Harte Reden. Fritz Binde
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Harte Reden - Fritz Binde страница 9
Ein recht modernes Sprüchlein! In unserer Zeit der Kulturüberschätzung gibt es ja beinahe nichts unbestritten Wertvolleres als die Arbeit. Man braucht nur die Probe zu machen. Frage irgendeinen regelrecht tätigen Menschen, wozu er eigentlich lebe. Er wird antworten: „Um zu arbeiten!“ Er hat damit der reellen Ernsthaftigkeit seiner Lebensauffassung Ausdruck gegeben; denn er kennt nichts Reelleres als die Arbeit; mithin erhebt er sie zum Lebenszweck. Frage ihn weiter: „Und wozu arbeiten Sie?“ so sieht er dich verwundert an und platzt heraus: „Na, um zu leben!“ Also er lebt, um zu arbeiten, und arbeitet, um zu leben. Das ist vieler moderner Kultursklaven einzige Lebensweisheit. Welch eine Hoffnungslosigkeit!
Sicherlich ist die Arbeit eine Lebensnotwendigkeit; aber sie bedeutet keine Lebenserklärung. Vielmehr ist die Arbeit eine fluchvolle Folge der Lebensbeeinträchtigung, die dem biblisch geoffenbarten Sündenfall auf dem Fuße folgte. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist“ (1.Mose 3,19). Welch ein unseliges Verhängnis! Aber der gottentfremdete Mensch empfindet diesen fluchbeladenen, verhängnisschweren Ursprung und Charakter der Arbeit gar nicht mehr. Im Gegenteil, er rühmt sich durch die Jahrtausende seiner Arbeitsleistung, ja, glaubt sogar durch sie zu werden wie Gott. Und doch ruht der Fluch auf aller menschlichen Arbeit. Sie bleibt mühevolle, Schweiß erfordernde, den brüchigen Erdenleib aufreibende Plage. Was diese Plage mühsam gebiert, bleibt unvollkommenes Stückwerk, das bald wieder in Trümmer fällt. Und sie ist kein Weg zu Gott zurück; denn niemand kann sich das Himmelreich erarbeiten. Das ist und bleibt der dreifache Fluch, der nicht vom menschlichen Tun weicht, was auch Menschenruhmredigkeit dagegen schreit. Heute, wo die Kulturleistung vergöttert und als Mittel zur Selbsterlösung der Menschheit über alles gepriesen wird, heute, wo ein Geschlecht, das bewusst ohne Gott in der Welt sein will, die stolzen Hoffnungen seines Unglaubens ganz auf den Ruhm seiner Arbeit stützt, muss es biblisch klar gesagt werden: Die Arbeit erklärt und erlöst unser Dasein nicht!
Sie ist und bleibt eine fluchgeborene Not, die Gott zur Erziehung der Menschen zur Tugend erhoben und gesegnet hat – denn der Müßiggang ist noch ungleich fluchbeschwerter, und das apostolische Gebot heißt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, ja, wehe dem, der sein Pfund vergräbt ins trockene Schweißtuch! Er kann vor Gott nicht bestehen – aber die Arbeit darf nicht abgöttisch zum rettenden Lebenszweck umgestempelt werden; und das geschieht überall, wo sie nicht mehr nach dem Worte Gottes unter dem Auge Gottes geschieht. Dämonische Leidenschaft ist sie da für unzählige, ein Geißelhieb für alle Geld- und Ehrgeizigen. Und satanische Betäubung ist sie da für alle, denen das Wort Pascals gilt: „Der Mensch sucht nichts so sehr als sich selbst, und er flieht zu gleicher Zeit nichts so sehr als sich selbst.“ Und furchtbarstes, trostlosestes, hoffnungslosestes Joch ist sie da für alle, die im Schweiße ihres Angesichtes sich auf Erden abmühen müssen.
Wer nicht klar weiß, wozu er lebt, der weiß auch nicht klar, wozu er arbeitet. Wozu arbeitest du, teurer Hörer? Die ärmlichste und allgemeinste Antwort lautet, wie bereits angeführt: „Ich arbeite um zu leben.“ Eine reichere Antwort scheint zu sein: „Ich arbeite für die Zukunft meiner Familie.“ Eine noch freiere und frohere Antwort wäre: „Ich arbeite im fröhlichen Schaffensdrang zur Betätigung und Verwertung meiner besonderen Anlagen und Kräfte.“ Sozialer und edler klingt die Antwort: „Ich arbeite für die und die gute Sache.“ Hochideal tönt es: „Ich arbeite für die Höherentwicklung der nationalen und allgemeinen Kultur.“ Und das erhabenste scheint zu sein: „Ich arbeite für die Menschheit.“ Alles gut und schön, aber die folgerichtigste Frage auf die umfassendste Antwort ist doch sicherlich die: „Wozu arbeitet die Menschheit?“ Und damit steht der Unglaube wieder vor der Antwortlosigkeit und Hoffnungslosigkeit; denn er vermag die Frage nicht zu beantworten.
Darum macht er es am liebsten bei der Frage nach dem Wozu? geradeso wie bei der Frage nach dem Wohin? Nämlich er sagt: „So muss man nicht fragen! Auch die Seidenraupe weiß nicht, wozu sie ihren Kokon spinnt, und doch spinnt sie ihn und stirbt. Und fragt sich der Vogel, wozu er sein Lied singt? Und doch singt er es, und singt's fröhlich. Mach's geradeso!“ Darauf ist zu fragen: „Sind wir nicht mehr als Vogel und Raupe? Ist die Frage nach dem Wozu? nicht der lauteste Vernunftschrei unserer Menschlichkeit, ununterdrückbar und unersättlich, bis er seine auf ewig stillende Antwort gefunden?“ Nie und nimmermehr wird sich der Mensch dabei beruhigen, eine Ätherwelle im Meere der Stoffbewegung, ein Rädchen in der Maschinerie des fragwürdigen Kulturbetriebs zu sein! Gerädert von der Kultur, geplagt von der Natur, wird er immer wieder aufschreien: „Wozu das alles? Wozu? Wozu?“ Und der Unglaube, der die Gottesoffenbarung der Bibel ablehnt, kann ihm keine Antwort geben. – Hoffnungslos! O, würde der Schrei nur noch viel lauter, nur noch viel nachdenklicher, wuchtiger, verzweifelter ertönen, wie viel schneller würde die Hoffnungslosigkeit jeder ungläubigen Weltanschauung offenbar werden! Indessen wird die Hoffnungslosigkeit des Unglaubens nur verhüllt durch die Gedankenlosigkeit des Unglaubens.
Wird diese Hülle durch Not und Nachdenken einmal gründlicher zerrissen, so stöhnt man trostlos auf: „Mein einziger Trost – die Arbeit!“ Nun wohl, es kann ein vorläufiger Trost sein, in irgendwelcher Bedrängnis und Trauer zu wissen, es ist einem noch Kraft und Gelehrsamkeit zur Arbeit geblieben; aber ein befriedigender, befreiender Trost kann für den nachdenklichen Menschen, in der bloßen Arbeitsbetätigung, mit der man sich schließlich nur zu betäuben sucht, nicht gefunden werden; denn Arbeiten erklärt und erlöst unser Dasein nicht.
Und nun zur praktischen Hauptsache in diesem Punkte. Wer hat denn das bisschen Trost im Leben am nötigsten? Ich denke, zunächst die Kranken. Nun gehe hin zum Kranken und sage ihm: „Der einzige Trost – die Arbeit.“ Er wird meinen, du wollest ihn verhöhnen. Die Krankheit hat ihn arbeitsunfähig gemacht, und du sagst: „Dein einziger Trost – die Arbeit“? Damit gibst du ihn der völligen Trostlosigkeit preis; denn gerade die Arbeit als einziger Trost, den er so sehr nötig hätte, ist ihm genommen. Ist's nicht schon traurig, wenn einem die Gesundheit genommen ist? Ist's nicht schon schlimm, wenn einem die Arbeit als Arbeit, genommen ist? Und nun muss er hören, dass ihm mit der Arbeit auch der einzige Trost genommen ist! Wie hoffnungslos entsetzlich!
Siehst du jetzt die platte Gedankenlosigkeit des prunkvollen Moralsprüchleins: „Der einzige Trost – die Arbeit“ ein? Gehe mit diesem gedankenlosen Trostspruch zum Arbeitsunfähigen, zum jungen Invaliden, der sonst gesund, aber eben aus irgendwelchem Grunde sein Leben lang arbeitsunfähig ist. Hat der Arme nicht Trost nötig? Sag ihm den Hohn ins Gesicht: „Dein einziger Trost – die Arbeit!“ Geh zu den Alten, zu den Ergrauten und Weißgewordenen, die im Lehnstuhl sitzen oder in Altersschwäche auf dem Lager liegen. Die Leute haben immer Trost nötig. Sage ihnen: „Euer einziger Trost – die Arbeit.“ Oder tritt in die Herbergen und in die tausendköpfige Versammlung der Arbeitslosen. Rufe ihnen zu: „Euer einziger Trost in eurer trostlosen Lage – die Arbeit!“ Und was sollte man den Sozialdemokraten sagen, die den achtstündigen Arbeitstag begehren. „Haltet ein!“ müsste man ihnen entgegentreten, „ihr beraubt ja die Leute des einzigen Trostes! Trachtet doch lieber nach dem vierundzwanzigstündigen Arbeitstag, damit die Leute doch vierundzwanzig Stunden Trost haben! – Zu solchen Schlüssen müsste man kommen, wäre das Sprüchlein wahr: „Der einzige Trost – die Arbeit.“ Möge die Lächerlichkeit auch hier töten!
Es bleibt also dabei: Nur wer aufgrund der Offenbarung Gottes im heiligen Schriftworte durch erlebten Glauben klar weiß, wozu und für wen er lebt und arbeitet, der schätzt die Arbeit recht ein und tut sie oder legt sie nieder getröstet. Ohne solchen wissenden Glauben bleibt auch das heute so beliebte Carlylesche2 Wort: „Arbeiten und nicht verzweifeln!“ nur eine schillernde Kulturphrase und der großtuerische Ausdruck bereits eingetretener platter Verzweiflung. Wäre die Arbeit anders ein Trost und schützte sie anders vor Verzweiflung – in welcher trostreichen, erquickenden Gegenwart müssten wir dann leben; denn zu keiner Zeit ist so intensiv gearbeitet worden wie heute. Entweder kehrt unsere wirre, überarbeitete Zeit zum Glauben zurück