Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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berichten, dass man fast das Gefühl hat, ihn im Originalton zu hören:

      Drei Tage lagen wir abgeschnitten im Schützengraben; es war unmöglich, an unsere Stellungen heranzukommen, nach Überlebenden zu suchen. Endlich fand man uns, einen Siebzehnjährigen und mich. Er war irrsinnig geworden, ich selbst schneeweiß. Ich habe die Eltern meines Kameraden später besucht. Er war ihr einziger Sohn, ein hochbegabtes Kind; sie führten mich zu ihm, er saß da: mit hängenden Strümpfen und wirren Haaren, und schwatzte sinnloses Zeug.[228]

      Die Waffen von morgen

      Der Roman Gas gegen Gas ist seit 1930 mehrfach als Fortsetzungsroman erschienen, zunächst in der Südwestdeutschen Rundfunkzeitung, später – unter anderem Titel – in den Innsbrucker Nachrichten und im Grazer Tagblatt.[229] Aber Dora hatte schon 1925 einen Artikel darüber geschrieben, der lange Zeit als von Walter Benjamin stammend galt, obwohl er mit »dsb« – Dora Sophie Benjamin – unterzeichnet ist: »Die Waffen von morgen. Schlachten mit Chlorazetophenol, Diphenylaminchlorasin und Dichloräthylsulfid«.

      Sie erklärt darin, dass sie noch viel Schlimmeres als die Schlachten bei Ypern oder am Isonzo befürchte, nämlich einen »gespenstischen […] Gaskrieg aus den Lüften«, einen »bloßen und radikalen Angriffskrieg«, gegen den es bislang »keine zulängliche Gegenwehr« gebe. Dazu entwirft sie folgende Vision:

      In den Straßen Berlins verbreitet sich bei schönem, strahlendem Frühlingswetter ein Geruch wie von Veilchen. Das dauert einige Minuten lang. Danach wird die Luft erstickend. […] Das alles kann eines Tages einsetzen, ohne dass in der Luft irgendein Flugzeug sichtbar, das Surren irgendeines Propellers vernehmbar wäre. Bei unverändert klarem Himmel und blendender Sonne. Aber unsichtbar und unhörbar, 5000 Meter hoch, steht ein Fluggeschwader, das Chlorazetophenol herabtropfen lässt, Tränengas, das »humanste« der neuen Mittel, das, wie bekannt, in den Gasangriffen des letzten Krieges bereits eine Rolle gespielt hat. […] Londons Zentrum mit dem Sitz aller lebenswichtigen Institute des britischen Imperiums bedeckt vier englische Quadratmeilen. Diese erfordern, um auf Monate hinaus unbewohnbar zu werden, 120 Tonnen Dichloräthylsulfid, Senfgas. Da zu gleicher Zeit maximal 250 Flieger […] sich aufhalten können, jeder davon mindestens 500 Pfund mit sich führt und dieses Geschwader eine Tonne pro Minute abwirft, so steht […] das Herz des britischen Weltreichs nach zwei Stunden still. […] Wie sehen jene Giftgase aus, deren Gebrauch die Verabschiedung aller menschlichen Regungen voraussetzt? Bis heute kennen wir siebzehn; unter ihnen sind das Senfgas und das Lewisit die wichtigsten. Gegen beide geben Gasmasken keinen Schutz. Senfgas frisst das Fleisch und führt da, wo es nicht unmittelbar tödlich wirkt, Verbrennungen herbei, deren Heilung drei Monate beansprucht. […] In den Regionen, die unter einem Senfgasangriff jemals gelegen haben, kann noch nach Monaten jeder Schritt auf dem Erdboden, jede Türklinke und jedes Brotmesser den Tod bringen. Senfgas macht wie viele andere giftige Gase alle Lebensmittel ungenießbar und vergiftet das Wasser. […] Es erübrigt sich, zu bemerken, dass die Unterscheidung zwischen ziviler und kampftätiger Bevölkerung im Gaskriege fortfällt, damit aber eines der stärksten Fundamente des Völkerrechts. Das ›Lewisit‹ ist ein Arsengift, dringt sofort ins Blut, tötet unwiderruflich, blitzartig alles Getroffene. Monatelang sind alle von schweren Gasangriffen betroffenen Bezirke durch Leichen verpestet. […] Keller und Unterstände […] bringen bei Gasangriffen den sicheren Tod, weil das schwere Gas in die Tiefe sinkt.[230]

      Outlaws among the nations

      Es verwundert nicht, dass Dora nicht mehr an einem Institut studieren wollte, dessen Leiter als »Vater des Gaskrieges« galt, ja, dass sie vielleicht überhaupt an dem Sinn ihres Faches zu zweifeln begann. Bis zum Sommersemester 1916 ist sie als Studentin der Chemie eingetragen, dann taucht ihr Name in den Personalverzeichnissen der Universität nicht mehr auf. Die handschriftlich geführten Bücher des Rektorats vermerken allerdings, dass sie sich noch einmal für Philosophie einschrieb, bevor sie sich im November 1916 endgültig exmatrikulierte.

      Nichts spricht dafür, dass sie in dieser Zeit Kontakt zu ihren Eltern gehabt hätte. Sie werden in keinem ihrer überlieferten Briefe erwähnt. Auch Anna KellnerKellner, Anna (geb. Weiß) lässt nicht erkennen, dass sie zu dieser Zeit mit Dora kommuniziert hätte. Für diese »Funkstille« könnte es mehrere Gründe gegeben zu haben. Erstens: Sie verzieh ihnen nicht, dass sie sie dazu gedrängt hatten, die vielleicht schönsten Jahre ihres Lebens mit einem Mann zu verbringen, den sie nicht liebte. Zweitens: Sie wollte von KellnersKellner, Leon zionistischem Überschwang nichts mehr hören und ihr Leben ohne einen »Priester« verbringen, der »zwischen Gott und ihr« stand.[231] Drittens: Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass ihr VaterKellner, Leon den Krieg immer mehr verherrlichte und in seinem Patriotismus beinahe rassistisch wurde. Er schimpfte lauthals auf bekannte englische Schriftsteller wie Rudyard KiplingKipling, Rudyard und H.G. WellsWells, H.G., weil sie sich kritisch über Deutschland geäußert hatten. Er bestritt ernsthaft, dass die Deutschen Unrecht getan hatten, als sie das neutrale Belgien überfielen und alte Universitätsstädte wie Leuwen fast völlig zerstörten. An den Leiter eines großen amerikanischen Verlages schrieb er:

      Sie wollen wissen, was ich über den Krieg denke? […] Brauche ich Sie an die serbischen Agitationen in Bosnien und Slawonien zu erinnern? Der kaltblütige, von langer Hand vorbereitete Mord an dem österreichischen Thronfolgerpaare ist wohl auch in Amerika noch nicht vergessen. […] Wir waren von Feinden umstellt, man ließ uns durch ein Jahrzehnt nicht zur Ruhe kommen, unsere Bevölkerung wurde systematisch aufgehetzt, unser Außenhandel wurde lahmgelegt. […] Und als wir es nicht länger ertragen konnten und den Serben zuriefen: »Nun ist’s genug!«, da schlossen uns die feindlichen Großmächte ein, wie die Jäger das Wild, zum triumphierenden Todesstoße bereit. Und nun, da wir uns unserer Haut wehren, und zwar mit ruhmreichem Erfolg, nun erklärt die »Times«, die Amerikaner hätten beschlossen, uns für geächtet, für »Outlaws among the nations« zu erklären. Bitte, Mr. Morley, bringen Sie diese […] Worte in die Tagesblätter New Yorks. Die Amerikaner sollen entscheiden, ob Österreich diese »Ächtung« verdient.[232]

      Seltsam, dass KellnerKellner, Leon in seinem Enthusiasmus völlig ausblendete, wie es den Juden in der deutschen und österreichischen Armee erging. Es wurden nicht nur die berühmt-berüchtigten »Judenzählungen« angeordnet, es gab auch hasserfüllte Kampagnen gegen jüdische »Drückeberger«, »Schieber« und »Bolschewisten«, obwohl Tausende jüdischer Soldaten im Feld standen, das Eiserne Kreuz trugen oder fürs »Vaterland« fielen. Als Arthur SchnitzlerSchnitzler, Arthur erfuhr, dass der Magistrat der Stadt Wien beschlossen habe, in Typhusspitälern künftig nur noch Juden arbeiten zu lassen, um das christliche Personal vor Infektionen zu schützen, kannte seine Wut keine Grenzen mehr. Seine Frau OlgaSchnitzler, Olga und er dachten an Auswanderung, »sofort!«.[233]

      Wenn er erst einmal liebt …

      Im Frühjahr 1915 soll es zu einer ernsthaften Annäherung zwischen Dora und Benjamin gekommen sein, deren Umstände allerdings nicht genau bekannt sind. Fast alle Biographen sprechen von einer gemeinsamen Reise nach Genf, wo sie Herbert BlumenthalBlumenthal, Herbert, der dort mit Carla SeligsonSeligson, Carla lebte, besucht haben sollen. Doch gibt es darauf keine konkreten Hinweise, jedenfalls nicht in Benjamins Briefen. Nur in einem Brief von 1916 findet sich eine Bemerkung, die als Erinnerung an eine Reise

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