Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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Zusammenkünften und Aussprachen«. Jeder sei gegen jeden gewesen. Es seien viele böse Briefe hin- und hergegangen, entsetzlich »gestelzt und geschraubt«, nicht in natürlicher Sprache, sondern wie »mit Zungen« geschrieben.

      Noch kann ich nicht glauben, dass dieser Enthusiasmus vorhalten wird. Dazu ist die Ausdrucksweise zu pathetisch, etwas deklamatorisch […]. Die freideutsche Jugendbewegung muss vielleicht den Mund so voll nehmen, weil es ihr an Taten gebrechen muss. Die Freiheitskämpfer, die 48er, die Sozialdemokraten […] hatten Worte in Taten umzusetzen. Die freideutsche Jugend kann für ihr Endziel nicht viel tun, […] also hüllt sie sich in stolze Worte.[201]

      Was Benjamin über diese Spannungen hinweghalf, war seine Beziehung zu Grete RadtRadt, Grete, seiner Freundin, die er das »einzig Schöpferische« in dieser »unglaublich zerrissenen« Zeit nannte. Sie sei der »einzige Mensch«, der ihn »in der Totalität« sehe und erfasse. Hätte er sie nicht: er könne »das Zerflatternde dieser Tage kaum ertragen«.[202] Das alles spricht gegen eine gleichzeitige Beziehung zu Dora, auch wenn Benjamin emotional sehr vielseitig war und sich manchmal dabei ertappte, von drei bis vier Frauen gleichzeitig zu träumen.[203]

      Grete RadtRadt, Grete war die Schwester seines Freundes Fritz RadtRadt, Fritz, Tochter eines Sanitätsrates aus Berlin, auch sie etwas älter als er und anders als Dora sehr selbstbewusst. Im März 1914 schrieb sie im Anfang:

      Wer zum ersten Mal im akademischen Sprechsaal war, konnte keinen erfreulichen Eindruck davon empfangen. Ich will hier nicht von den mehr zufälligen und privaten Missklängen reden. Was aber die Sache bedrohte: es hatte den Schein, als wenn die Jugendbewegung unfruchtbar würde, an sich selbst erstickte […]. Sie reflektiert nur sich, indem sie über sich reflektiert. Sie wird bequem und wird Fett ansetzen. […] Man ringt nicht mehr mit der Sprache um neuen Ausdruck, man begnügt sich, Schlagwörter herauszustoßen […]. Ganz unhaltbar scheint mir vollends die Stellung des Sprechsaals zur Umwelt zu sein: man findet sich mit ihr ab, indem man sie leugnet – zwar bequem, aber doch recht, recht unjugendlich.[204]

      Damit hatte sie den Finger auf einen wunden Punkt gelegt, denn nahezu nichts, was sich außerhalb der Jugendkulturbewegung abspielte, wurde im Anfang thematisiert: weder die Demonstrationen gegen die steigenden Lebensmittelpreise, noch der Balkankrieg, der kurz davor stand, sich zu einem europäischen Krieg auszuweiten, noch die Verhaftung von Rosa LuxemburgLuxemburg, Rosa, die sich öffentlich gegen die Kriegshetze stellte, um nur wenige Beispiele zu nennen.

      Benjamin pflegte Grete RadtRadt, Grete teure Geschenke zu machen: einen »Carton Cigaretten cordon rouge, ganz lange, herrliche«, denn sie rauchte; einen japanischen Farbholzschnitt, denn sie war sehr anspruchsvoll; einen Aschenbecher; einen Schmuckkasten; schönen Korallenschmuck, den er nach eigenen Entwürfen bearbeiten ließ.[205] Er besuchte sie in München, wo sie studierte, fuhr mit ihr an den Tegernsee, ging mit ihr in die Alte Pinakothek, trank Champagner mit ihr und zog schließlich in ihre Nähe, obwohl ihm die Münchener Universität gar nicht gefiel und die Stadt erst recht nicht, weil sie ihm nicht bohème genug war.

      Ganz einfach war die Beziehung sicherlich nicht, denn auch Benjamin konnte bei aller Noblesse eine sehr herablassende Haltung gegenüber Frauen an den Tag legen. Im Juli 1913 schrieb er an Herbert BlumenthalBlumenthal, Herbert, er habe auf der Rückfahrt von Freiburg ein Fräulein Seligson im Abteil angetroffen, das »ganz unangenehm burschikos« gewesen sei. »Es ist doch Tatsache, dass nur wenige junge Mädchen mit Geist unbefangen sein können.«[206] In einem Text über die »Metaphysik der Jugend« ging er noch einen Schritt weiter und fragte sich:

      Wie kam es, dass Frauen sprachen? Denn die Sprache entseelt sie. Die Frauen empfangen keine Laute von ihr und keine Erlösung. Die Worte wehen über die Frauen hin, […] aber das Wehen ist plump und tonlos, sie werden geschwätzig. Ihr Schweigen thront aber über ihrem Reden. Die Sprache trägt die Seele der Frauen nicht, denn sie vertrauen ihr nichts […]. Die Worte fingern an ihnen herum, und irgendeine Fertigkeit antwortet ihnen geschwind. […] Die Sprache der Frauen blieb ungeschaffen. Sprechende Frauen sind von einer wahnwitzigen Sprache besessen.[207]

      Grete RadtRadt, Grete war ganz bestimmt nicht »geschwätzig«, sondern sprach und schrieb sehr gut, wie ihre spätere Dissertation über »Berliner Pflegekinder« zeigt, in der sie – inzwischen zur Nationalökonomie übergewechselt – mit der größten Sachlichkeit auf Miss- und Notstände in den Pflegefamilien hinweist und mehr Hilfe, besonders für uneheliche Mütter, fordert:

      Die Beziehung zu den Eltern, besonders aber zur Mutter, ist das erste Gemeinschaftserlebnis des Kindes. Für sein ganzes Leben wird es entscheidend sein, ob diese erste Beziehung ihm das Erlebnis der Liebe und des Vertrauens oder das der Gleichgültigkeit und des Misstrauens vermittelt. […] Unermesslich ist die seelische Einsamkeit des Kindes, das immer wieder unter andere Menschen kommt und vielleicht niemanden hat, der von Anfang an mit ihm verbunden ist. […] So verwüstend wirkt der häufige Pflegewechsel, dass ein nicht kleiner Teil von Pflegekindern als psychopathisch oder debil schließlich in eine Anstalt gegeben wird. […] Das Recht auf »Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit« blieb einem großen Teil der Pflegekinder bisher vorenthalten: ihr Leben ist Heimatlosigkeit, ihre Zukunft Verwahrlosung. Nur durch schnelles und energisches Eingreifen der verantwortlichen Stellen kann vermieden werden, dass weiteren tausenden von Kindern dieses Schicksal zuteil wird.[208]

      Am Seddiner See

      Benjamin lag mit GreteRadt, Grete am Tegernsee, als die Sprechsaal-Leute einen Ausflug nach Seddin in der Gegend von Potsdam machten.[209] Es war im Frühsommer 1914, fast zu heiß, um sich viel zu bewegen. »Wir wanderten nicht, sondern lagerten den ganzen Tag über«, schrieb Wieland HerzfeldeHerzfelde, Wieland in sein Tagebuch. Er war 1896 geboren, etwas jünger als der Rest der Gruppe, Sohn eines anarchistischen Autors und einer Aristokratin, die mit ihrem Mann eines Tages spurlos verschwunden war und ihre Kinder sich selbst überlassen hatte. Zusammen mit seinem Bruder HelmutHerzfeld, Helmut, der später als der Künstler »John HeartfieldHeartfield, John #i#Siehe#ie# Herzfeld, Helmut« bekannt werden sollte, war er bei Pflegeltern in der Nähe von Salzburg aufgewachsen. 1914 ging er zum Studium der Germanistik und Medizin nach Berlin, wo er sofort mit dem Sprechsaal in Kontakt kam. Georges BarbizonBarbizon, Georges gefiel ihm am besten. Benjamin weniger. Er sei sehr ernst, scharf und intellektuell gewesen, allerdings nicht sehr »künstlerisch«.

      An dem Ausflug nach Seddin nahmen etwa 15 Personen teil, darunter auch Dora. HerzfeldeHerzfelde, Wieland war tief beeindruckt.

      Ich hielt sie, als ich sie kommen sah, für ein Mädchen. Und eine unbewusste Verwandtschaft fühlte ich mit ihr, als ich sie kaum gesehen hatte. Als sie mir dann als Frau vorgestellt wurde, zuckte es unmerklich, aber doch so weh in mir auf, dass ich spürte: du bist verliebt. Nicht eine Minute dauerte das. Sie erkannte dann plötzlich, als ich mit ihr sprach, meinen österreichischen Dialekt, und war darüber maßlos erfreut, denn sie ist Wienerin und hängt gleich mir an dieser eigenen Sprache. Nun sprachen wir miteinander Dialekt […] und ich glaube, Frau Pollak hatte auch für mich Sympathie. Ich half ihr beim Butterbrotschmieren

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