Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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wusste ich auf einmal, dass ich nicht nur Sympathie für sie empfand, sondern Liebe.

      Auf dem Weg zum Bahnhof tauchte plötzlich Franz SachsSachs, Franz auf und mischte sich eifersüchtig in das Gespräch ein. Da Dora nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, rief sie eine Freundin und flüsterte ihr zu, dass sie HerzfeldeHerzfelde, Wieland ablenken möge. HerzfeldeHerzfelde, Wieland war tief verletzt.

      Bis zum Bahnhof sprach ich fast kein Wort mehr, und was ich sprach, sachlich und mit trockener Kehle. Wir mussten uns beeilen, um in Seddin den letzten Zug nach Berlin zu erreichen. Da wir etwas hinten geblieben waren […] kam Herr PollakPollak, Max, der mit BarbizonBarbizon, Georges etc. vorangegangen war, zurück und schimpfte auf Philisterart über die Trödelei und Langsamkeit. Besonders seine Frau hatte darunter zu leiden. Und das verdüsterte mich noch mehr, wenn dies möglich war. Denn ich war eigentlich gar nicht böse auf Frau Pollak. […] Meine Wut galt der gesellschaftlichen Einrichtung der Ehe. […] Als ich Herrn PollakPollak, Max so schimpfen hörte, keimte leise in mir der Gedanke, […] als leide Frau Pollak unter ihrem Mann und als sei ich der einzige, der dies Leid mitfühlt. Und wenn ich von mir auf andere schließen darf, so kann ich wohl behaupten, dass man erst dann ein Mädchen ganz und gar liebt, wenn man erkannt hat, dass es leidet. Und wenn ich jetzt auch wortlos blieb wie vorher und im Zug so starr und freudlos vor mich hinschaute, dass es BarbizonBarbizon, Georges auffiel und er mich fragte, so war das doch nicht mehr eine Stumpfheit in mir, sondern ein Schmerz, der schön ist. […] Ich hatte die Empfindung, dass Frau Pollak und ich die einzigen empfindenden, leidenden Menschen im Eisenbahnwagen seien, und war schmerzerfüllt, da ich sah, wie wir aneinander vorbeigehen mussten. […] Wir gingen auseinander und sahen eine Zeit lang nicht wieder.[210]

      Wieland HerzfeldeHerzfelde, Wieland, ein junger Mann mit markantem Kinn und wachen, klugen Augen, hatte sich also in Dora verliebt, sie sich aber nicht in ihn. Er war schließlich im Alter ihres Bruders, des kleinen »VickerichKellner, Viktor«, sechs Jahre jünger als sie! In den nächsten Tagen und Wochen sahen sie sich manchmal, ohne sich näherzukommen. HerzfeldeHerzfelde, Wieland hatte das Gefühl, wegen seines »anarchistischen Idealismus« nicht recht in den Sprechsaal zu passen. Er kam sich manchmal fast wie in einer Sekte vor, etwa als Hans KollwitzKollwitz, Hans ein Flugblatt verteilte, auf dem allen Ernstes erklärt wurde, nur, wer »innerlich rein« sei, dürfe künftig an den Versammlungen teilnehmen.[211]

      HerzfeldeHerzfelde, Wieland gab Dora auf. Sie war unerreichbar für ihn, eine Art hohe Frau, der er nicht würdig zu sein glaubte, wenn er auch ahnte, dass es in ihrem Inneren völlig anders aussah. Später rückte er sehr weit nach links und gründete die Zeitung Die neue Jugend, die alsbald verboten wurde. Er wurde Trauzeuge von Max ErnstErnst, Max und dessen Frau LuiseErnst, Luise. In seinem bewegten, bisher kaum dokumentierten Leben, in dem George GroszGrosz, George, Harry Graf KesslerKessler, Harry Graf, Erwin PiscatorPiscator, Erwin, Else Lasker-SchülerLasker-Schüler, Else und vor allem die Kunst und die Politik eine Rolle spielten, wird Dora nicht mehr vorkommen.

      3 Sommer ohne Sonne (1914–1918)

      »Der fürchterlichste und scheußlichste Verrat«

      Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz FerdinandFranz Ferdinand von Österreich-Este und dessen Frau SophieSophie Herzogin von Hohenberg in Sarajevo auf offener Straße erschossen. Der Täter, ein serbischer Nationalist, war noch Schüler. Die Zeitungen schrieben zwar ausführlich darüber, aber niemand im Umfeld des Sprechsaals schien die Sache besonders ernst zu nehmen, nicht einmal Käthe KollwitzKollwitz, Käthe, die ein so waches Auge für Politik hatte.

      Nicht ganz drei Wochen später, am 15. Juli, feierte Benjamin seinen 22. Geburtstag, den er zum ersten Mal seit langem wieder in Berlin verbrachte. Er wurde reich beschenkt, von seinen Eltern, von Grete RadtRadt, Grete, aber auch von Dora und MaxPollak, Max, die ihm dunkle Rosen in einer hohen Glasvase schickten, so als sei er eine ältere Dame und kein junger Student. Benjamin fühlte sich trotzdem äußerst geschmeichelt.

      Während man in den Wiener Caféhäusern schon lange von Krieg sprach, schien man in Berlin nichts davon zu ahnen, jedenfalls nicht im »besseren« Berlin, dem Berlin der Boheme. Die Menschen »belebten die Straßen in der Nacht genau wie am Tage«, schreibt der aus Wien stammende Librettist und Regisseur Rudolf BernauerBernauer, Rudolf. »Ein nicht enden wollender Trubel, ein Ameisenhaufen, ein Bienenschwarm. […] Man tanzte, füllte die Vergnügungsstätten, die Ballsäle und die Straßen. Es war wie ein ewig toller Jahrmarkt. Was hatten sie? Was war in sie gefahren? Fiel dieser Wahnsinn nur mir auf?«[212]

      Als Kaiser Franz JosefFranz Joseph I. sein berühmtes Manifest »An meine Völker« verfasste und zum Krieg gegen Serbien und Russland aufrief, meldete sich Doras Bruder ViktorKellner, Viktor sofort freiwillig.[213] Er hatte zwar vor, Farmer in Palästina zu werden, wollte aber vorher noch seinen russischen Glaubensgenossen zu Hilfe eilen, die seit langem unter den schlimmsten Pogromen zu leiden hatten. Auch KellnerKellner, Leon Senior glühte vor Kriegsbegeisterung. Schon nach der Annexion Bosniens durch Österreich hatte er erklärt, dass sein Land auf dem Balkan eine heilige Pflicht zu erfüllen habe, da sonst »in Ungarn, Siebenbürgen und andere[n] große[n] Provinzen« die »Barbarei«, »wüstes Chaos und despotische Anarchie« ausbrechen würden, vor allem durch den Vormarsch »asiatischer Raubzüge«.[214] Im Kollegenkreis stand er mit dieser Position relativ allein. Sogar enge jüdische Freunde waren der Meinung, dass jedes Schönreden der österreichischen Expansionspolitik Öl auf die »Feuerherde« des Nationalismus sei.[215]

      KellnerKellner, Leon war schon zu alt, um noch eingezogen zu werden, doch der Krieg würde ihn trotzdem nicht verschonen. Die russische Grenze war nicht weit von Czernowitz entfernt, und schon bald kam es zu einer ersten schrecklichen Schlacht, der noch viele weitere folgen würden. »Links und rechts die Leiber der tapferen Streiter, die ausgerungen haben auf dem Feld der Ehre«, schrieb das Czernowitzer Tagblatt. »In großer Anzahl, ja haufenweise die Leichen russischer Soldaten, die der fliehende Feind nicht mehr bergen konnte, aber auch die todesstarren Häupter unserer Lieben neben dem Feinde. Jetzt sind sie alle gleich, der Sensemann hat die Unterschiede

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