Der Bierzauberer. Günther Thömmes

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Der Bierzauberer - Günther Thömmes

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war das todlangweilig, aber man konnte sich schnell und ungesehen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Staub machen. Deshalb war dies, neben dem Entladen der Getreideschiffe auf dem Rhein am frühen Morgen, meine Lieblingstätigkeit.

      Und eines Tages gab es sogar die ideale Arbeitseinteilung: Fünf Uhr morgens Schiffe entladen, wenn ich gegen elf Uhr mit dem großen Absaugschlauch fertig sein würde, sollte ich noch etwa zwei Stunden auf dem Siloboden fegen und saubermachen, dann wäre Feierabend.

      Das Entladen ging schneller als erwartet, um zehn Uhr fand ich mich bereits auf dem Dach wieder, das die hohen Getreidesilos bedeckte und das nebenbei auch eine traumhafte Aussicht über den Rhein bot. Nach der harten Arbeit beim Entladen hatte ich verständlicherweise keine Lust mehr auf öde Fegerei.

      Ich hatte mir schon ein abgelegenes Treppenhaus mit einigen Seitentüren ausgesucht, in dem ich mich einmal etwas genauer umsehen wollte. Umso größer war meine Enttäuschung, als ich alle Türen verschlossen fand. Ich wollte gerade zurück zu den Silos gehen, um meine Sachen zu packen und ins Wochenende zu fahren, als ich noch eine kleine Seitentür erblickte.

      Ich ging hin, sie war nicht verschlossen! Die Tür klemmte ein wenig, mit einem kräftigen Stoß konnte ich sie öffnen. Schnell ging ich hinein und machte die Tür hinter mir zu.

      Es war stockdunkel und die Luft roch abgestanden und leicht modrig. Nach einer Weile hatte ich einen Lichtschalter gefunden. Ich stand in einem kleinen Raum, der wohl einmal als Büro gedient haben mochte. Ein kleiner, alter Schreibtisch aus dunklem Holz, dazu ein passender Stuhl, alles voller Staub und Spinnweben. Ein Kalender an der Wand deutete mir an, dass dieses Büro zuletzt im Jahr 1928 benutzt worden war.

      Ich konnte meine Neugierde kaum zurückhalten!

      Besonders faszinierte mich von Anfang an das dritte Möbelstück im Raum, ein kleiner, hölzerner Bücherschrank mit einer Glastür. Der Schlüssel steckte, und ich sah eine Reihe Bücher, fast genauso verstaubt, aber ansonsten in gutem Zustand.

      Ich nahm einen Stapel heraus und legte ihn auf den Tisch. Die ersten waren Rechnungsbücher, von der Buchhaltung der Mälzerei aus früheren Jahren. Getreideeinkauf, Betriebskosten, Personal, alles war hier verzeichnet.

      Als ich den ersten Stapel zurück in den Schrank legte, fiel mir ein Buch ins Auge, welches aus der Reihe herausragte, in Material und Größe war es nicht wie die anderen.

      Ein schwerer Ledereinband, der wirklich alt aussah. Ein großes, umständliches Format, wie ein altertümliches Rezeptbuch. Auf dem Ledereinband prangte ein großer Stern. Ein Stern, wie ich ihn ansonsten als »Davidstern« kannte.

      Ich überflog das Buch oberflächlich. Es war ein handschriftliches Manuskript, geschrieben in einem, wie ich fand, beinahe unmöglich zu entziffernden, sehr altmodischen Deutsch, aber einige wenige Passagen waren mit etwas Anstrengung durchaus lesbar.

      Einen Teil des fein säuberlich und mit wenig Schnörkeln geschriebenen Textes konnte ich als Latein entziffern. Die Qualität des Papiers war, obwohl völlig vergilbt, bemerkenswert gut. Ich hatte keine Ahnung, wie alt es wirklich war, spürte jedoch schon, dass dies etwas Besonderes sein musste.

      Bestimmt das älteste Buch, das ich jemals in der Hand gehalten hatte. Während ich durch das Buch blätterte, fielen einige einzelne Blätter heraus. Helleres Papier, in einer anderen Qualität, Papier neueren Datums.

      Ich hob sie auf, legte sie auf die Seite und schlug das Buch vorne auf.

      ›Dies sind die Aufzeichnungen über die Profession der hohen Braukunst des Praxators Niklas Hahnfurt, geboren im Jahre des Herrn 1248.‹

      Konnte das wahr sein? Ein Buch aus dem Mittelalter, hier in der Mälzerei!

      Und sogar, wenn es tatsächlich echt war, wie war es hierhin gekommen?

      Daher nahm ich das Buch mit nach Hause und legte es einem Freund vor, der an der Universität Trier Mediävistik lehrt und daher in alten Sprachen und Schriften sehr bewandert ist. Er schlug es hinten auf und überflog einige der letzten Sätze:

      ›Mein unstetes Leben neigt sich dem Ende zu, ich glaube nicht, dass ich das Ende des Jahres Anno Domini 1326 noch erleben werde. Ich habe, seit ich nach Urbrach zurückgekommen war, meine Erlebnisse, Bierrezepturen und alles, was mir aus meinem Leben erinnernswert erschien, in dieses Buch eingetragen. Ich weiß nicht, ob mein Leben es wert war, aufgezeichnet zu werden, aber ich war gottesfürchtig und habe doch viel gesehen und erlebt.‹

      Mein Sprachforscher war begeistert.

      Wir versuchten, vorne weiterzulesen:

      ›Ich schreibe dies alles auf diesen wunderbaren Stoff, den Du, lieber Leser, in Deinen Händen hältst. Es handelt sich dabei um eine Neuigkeit, die ich als junger Mann in der neuen Mühle zu Ravensburg bekommen habe. Es sieht aus wie Papyrus, ist jedoch feiner und haltbarer. Die Feder lässt sich besser führen als auf unserem alten Pergament und man kann es besser zu Büchern binden. Du, wer auch immer Du bist, hältst eines der ersten Bücher in der Hand, das jemals in unseren Landen aus diesem neuen Stoff hergestellt wurde.

      Ich habe es mehr als 50 Jahre lang mit mir getragen. Nun ist die Zeit gekommen, es zu beschreiben mit dem, was ich zu berichten habe. Über mein Leben, über die hohe Kunst des Bierbrauens, doch auch über die

      Bestie in Menschengestalt, die mich mein halbes Leben lang gejagt hat.‹

      Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Schrecken legten wir das Buch weg und nahmen die losen Seiten zur Hand, die gleich zu Beginn aus dem Buch gefallen waren. Das erste Blatt war ebenfalls von Hand beschrieben.

      ›Dieses Buch ist im Moment in meinem Besitz. Wie es dahin kam, ist eine lange Geschichte, die ich vielleicht niemals erzählen werde. Sollten Sie, der Sie dies lesen, nicht zu denen gehören, für die dieses Buch bestimmt ist, legen Sie es bitte an seinen Platz zurück. Andernach, im Jahre des Herrn 1878, Theobald Simon aus Bitburg.‹

      Donnerwetter, das wurde ja immer besser! Theobald Simon war der wichtigste Brauer aus der Dynastie der Bitburger Brauerei, einer der größten und erfolgreichsten Brauereien des Landes. Ich beschloss, mir seine Geschichte noch etwas aufzuheben, und sah das nächste Blatt an.

      Schon die Unterschrift darauf reichte, um mich endgültig davon zu überzeugen, hier in ein ganz besonderes, fast schon mystisches Geheimnis hineingeraten zu sein.

      Das Blatt endete mit den Worten:

      ›Und hiermit lasse ich dieses wunderbare Buch dort, wo es am besten von jemand aufzufinden ist, der es zu nutzen weiß. Gabriel Sedlmayr, Anno Domini 1819.‹

      Gabriel Sedlmayr, einer der Ahnherren der Spaten-Brauerei in München, gleichfalls eine der ganz großen Gestalten in der deutschen Biergeschichte, hatte dieses Buch ebenfalls besessen.

      Aber was sollte dieser mysteriöse Hinweis, er lasse das Buch dort, wo jemand es finden soll, der es zu nutzen weiß? Welches Geheimnis verbarg sich in diesem Buch? Wir beschlossen, uns ans Lesen beziehungsweise Dechiffrieren dieses dicken Manuskripts zu machen.

      In den folgenden Wochen verbrachte ich jede freie Minute und darüber hinaus jede Minute, die ich mir bei der Arbeit ›frei machen‹ konnte, mit diesem alten Buch. Und während ich nach und nach entdeckte, welcher Schatz sich darin verbarg, versuchte ich, neben dem Lesen eine lesbarere Version mitzuschreiben. Dies war jedoch nicht so leicht, wie ich es mir vorstellte.

      Daher nahm ich

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