Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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dass ein »Vorhang« zwischen ihnen herabfiel? War sie ihm gegenüber bisher nur zu »feige«, nein, zu »empfindlich« gewesen, weil sie sich so sehr vor »Freundschaft aus Pflichtgefühl« fürchtete?[179]

      Wo war die Härte und die Kälte geblieben! Ich besaß einen Menschen, durfte ihm liebend helfen – gibt es je größere Wonne, größeres Licht für den, der eben in Nacht einherging![180]

      In diesem Moment glaubte sie, ihre große Liebe gefunden zu haben: Franz SachsSachs, Franz. Sie lud ihn ein, sie besuchen zu kommen, sie und ihren Mann, Max PollakPollak, Max. Sie würden sich ans Klavier setzen und arbeiten, »praktisch, mit Musikvorträgen«, auf der Grundlage eines Buches von August HalmHalm, August, des führenden Musiktheoretikers der Jugendkulturbewegung. Auch LisaBergmann, Lisa, die Freundin von MaxPollak, Max, sollte dabei sein.

      FranzSachs, Franz dankte mir bewegt, dass ich LisaBergmann, Lisa eingeladen. Ich sagte: »Das ist wohl nur selbstverständlich.« Er weiß, dass ich alles weiß. Donnerstag will Ben kommen. HerbertBlumenthal, Herbert, fühlst Du, wie wir Dich lieben! Dora.[181]

      Zu Besuch in Benjamins Elternhaus

      Walter Benjamin, geboren am 15. Juli 1892 in Berlin, war zu dieser Zeit nicht einmal 22 Jahre alt, zweieinhalb Jahre jünger und etwas kleiner als Dora. Er studierte in Berlin Philosophie, aber auch Literatur- und Kunstgeschichte und wohnte noch bei seinen Eltern EmilBenjamin, Emil und Pauline Elise BenjaminBenjamin, Pauline Elise, geborene Schoenflies, die in der Delbrückstraße 23 in Grunewald eine prächtige Villa besaßen. Auch Benjamin war jüdisch, wenn auch auf völlig andere Weise als Dora. Sein VaterBenjamin, Emil hatte einen gewissen Hang zur Orthodoxie, während die Mutter eher dem Reformjudentum zuneigte. Aber niemand in diesem Haus war Zionist. Niemand sprach Jiddisch oder war in Kreisen aufgewachsen, in denen man noch Schläfenlocken und Gebetsriemen trug wie die Vorfahren von Dora. Die Benjamins gehörten also dem assimilierten Berliner Judentum an. Sie gingen zwar an hohen Feiertagen in die Synagoge, entzündeten aber auch zu Weihnachten einen Christbaum,[182] was bei den Kellners völlig undenkbar gewesen wäre. Sie verkörperten genau den Typus von Juden, den Leon KellnerKellner, Leon immer wieder anprangerte: den »Jom-Kippur-Juden«, der die »Urwüchsigkeit des jüdischen Geistes« eingebüßt und die Verbindung zu seinen Wurzeln verloren habe.[183]

      Walter Benjamin war stets korrekt, aber nicht auffällig gekleidet und trug wegen seiner Kurzsichtigkeit eine dicke Brille, die er im Gespräch gelegentlich abnahm, um den Partner mit ernsten, dunkelblauen Augen zu fixieren. Er war zwar schlank, aber nicht so sportlich, wie es den Idealen des »Wandervogels« entsprochen hätte. Sein langsamer, etwas unbeholfener Gang schien eher zu einem älteren Herrn als zu einem Studenten zu passen. Bis auf den dichten Schnauzbart war sein Gesicht glatt rasiert. Er hatte sehr weiße Haut, die manchmal zu leichten Rötungen neigte, besonders, wenn er sich aufregte, was er allerdings eher in Briefen als im Gespräch tat. Seinem akzentfreien Hochdeutsch merkte man an, dass er kaum mit den unteren Schichten Kontakt gehabt hatte. Das »Berlinische« beherrschte er zu dieser Zeit nur ansatzweise, das Jiddische noch weniger, wenn auch, so sein Freund Gershom ScholemScholem, Gershom (Gerhard), »der Gesamteindruck der Physiognomie […] durchaus jüdisch« war.[184]

      Er hatte zwei jüngere Geschwister, die GeorgBenjamin, Georg und DoraBenjamin, Dora (Schwester) hießen, eine seltsame Koinzidenz. DoraBenjamin, Dora (Schwester) war damals erst 13, fast noch ein Kind, zu jung, um am Sprechsaal teilzunehmen. GeorgBenjamin, Georg, knapp 19, tauchte gelegentlich auf. Doch er stand kurz davor, nach Genf zu gehen, wo er Mathematik studieren wollte. Außerdem war sein Verhältnis zur Jugendkulturbewegung sehr distanziert. Das war ihm alles zu »intellektualisiert«. Er wollte nicht mit »Ideen und Phantomen« zusammensitzen, sondern mit »lebendigen Menschen«. Noch gehörte er keiner Partei oder politischen Richtung an. Doch er träumte davon, eines Tages »eine soziale Tätigkeit« auszuüben.[185]

      Benjamins MutterBenjamin, Pauline Elise stammte aus einer weitverzweigten Gelehrten- und Künstlerfamilie, zu der der Mathematiker Arthur SchoenfliesSchoenflies, Arthur und die Dichterin Gertrud KolmarKolmar, Gertrud gehörten. Der VaterBenjamin, Emil war stolz auf eine entfernte Verwandtschaft mit Heinrich HeineHeine, Heinrich. Er kam aus Köln, hatte ursprünglich das Bankfach gelernt, war aber dann in ein Kunst- und Auktionshaus eingetreten, an dem er so hohe Anteile erwarb, dass er sich zurückziehen und als Aktionär verschiedener Unternehmen leben konnte, die er mit geschickter Hand zu lenken verstand.[186] Doch er blieb ein unermüdlicher Autographen-Sammler von höchstem Niveau. Fünf Jahre nach seinem Tod versteigerte die Firma Stargardt einen Teil seiner Hinterlassenschaft, darunter Briefe von AndersenAndersen, Hans Christian, BeethovenBeethoven, Ludwig van, EichendorffEichendorff, Joseph von und FontaneFontane, Theodor, Korrespondenz der Familien Goethe und Grimm, Fragmente aus Heines Lutetia, Notenhandschriften von BrahmsBrahms, Johannes und Felix MendelssohnMendelssohn Bartholdy, Felix, aber auch Aufzeichnungen berühmter Sozialisten wie BebelBebel, August, MarxMarx, Karl, Robert BlumBlum, Robert, LassalleLassalle, Ferdinand und LiebknechtLiebknecht, Karl. Doch genau dieser VaterBenjamin, Emil kommt in Benjamins Briefen und Schriften nicht vor, nur der Kaufmann und Kapitalist, der zu wenig Verständnis für ihn hatte. Es ist vielleicht übertrieben, von einem neurotischen Verhältnis zu sprechen, das sich im Lauf der Zeit immer mehr verhärtet habe.[187] Man wird aber sagen dürfen, dass Benjamin ein sehr einseitiges Vaterbild hatte und in diesem Punkt relativ unbelehrbar war.

      Walter Benjamin war ein kränkliches Kind, das jahrelang von Privatlehrern unterrichtet wurde und später nur ungern auf das Gymnasium ging. Die »märkische Backsteingotik«, der Zwang, »die Mütze vor den Lehrern abzunehmen«, die »altertümlichen Formen der Schulzucht«, das Schrillen der Pausenklingeln und die diffuse »Masse der Schüler«: Alles das war ihm zuwider.[188] Er war so oft krank und hatte

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