.T.A. HoffmannHoffmann, E.T.A. eingeführt hatte, dem er selbst merkwürdig ähnlich sah:

      Das war ein kleiner putziger Mann von unvergesslichem Ausdruck in den ernsten Augen, mit der spiegelndsten Glatze, die ich je sah und um die ein halboffener Kranz scharf geringelten, dunklen Lockenhaars stand. […] Dieser August HalmHalm, August kam in die Kapelle, um uns Geschichten von E.T.A. HoffmannHoffmann, E.T.A. vorzulesen. […] Ich weiß nicht mehr, was er las; es kommt auch nicht darauf an. […] Er kennzeichnete HoffmannsHoffmann, E.T.A. Dichtungen, seine Vorliebe für das Bizarre, Schrullige, Geisterhafte, Unerklärliche […]. Dann aber schloss er mit dem Satze, den ich bis heute nicht vergessen habe: »Wozu einer solche Geschichten schreibt, werde ich euch später einmal erzählen.«[199]

      Verhältnisse und Verwirrungen

      Nach den Klavierübungen ging Benjamin mit Dora in deren Zimmer. Es scheint, dass dabei nichts weiter geschah, als dass sie über »WynekenWyneken, Gustav, objektiven Geist und Religion« sprachen. Dora vertraute ihm an, manchmal sehr unruhig zu sein und nachts schlecht schlafen zu können, wahrscheinlich wegen ihrer unglücklichen Ehe mit PollakPollak, Max. Benjamin schrieb an BlumenthalBlumenthal, Herbert, dass sie sich in diesen Tagen »gegenseitig vieles klar gemacht« hätten.[200] Das wurde oft als der Beginn einer Liebesbeziehung gewertet. Aber »sich etwas klar zu machen« hieß in diesen Kreisen nicht zwingend: sich zu gestehen, dass man sich liebte. Es kann auch bedeutet haben, dass sie sich »Klarheit« über die Verhältnisse im Sprechsaal verschafft haben, in dem es zu dieser Zeit ziemlich hoch herging.

      Die Malerin Käthe KollwitzKollwitz, Käthe, deren Söhne PeterKollwitz, Peter und

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