Pappelallee. Andreas H. Apelt

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Pappelallee - Andreas H. Apelt

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sich und geht erneut zum Fenster. Doch die Straße liegt noch immer ruhig und verlassen. Nur manchmal huscht ein Lichtschein von der Stargarder Straße her durch den kleinen Park, der die Gethsemanekirche umfasst.

      Röslein, Röslein, Röslein rot … So könnte er es singen. Aber er singt nicht, nein er brummt nur die Melodie. Getschmar hat die Ellenbogen weit aus dem Fenster geschoben und blinzelt mit der Sonne. Aber dann fällt sein Blick wieder hinunter in den Hof zu dem kleinen Blumenbeet. Ein Handtuch besser, aber immerhin, auch wenn es sich an die unverputzte Mauer drückt. Dort jedenfalls trägt der einzige Rosenstock das lang ersehnte dunkelrote Röslein. Ein breites Lächeln tritt in Getschmars Gesicht. Mit tiefen Atemzügen hebt er stolz die Brust.

      Da die Musik endet, eilt Getschmar zurück ins Wohnzimmer und erscheint erst wieder im Fenster, als auch die Musik ertönt. Diesmal noch etwas lauter. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden …, so schallt es in den morgendlichen Hinterhof, dem die Sonne auch heute keine Beachtung schenkt. Nur oben bei Getschmar und seinem Nachbarn, dem jungen Reinhard Voss, wird sie kurz verweilen, um dann den Seitenflügel sogar bis in den zweiten Stock zu streifen. Mehr ist nicht drin, nicht mal jetzt. Dem Hinterhaus bleibt nur eine unerfüllbare Hoffnung.

      Das Quietschen der großen Hoftür übertönt die Musik.

      Verdammt!, flucht Getschmar und beugt sich über die Brüstung, um den Störenfried auszumachen. Doch der Störenfried ist eine Frau. Mit leichtem, fast federndem Schritt kommt Frau Frenzel aus dem Vorderhaus. In ihrer Hand schaukelt ein Mülleimer. Ihr erster Blick gilt dem Beet und der Rose. Verwundert bleibt sie stehen.

      Schön was?, ruft Getschmar aus dem vierten Stock in den Hof.

      Wunderschön, ruft Frau Frenzel zurück.

      Das macht die gute Pflege, Frau Nusselbeck, erwidert Getschmar, obgleich er eigentlich wissen sollte, dass Frau Nusselbeck am Tag der Polonaise Frau Frenzel geworden ist. Aber egal: Das ist mit den Blumen wie mit den Menschen, legt Getschmar vielsagend nach. Man muss sie nur richtig anpacken.

      Das kann ich mir denken, antwortet die Frenzel fast nebenbei. Nur nicht auf die Anspielung eingehen. An den rostigen Mülltonnen leert sie ihren Eimer und lässt, zufällig, versteht sich, den Blechdeckel laut auf die Tonne fallen. Doch Getschmar lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

      Ich könnte Ihnen ja mal eine Rose schenken, Frau Nusselbeck, ruft er hinunter und lächelt freundlich.

      Das würden Sie tun? Frau Frenzel ist erstaunt.

      Warum denn nicht, gibt sich Getschmar großzügig. So ein Röslein, nur für Sie!

      Die Frenzel schaut sich nervös um. Glücklicherweise sind an diesem Sonntag noch alle Fenster im Hinterhof geschlossen. Wie charmant, Herr Getschmar, aber …

      Nichts aber, unterbricht Getschmar. Vielleicht kommen Sie mich mal besuchen. So am Abend und dann … Da wollen Sie mir die Rose schenken?

      Naja, Sie wissen schon, man kann sich eben auch durch Blumen ein Stückchen näherkommen. Sicherheitshalber mustert er die Fenster im Hinterhof, aber alle bleiben zu.

      Wein gibt es bestimmt auch!, ergänzt Frau Frenzel und lächelt vielsagend.

      Jaja, bestimmt, stottert Getschmar, muss schließlich würdevoll sein, so eine Übergabe.

      Das kann ich mir vorstellen, sagt sie und schnalzt laut mit der Zunge. Wie bei der Polonaise zur Hochzeit, was Herr Getschmar?

      Getschmar wischt sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Doch antworten muss er nicht.

      Zum Glück, denn direkt unter ihm öffnet jetzt Frenzel das Fenster. Sein Kopf erscheint auf der Brüstung. Wo bleibst du so lange, Ingrid?, ruft Frenzel böse. Wir wollen doch los in Garten!

      Ja, komme doch schon, erwidert die Frau und verlässt eilig den Hof. Vorher aber winkt sie noch einmal nach oben und dies so missverständlich, dass jeder der beiden Herren behaupten könnte, nur ihm gelte der Gruß.

      Getschmar jedenfalls streckt die Arme, wie nach getaner Arbeit in den hellblauen Himmel. Röslein, Röslein, Röslein rot, singt er mit krächzender, sich jetzt überschlagender Stimme.

      Stolten. So ist sein Name. Und auch ihrer. Aber Frau Stolten sieht man nicht. Niemals. Sie liegt im Bett und das seit über 40 Jahren.

      Eine Bombe, so sagt Getschmar, hat im letzten Kriegsjahr das Hinterhaus und damit die Wohnung der Stoltens getroffen. Volltreffer sozusagen. Die Decke ist bis heute nur notdürftig repariert.

      Stolten selbst war an der Front, aber die schwangere Frau hat es schwer getroffen, immerhin sie überlebte. Auch wenn sie keine Beine mehr hat. Nur das Ungeborene war sofort tot.

      Besser wäre, die wär gleich krepiert, sagt Getschmar, denn seitdem ist sie an das Bett gefesselt. Dasselbe Bett, indem das erste gemeinsame Kind zur Welt kommen sollte.

      Gesehen hat Frau Stolten niemand. Jedenfalls nicht die letzten Jahrzehnte. Nicht mal Getschmar, der seit 1966 das Hausbuch führt. Da war die Stolten schon über zwanzig Jahre behindert. Und der Alte lässt niemand in die Wohnung. Nicht mal die staatlichen Wahlhelfer, die mit der Urne im Wohngebiet unterwegs sind und die säumigen Wähler an ihre staatsbürgerlichen Pflichten erinnern. Was schon ein Unding ist, wie Getschmar feststellt, die Genossen draußen vor der Tür stehen zu lassen. Und das bei so viel Verantwortung. Tun doch nur ihre Pflicht, mehr nicht!

      Den Arzt aber, den lässt Stolten gewähren, nur der kommt selten. Gegen die zwei Beinstumpen kann auch er nichts tun.

      Gut, sagt Getschmar, zu lachen hat der Stolten nicht viel. Manchmal trifft es einen auch hart.

      Und doch, der lange drahtige Mann mit dem weißen gescheitelten Haar lächelt immer freundlich. Jedenfalls wenn man ihn im Treppenhaus begegnet oder im Hof oder beim sonntäglichen Gang zur Kirche. Stolten ist nämlich gottesfürchtig.

      Das sind die Schlimmsten, sagt Frenzel, die Alte ist fast draufgegangen, so wie das Kind und dann rennt der immer noch in die Kirche. Und das jeden Sonntag. Das soll mal einer verstehn!

      Graustock versteht das. Aber eine Erklärung will er für den Frenzel nicht finden. Schon gar nicht, wo doch jetzt der Getschmar zu ihnen getreten ist. Und das im Hof vor den Mülltonnen, wo noch manch einer zuhört. Und dem Getschmar darf man erst recht nicht mit Kirche kommen. Oder einem anderen Hokuspokus. Nein, danke.

      Also dann doch besser über den langen Stolten reden, der sich so exakt durchs Haus bewegt. Die Arme immer dicht an der Hose und den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt.

      Einmal Soldat, immer Soldat, sagt Getschmar. Kein Wunder nach fünf Jahren Krieg und vier Jahren Kriegsgefangenschaft.

      Stolten sieht trotz der Geschichte jünger aus, als er wirklich ist. Eine gute Partie für manche Witwe. So weiß es Getschmar, aber der Kerl bleibt bei seiner Frau und das bis ins hohe Alter. Da ist dem auch nicht mehr zu helfen.

      Kein Leben ist das nicht, sagt auch Frenzel und legt nach: Ich würd das sicherlich nicht tun. Wäre doch nicht bescheuert. Aber da ist die jungvermählte Frau nicht dabei. So kann er die große Lippe riskieren, wie der Getschmar sagt. Ist doch sonst auch nicht leichtsinnig,

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