Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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hier sehr verkürzt wiedergegebene Text mag dazu beigetragen haben, dass Dora in ihrem Trennungsentschluss bestärkt wurde. Denn konnte sie Benjamin glauben, was er da sagte? Führte er denn selbst ein Leben in »Gemeinschaft« und »Liebe«? Zog er sich nicht so oft wie möglich in seine Höhle zurück, um mit seinen eigenen Konstrukten zu leben, seinen HölderlinHölderlin, Friedrich-Exegesen[242] oder »platonischen« Dialogen über das Wesen der Farben und ihrer Wahrnehmung?[243]

      Um dieselbe Zeit – im Sommer 1915 – kam es zu einer ersten persönlichen Begegnung zwischen Benjamin und GershomScholem, Gershom (Gerhard) – damals noch Gerhard – ScholemScholem, Gershom (Gerhard), achtzehn Jahre alt, Sohn eines mittelständischen Druckereibesitzers, kurz vor dem externen Abitur stehend, angehender Mathematikstudent und Mitglied der Berliner Gruppe »Jung Juda«. Schon nach kurzer Zeit lud Benjamin ihn in sein Elternhaus ein, wo er »ein großes, sehr anständiges Zimmer« mit vielen Büchern bewohnte, das den Eindruck einer »Philosophenklause« machte.[244] ScholemScholem, Gershom (Gerhard) war erst spät am Abend gekommen, da er zuvor noch in der Alten Synagoge gewesen war, »deren strikt orthodoxe Liturgie« ihn sehr anzog.

      Bevor die beiden sich zu ihrer Besprechung zurückzogen, aßen sie mit der Familie zu Abend. Benjamins Bruder GeorgBenjamin, Georg war nicht da. Er stand im Feld. Aber die Eltern und Benjamins fünfzehnjährige Schwester DoraBenjamin, Dora (Schwester) waren anwesend. Benjamin hatte ihm vorher gesagt, »das Verhältnis zu seiner Familie sei nicht sehr erfreulich«, ohne näher zu erklären, warum nicht.[245]

      Später, in der »Philosophenklause«, sprachen sie bis tief in die Nacht, über HeineHeine, Heinrich, Martin BuberBuber, Martin, Lao-TseLao-Tse, Zionismus, Anarchismus und Sozialismus. Dabei gewann der junge, magere Gershom ScholemScholem, Gershom (Gerhard), der mit seinem fliehenden Kinn und seinen großen, abstehenden Ohren auf den ersten Blick etwas merkwürdig wirkte, enorm an Anziehungskraft, denn er konnte, genau wie Benjamin, faszinierend dozieren. Über die Stellung der deutschen Juden zum Krieg zum Beispiel, die nicht anders als radikal ablehnend sein könne: »Ihr seid Juden und Menschen, nicht Deutsche und Dekadente«, hatte er in sein Tagebuch geschrieben.[246] Oder: »Jawohl, ich bin in meinem innersten Herzen der Überzeugung, dass, wer sich freiwillig stellt, Hochverrat an Zion begeht.«[247] Er war stolz auf alle Juden, die sich wie er dezidiert gegen den Krieg stellten, vor allem auf Rosa LuxemburgLuxemburg, Rosa, die 1913 gesagt hatte:

      Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht![248]

      Rosa LuxemburgLuxemburg, Rosa war immer wieder Thema in dieser Nacht. Gershom ScholemScholem, Gershom (Gerhard) zeigte Benjamin die Zeitschrift Die Internationale, in der sie geschrieben hatte:

      Am 4. August 1914 […] strich die Sozialdemokratie die Segel, räumte kampflos dem Imperialismus den Sieg ein. Noch nie, seit es eine Geschichte der Klassenkämpfe, seit es politische Parteien gibt, hat es eine Partei gegeben, die […] nach fünfzigjährigem unaufhörlichen Wachstum […] sich binnen vierundzwanzig Stunden so gänzlich […] in blauen Dunst aufgelöst hat, wie die deutsche Sozialdemokratie.[249]

      Benjamin, der sich bis dahin nur wenig für Politik interessiert hatte, fing plötzlich Feuer und wollte mehr über Rosa LuxemburgLuxemburg, Rosa wissen. Er bat ScholemScholem, Gershom (Gerhard), ihm eine Zeitschrift mit ihren Beiträgen auszuleihen, was auch geschah.[250] Außer Luxemburg selbst kamen darin auch noch andere Frauen zu Wort, vor allem Clara ZetkinZetkin, Clara, auch sie eine Fremde für Walter Benjamin. Die Lektüre scheint ihn tief beeindruckt zu haben – eine Zäsur in seinem politischen Denken und seinem Verhältnis zu schreibenden oder sprechenden Frauen?

      In Seeshaupt

      Im Oktober 1915 zogen Dora und MaxPollak, Max nach Seeshaupt am Starnberger See. Ob LisaBergmann, Lisa tatsächlich mit von der Partie war oder es sich noch einmal anders überlegt hatte, ist nicht bekannt. Dora und MaxPollak, Max jedenfalls hatten sich auf einen dauerhaften Aufenthalt eingerichtet. Sie zogen zwar nicht in ein »eigenes Heim«, wie Dora es sich in einem Brief an BlumenthalBlumenthal, Herbert erträumt hatte, aber immerhin in die respektable »Villa Tambosi« an der St.-Heinricher-Str. 52, die einem Dr. Theodor GrödelGrödel, Theodor aus Bad Nauheim, gehörte.[251] Er war ein renommierter Badearzt und Herz-Kreislauf-Experte, jüdischer Herkunft, aber evangelisch getauft, Mitinhaber eines großen Sanatoriums, das sein Vater gegründet hatte. Zu den regelmäßigen Patienten des Hauses zählten viele Prominente, darunter amerikanische Schauspielerinnen und Auguste ViktoriaAuguste Viktoria, die Gattin von Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II..

      Theodor GrödelGrödel, Theodor, Träger des Eisernen Kreuzes, war im Januar 1915 im Ersten Weltkrieg gefallen. Nun verwalteten seine Erben das Haus, das er selbst erst im Februar 1914 gekauft hatte, wahrscheinlich, um es als Sommerfrische zu nutzen. Es ist möglich, dass Teile seiner Bibliothek darin verblieben, denn was ScholemScholem, Gershom (Gerhard) bei einem Besuch im August 1916 dort vorfand, war fast zu viel für zwei junge Leute wie Dora und MaxPollak, Max:

      Hölderlins Werke in der ersten Ausgabe von 1846 von Schwab, Bothes Pindar-Übertragung von 1808, Brauers Jean-Paul-Ausgabe in einem herrlichen alten Einband, die Voßsche Horaz-Übersetzung und vielerlei anderes, auch sehr viel Philosophisches.[252]

      Die Villa wird in der Benjamin-Biographik oft als »Villa Pollak« bezeichnet, so als hätte Max PollakPollak, Max sie gekauft, was aber nicht zutrifft. Dora und MaxPollak, Max wohnten lediglich zur Miete in diesem Haus, das, um 1860 erbaut, nicht ganz so luxuriös und idyllisch war, wie es oft beschrieben wird: Vom Seeufer durch eine Straße getrennt in einem großen, aber keineswegs parkähnlichen Garten liegend, zweistöckig, ohne Aussicht auf Berge, weitab vom Dorf und vom Wald, im Gesamteindruck eher langweilig und deprimierend. Die Umgebung war allerdings wunderschön: Badestrände am nahen Dampfersteg, rings um den See weitere kleine Seen, Tümpel und Weiher, die von dichtem Schilf umstanden waren, zahllose Seerosen, steile Wiesen, üppige Bauerngärten, in denen Malven und Akazien wuchsen, der gemütliche »Gasthof zur Post« und das fashionable Hotel Seeshaupt

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