Emsgrab. Wolfgang Santjer
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Nach endlos scheinenden Minuten meldete sich Ems Radio über den Schiffsfunk: »Arne Monsing für die Verkehrszentrale.«
»Hier Arne Monsing.«
»Nach Rücksprache mit der Polizei sollen Sie zunächst die genaue Position festhalten. Die Leiche soll gesichert werden und anschließend laufen Sie bitte den Außenhafen Papenburg an.«
»Verstanden.« Henk de Olde legte den Hörer des Sprechfunkgerätes in die Halterung zurück.
»Eins kann ich dir sagen, Henk, den Toten fass ich nicht an«, sagte ten Broek energisch. »Das kannst du vergessen. Außerdem, so wie ich das sehe, hat er sich sowieso am Hebedraht verklemmt.«
Der Schiffsführer überlegte einen Moment. »Also gut. Wir hieven das Saugrohr so weit, bis der Tote vollständig aus dem Wasser ist. Ich schreib noch die GPS-Positionsdaten auf, dann drehen wir und laufen ganz langsam Papenburg an. Ich will nur hoffen, dass wir die Leiche so schnell wie möglich von Bord bekommen.«
13.
Außenhafen Papenburg
Als sie den Bagger vorsichtig im Außenhafen angelegt hatten, standen schon ein Rettungswagen und ein Einsatzfahrzeug der Polizei am Anleger.
»Pieter, kannst du hier oben die Stellung halten?«, bat Henk. »Ich kümmere mich um die Obrigkeit.«
Der Maschinist nickte nur, und es war ihm anzusehen, was er dachte: Besser du als ich …!
Henk de Olde ging zur Relingspforte und half einem Sanitäter, dem Notarzt und zwei Beamten der Wasserschutzpolizei an Bord. »Ich bin der Schiffsführer des Baggers und habe Sie über Funk alarmiert.«
Einen der Beamten kannte er von diversen Kontrollen, die der an Bord des Baggers über die Jahre durchgeführt hatte. Im Grunde waren Henk de Olde und Onno Elzinga am Fluss gemeinsam älter geworden. Als junger Beamter war Elzinga sehr streng gewesen, aber mit den Jahren war er doch spürbar gnädiger geworden.
Onno Elzinga stellte ihm die anderen Männer vor und bat Henk de Olde, sie zu dem Toten zu führen.
»Er liegt auf der anderen Seite des Baggers«, erklärte Henk. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen … Aber bitte vorsichtig, das Deck ist noch nass. Und besonders vorsichtig mit dem Kopf – die Rohrleitungen!«
Wortlos folgten sie dem Schiffsführer zum Saugrohr auf der Backbordseite.
Der Notarzt untersuchte den Leichnam oberflächlich und machte die Polizeibeamten auf die Stichwunden am Körper aufmerksam. »Unnatürlicher Tod – wohl eindeutig«, sagte er und begann, den Totenschein auszufüllen. »Hier können wir nichts mehr ausrichten. Herr Elzinga. Wenn Sie nähere Informationen haben, insbesondere die Personalien, melden Sie sich bitte. Ich gebe Ihnen meine Karte. Tschüß.«
Der hat es aber eilig, dachte Henk. »Nehmen Sie den nicht mit?«
Onno Elzinga sah ihn an. »Ich weiß, dass Sie ihn loswerden wollen, aber wir müssen auf die Kriminalpolizei warten. Es geht nicht anders.«
In diesem Moment hielt der Einsatzwagen der Spurensicherung am Anleger. Die Männer stiegen aus und zogen sich weiße Overalls an.
Onno Elzinga half den Kollegen, die Ausrüstung an Bord zu bringen. Die Spurensicherungsbeamten begannen mit ihrer Arbeit bei der Leiche. Elzinga, sein Kollege Ferdinand Diekmann und Henk de Olde gingen zusammen auf die Schiffsbrücke. Der Schiffsführer zeigte den WSP-Beamten auf der Seekarte, wo sie den Toten gefunden hatten, und die Polizisten notierten die Personalien der Besatzung für den Bericht.
»Die Kollegen der Kripo werden nach der Leichenschau sicher noch einige Fragen an Sie haben«, kündigte Onno Elzinga an.
»Wie wär’s bis dahin mit einer Tasse Kaffee und einigen Schokokeksen, meine Herren? Schokolade ist Nervennahrung und die kann ich im Moment gut brauchen.« Ein doppelter Genever wäre allerdings noch besser, fügte Henk de Olde in Gedanken hinzu.
Stefan Gastmann und Albert Brede von der Tatortgruppe sahen sich inzwischen an Bord des Baggers um.
»Mal ein anderer Tatort, Albert. Hauptsache du wirst nicht seekrank«, frotzelte Gastmann.
»Pass du langes Elend lieber auf deinen Kopf auf«, konterte Brede. »Diese Rohrleitung … verdammt tief.«
Sie machten mit der neuen Digitalkamera als Erstes einige Übersichtsaufnahmen. Dann gingen sie daran, den Toten an Deck abzulegen.
»Sei bloß vorsichtig«, mahnte Brede. »Wenn der uns ins Wasser fällt … Wissen wir denn schon, um wenn es sich handelt?«
Gastmann untersuchte die Kleidung des Toten. »Pech gehabt – keine Brieftasche oder Ähnliches.« Er sah in Richtung des Ruderhauses. Ein Beamter der Wasserschutzpolizei beobachtete ihre Arbeit. »Albert, ich frag mal die Kollegen, ob die schon was über den Mann wissen.«
Brede stülpte Plastiktüten über die Hände des Toten und befestigte sie. Im Brustbereich und am Hals stellte er mehrere Stichwunden fest.
Stefan Gastmann kam zurück. »Fehlanzeige, die Kollegen können auch nichts zur Identität sagen. Besatzungsmitglieder von Schiffen oder Sportbooten werden aktuell nicht vermisst.«
»Pack mal mit an«, bat Brede, »ich möchte ihn von der anderen Seite sehen.« Vorsichtig drehten sie die Leiche auf den Rücken. »Hier sind auch einige Verletzungen. Die sind aber vermutlich nach dem Tod eingetreten. Halt mal den Maßstab, damit ich einige Aufnahmen machen kann.«
»Die Arme und Beine fühlen sich merkwürdig an«, sagte Stefan Gastmann.
»Ja«, bestätigte Alfred, »als wenn einige Knochen gebrochen sind.«
»Schiffsschraube?«
»Glaub ich nicht, solche Verletzungen sehen anders aus.« Albert Brede nahm sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seiner Dienststelle. »Hallo, hier ist Albert – sind hier bei einem Toten, haben aber keine Hinweise auf seine Identität. Ich beschreib euch den mal und ihr schaut in die Vermisstenanzeigen, ob wir dort eine Übereinstimmung finden …«
Während Albert Brede telefonierte, sah sich Stefan Gastmann die Verletzungen des Toten genauer an. Der oder die Täter hatten mehrfach vermutlich mit einem schmalen Messer zugestoßen. Entweder war der Täter mächtig sauer gewesen oder er hatte auf Nummer sicher gehen wollen. Aber wie und warum war der Tote ins Wasser gelangt? Diese Knochenbrüche waren ein weiteres Rätsel.
Bredes Handy klingelte. »Brede«, meldete er sich. »Oh, das ging ja schnell …! Warte, ich schreib mit …« Dann drehte er sich zu seinem Kollegen um und wies auf den Toten. »Darf ich vorstellen, Stefan: Bernd Vogelsang. Er ist ein Umweltschützer und wird vermisst. Ein Streifenwagen ist zu seiner Adresse unterwegs. Sie melden sich. Ich glaub, wir beeilen uns besser. Kann sein, dass wir noch zu einem weiteren Tatort müssen.«
Onno Elzinga schaute um die Ecke. »Na, Kollegen, wie wär’s mit einer Tasse Kaffee im Ruderhaus?«
»Gerne«, sagte Stefan Gastmann, »dann können wir uns gleich einige Notizen zum Ablauf machen.«
»Der Kaffee ist gut«, lobte Albert Brede, »danke.«
Onno