Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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      Am 1. August 1914, dem Tag der deutschen Mobilmachung gegen Russland, saß Walter Benjamin mit Freunden im Café des Westens am Berliner Kurfürstendamm und beratschlagte, was zu tun sei. Während sich viele aus seinem Kreis freiwillig meldeten, darunter auch Doras ehemaliger »Schwarm« Franz SachsSachs, Franz, habe er »keinen Funken von Kriegsbegeisterung« gespürt, wird er später schreiben.[217] Um seiner zwangsweisen Einberufung zuvorzukommen, ging er dennoch zur Kaserne auf der Belle-Alliance-Straße, wo er sich pro forma für die Kavallerie anmelden wollte. Doch die diensthabenden Ärzte lehnten ihn ab, weil er zu kurzsichtig und zu unsportlich sei. Außerdem habe er unerklärliche Schwellungen auf beiden Handrücken. Hochzufrieden und beinahe ironisch lächelnd ging er zur Geschäftsstelle der Freien Studentenschaft und erzählte einem Freund von seinem Erfolg.[218]

      Sein Bruder GeorgBenjamin, Georg war da völlig anders. Das Studium in Genf gefiel ihm nicht. Alles war so kalt, trüb, nüchtern und langweilig. »Sehr gerne würde ich mich als Freiwilliger melden«, schrieb er am 5. August 1914 in sein Tagebuch. »Es drängt mich unbezwingliche Abenteuerlust. Endlich könnte ich Großes erleben, […] abgesehen von der Pflicht, gegen die Unkultur zu kämpfen.« Noch zögerte er, da er glaubte, dass Walter bereits eingezogen sei. Zwei Söhne im Feld und in Lebensgefahr – das wollte er seinen Eltern nicht antun. Doch als er von Walters Zurückstellung hörte, gab es kein Halten mehr. Er verließ Genf und fuhr wieder zurück nach Deutschland, um sich freiwillig zu melden. »Bin als Kürassier angenommen«, telegraphierte er kurz darauf aus der Stadt Brandenburg nach Hause.[219]

      Etwa um dieselbe Zeit, am 8. August 1914, geschah etwas, was Walter Benjamin völlig aus der Bahn warf. Einer seiner besten Freunde, Christoph Friedrich HeinleHeinle, Christoph Friedrich »Fritz«, Sprechsaal-Mitglied und vielversprechender Lyriker, hatte den Gashahn aufgedreht und sich mit seiner Freundin Friederike SeligsonSeligson, Friederike »Rika« umgebracht. HeinleHeinle, Christoph Friedrich »Fritz« war erst knapp über 20. Die Vossische Zeitung nannte »Liebesgram« als Motiv.[220] Doch seine Freunde waren sich darüber einig, dass es etwas anderes gewesen sein müsse, wahrscheinlich Verzweiflung über den Wahnsinn des Krieges. Tatsächlich aber war dem Selbstmord ein Zerwürfnis mit Benjamin vorausgegangen, Streitigkeiten im Sprechsaal, im Anfang und in der Freien Studentenschaft, wie sie in diesem Kreis dauernd vorkamen.[221] Da HeinleHeinle, Christoph Friedrich »Fritz« und seine FreundinSeligson, Friederike »Rika« sich nicht in ihrer Privatwohnung getötet hatten, sondern im Amt für soziale Arbeit auf der Brückenallee, wo die Versammlungen des Sprechsaals stattfanden,[222] fühlte Benjamin sich mitschuldig und fiel für Wochen in Apathie, unfähig, zu arbeiten und weiter an die Jugendbewegung zu glauben. Ab sofort gab es auch die Zeitschrift Der Anfang nicht mehr, zumal die meisten männlichen Mitarbeiter im Feld, im Exil oder schon gefallen waren, der 18-jährige Peter KollwitzKollwitz, Peter zum Beispiel, der seine Eltern beschworen hatte, sich freiwillig melden zu dürfen und schon zwei Monate später während der ersten Flandernschlacht ums Leben kam.

      Zu dem radikalen Schnitt, den Benjamin jetzt machte, gehörte auch der Bruch mit WynekenWyneken, Gustav, der die Jugend in glühenden Worten dazu aufgefordert hatte, in den Krieg zu ziehen. Es sei ein »guter« und »heiliger« Krieg. Die ganze Welt sei »wie aus einem Schlummer erwacht«. Jetzt gebe es nur noch eines: »letzte Hingebung und Opferwilligkeit«, um sich »Ruhm und Heldentum« zu erwerben.[223] Das war das Ende. Benjamin sagte sich »gänzlich und ohne Vorbehalt« von ihm los:

      Sie haben den fürchterlichsten scheußlichen Verrat an den Frauen begangen, die Ihre Schüler lieben. Sie haben dem Staat […] die Jugend geopfert. […] Sie ist Ihren irrenden Händen entfallen und wird weiter namenlos leiden. Mit ihr zu leben, ist das Vermächtnis, das ich Ihnen entwinde.[224]

      Gaskrieg bei Ypern

      Im Wintersemester 1914/15 waren bereits 284 Studenten der Berliner Universität »auf dem Felde der Ehre« gefallen, eine Zahl, »die aber mutmaßlich noch erheblich hinter der Wahrheit« zurückblieb.[225] Fast alle Professoren waren mit »kriegswichtigen« Aufgaben betraut worden oder hatten sich freiwillig dazu gemeldet, Fritz HaberHaber, Fritz zum Beispiel, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Forschung, der die wissenschaftliche Verantwortung für das gesamte Kampfgaswesen übernommen hatte. Dora kannte ihn, denn sie war seine Studentin. Seine Frau, Clara HaberHaber, Clara, geborene Immerwahr, war ebenfalls Chemikerin. Beide stammten aus Breslau und waren jüdischer Herkunft.

      Ende April 1915 ging die Nachricht durch die Presse, dass die Deutschen zum ersten Mal Giftgas eingesetzt hätten, in der zweiten Flandernschlacht bei Ypern. Wissenschaftlicher Leiter des »Experiments« war Fritz HaberHaber, Fritz, der dafür zum Hauptmann befördert wurde. Nach einem von ihm entwickelten Verfahren entwichen 180 Tonnen Chlorgas aus Flaschen, die in Schützengräben versteckt worden waren, sodass dichter Nebel entstand, der den Feind kampfunfähig machte. Bei diesem Angriff fanden über 1000 Franzosen den Tod. Tausende andere erlitten schwere Lungenödeme und Verätzungen im Bereich der Augen und Atemwege. Doch das war HaberHaber, Fritz noch nicht genug. Er forschte nach noch effizienteren Giftgasen wie Senfgas oder Phosgen, obwohl die Haager Landkriegsordnung von 1907 den Einsatz chemischer Kampfstoffe ausdrücklich verboten hatte. In Deutschland bürgerte sich die Redensart ein, dass man diesen Krieg »bis zur Vergasung« fortsetzen würde.

      Als HaberHaber, Fritz kurze Zeit später von der Front nach Berlin zurückkam, um sich in seiner Dienstvilla in Dahlem feiern zu lassen, kam es zu einem heftigen Streit mit seiner FrauHaber, Clara, die den Einsatz von Giftgas vehement ablehnte und schon viele Artikel darüber geschrieben hatte, ohne dass auch nur eine Zeitung sie drucken wollte. Am 2. Mai 1915 ging sie in den Garten und schoss sich mit HabersHaber, Fritz Dienstwaffe ins Herz. Ihr dreizehnjähriger Sohn fand sie blutüberströmt im Gras liegend.[226]

      Wenige Tage später ließ HaberHaber, Fritz sich in Galizien einsetzen, um weitere Giftgaseinsätze vorzubereiten, denn die Alliierten hatten inzwischen begonnen, Gemische mit noch höherer Toxizität zu entwickeln, die »verlässlich« zu einem qualvollen Tod führten. Giftgase verschiedener Zusammensetzung wurden künftig an allen Fronten eingesetzt, besonders in den Isonzoschlachten, an denen auch KokoschkaKokoschka, Oskar, HemingwayHemingway, Ernest und Sigmund FreudsFreud, Sigmund Sohn MartinFreud, Martin teilnahmen. Insgesamt sollen im Ersten Weltkrieg 100000 Soldaten durch chemische Kampfstoffe umgekommen und mehr als eine Million schwer verwundet und traumatisiert worden sein. Die statistischen Angaben schwanken.[227]

      Dora ist durch diese Tragödie enorm erschüttert worden, vielleicht, weil sie Fritz HaberHaber,

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