Emsgrab. Wolfgang Santjer
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»Obduktion?«, schlug Stefan zögerlich vor.
»Ja, später. Aber was können wir noch hier vor Ort tun?«
Keine Reaktion.
»Zeugen, Stefan«, sagte Jan Broning geduldig. »Zeugen suchen und befragen. Die mühselige, aber notwendige Polizeiarbeit. Als Erstes solltest du die anderen Bootjefahrer befragen, bevor die den Hafen verlassen. Die Kneipen in der Nähe nehmen wir uns anschließend vor. Es fehlt aber immer noch etwas.«
Stefan legte die Stirn in Falten und fragte vorsichtig: »Was glaubst du denn, was passiert ist, Jan?«
Schön ausgewichen, dachte Broning. Aber er wollte den Neuen nicht weiter unter Druck setzen. »Der Tote ist treibend aufgefunden worden. Also ist der Mann nicht im eigentlichen Sinne ertrunken, sondern erstickt. Das bedeutet, bei der Obduktion in der Gerichtsmedizin wird kein Wasser in der Lunge festgestellt, aber dafür vermutlich ein erheblicher Blutalkoholwert. Gestern hat es stark geregnet, der Holzanleger war deshalb sehr glatt.«
Stefan nickte und Jan Broning fuhr fort: »Die Frau hatte ausgesagt, ihr Mann wollte noch ein Glas Bier trinken gehen. Also, unser Bootjefahrer verließ sein Boot, um sich noch einen Schluck zu genehmigen. Er ging dazu in eine Kneipe, nicht so weit entfernt, wegen des Regens. Entweder trank er zu viel oder er hat den Alkohol schlecht vertragen und wollte zurück zum Liegeplatz. Das Boot liegt hinter dem etwa einen Meter hohen Geländer und es gibt keine Durchgangspforte oder Ähnliches. Herr Haack musste also über diese rutschige Stufe des Geländers klettern. Dazu kommen jetzt noch der unsichere Gang, bedingt durch Alkohol, und das rutschige, nasse Holz. Er rutscht aus und schlägt mit dem Kopf entweder auf den Holzanleger oder gegen das Boot. Deshalb ist es wichtig …«
»… den Anleger und das Boot nach eventuellen Blut- oder Haarspuren abzusuchen«, vervollständigte Stefan.
»Genau. Alkohol und Wasser – das ist eine verdammt gefährliche Mischung, Stefan.« Broning lehnte sich auf das Geländer der Holzpromenade. Sofort schweiften seine Gedanken ab und führten ihn wie schon so oft zurück in eine bessere Zeit.
Er verstand immer noch nicht, wie schnell sich sein bisheriges Leben in dieses Elend hatte verwandeln können. Vor genau 330 Tagen … Broning konnte sich noch an jede Einzelheit erinnern.
*
330 Tage zuvor
Er hatte an seinem Schreibtisch im ersten FK gesessen, als das Telefon geklingelt hatte. Die Nummer im Display hatte angezeigt, dass sein Chef Renko Dirksen am Apparat war.
»Unser neuer Chef möchte sich vorstellen und zunächst alle Fachkommissariatsleiter kennenlernen«, hatte Renko gesagt. »Ich weiß, du bist noch kein Fachbereichsleiter. Aber es wurde ausdrücklich um deine Anwesenheit gebeten.«
»Wann und wo?« Broning verdrehte die Augen und sah zur Decke.
»In einer Stunde im Besprechungsraum vierte Etage.«
Broning stöhnte. »Renko, du weißt, ich habe hier alle Hände voll zu tun …«
»Ich weiß, du magst solche Veranstaltungen nicht, aber es muss sein.«
»Na gut.« Broning seufzte. »Ich ruf dann meine Frau an und sage ihr, dass ich später nach Hause komme.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte Broning noch geglaubt, dass Brigitte zu Hause mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt war. Er hatte sich, so oft es ging, den Luxus gegönnt, mittags zu Hause zu essen.
Aber tatsächlich war Brigitte Broning auf dem Weg zur Arbeit gewesen. Sie war gebeten worden, kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einzuspringen. Ihr Handy steckte wahrscheinlich wie immer in ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz ihres Kleinwagens lag.
Auf der Autobahn war nicht viel Verkehr gewesen und Brigitte in Gedanken wahrscheinlich bei ihrer Mutter. Seit die einige Tage zuvor ins Pflegeheim umgezogen war, plagte Brigitte ihr schlechtes Gewissen – trotz aller vernünftigen Argumente, die für den Umzug gesprochen hatten.
Sie sollte ihre Mutter zunächst nicht besuchen, um die Eingewöhnung zu erleichtern. Den Pflegern hatte sie für alle Fälle aber ihre Handynummer gegeben, und ihrer Mutter auch.
Als das Handy zum ersten Mal klingelte, hatte Brigitte den Anruf wahrscheinlich nicht entgegengenommen, weil sie schließlich auf der Autobahn war und im Moment keinen Parkplatz in der Nähe hatte. Tatsächlich hatte die Mutter ihr auch nur mitteilen wollen, dass sie eine alte Freundin im Heim getroffen hatte und ihre Tochter sich keine Sorgen machen sollte.
Kurz darauf hatte Brigittes Handy ein zweites Mal geklingelt. Sie hatte nicht ahnen können, dass ihr Jan nur sagen wollte, dass er später nach Hause käme. Brigitte hatte diese zwei Anrufe direkt hintereinander wahrscheinlich als Notfall im Zusammenhang mit ihrer Mutter gedeutet. Sie hatte dann wohl den Verschluss ihrer Handtasche geöffnet, vielleicht zunächst nur, um auf dem Display zu sehen, wer anrief. Als sie das Handy in der Tasche endlich ertastet und herausgezogen hatte, war es ihr vermutlich in den Fußraum des Pkw gefallen.
Die Aussagen der Unfallzeugen würde Jan nie vergessen.
Ein Autofahrer, der sich direkt hinter Brigitte befunden hatte, hatte berichtet: Der Kopf der Frau im Wagen vor mir verschwand aus meinem Sichtfeld nach rechts. Ich hatte den Eindruck, dass sie etwas im Bereich des Beifahrersitzes suchen würde. Das Fahrzeug geriet dabei zweimal auf den rechten Seitenstreifen. Plötzlich fuhr sie mit der rechten Fahrzeugseite in den Grünstreifen und knallte gegen die Außenschutzplanken. Ich führte eine Notbremsung durch und sah, wie der Kleinwagen quer über beide Fahrstreifen schleuderte und gegen die Mittelschutzplanken knallte. Ich bin sofort ausgestiegen und habe mit einem anderen Mann, der aus dem Wagen hinter mir ausgestiegen ist, nach der Frau gesehen. Wir konnten sie leicht verletzt – ich glaube, sie hatte eine Platzwunde an der Stirn – aus ihrem Auto befreien. Anschließend sind wir von der Fahrbahn auf den Seitenstreifen gegangen.
Ein weiterer Zeuge: Wir wollten die Unfallstelle absichern und die Polizei anrufen. Einen Moment haben wir nicht an die Frau gedacht. Plötzlich sehe ich, wie die Frau wie unter Trance zurück auf die Fahrbahn läuft.
Der Beschuldigte hatte in seiner Vernehmung gesagt: Ich hatte meinen Kleinlaster schon sehr früh beladen und wollte nach Oldenburg über die Autobahn. Als ich durch die lange Kurve fahre, sehe ich plötzlich, dass mehrere Autos auf der Fahrbahn stehen. Bitte, glauben Sie mir, die Unfallstelle war erst spät zu erkennen und nicht abgesichert. Ich stehe quasi auf der Bremse und versuche, den Zusammenstoß zu vermeiden. Alles läuft immer wieder wie in Zeitlupe ab. Mein LKW knallt auf das hinterste Fahrzeug und schiebt die davor stehenden Autos zusammen. Wie in einem Albtraum sehe ich, dass sich eine Frau zwischen den zusammenkrachenden Autos befindet. Für einen kurzen Moment sehen wir uns an und ich werde diesen Blick nie vergessen.
Aus dem Unfallbericht: Der Beteiligte 02 befuhr mit seinem voll beladenen LKW die Autobahn. Er bemerkte die Unfallstelle, welche noch nicht abgesichert war, hinter der Kurve zu spät. Trotz Notbremsung fuhr er auf den Beteiligten 07 (männlich, 45 Jahre, schwer verletzt) auf und schob die davor abgestellten Fahrzeug zusammen. Die Beteiligte 01 (weiblich, 38 Jahre, verstorben) befand sich zwischen den zusammengeschobenen Fahrzeugen der Beteiligten 03 und 04. Der Unterleib der Beteiligten 01 wurde zerquetscht und die Frau verstarb noch an der Unfallstelle.
Das tatsächliche Grauen an der Unfallstelle konnte man zwischen den