Der Todesengel mit den roten Haaren. Bernd Kaufholz
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Das Gericht nimmt damit Bezug auf ein Geschehen aus dem Jahr 1998. Ein damals 55-jähriger Gartennachbar der Eltern soll Tobias damals mehrfach sexuell missbraucht haben.
Warum der mutmaßliche Kinderschänder auf freiem Fuß ist, erläutert am Rande des Prozesses die Magdeburger Oberstaatsanwältin Silvia Niemann: „Die Aussagen des Jungen und des Mannes haben sich widersprochen. Deshalb musste die Staatsanwaltschaft ein forensischpsychiatrisches Gutachten den mutmaßlichen Täter betreffend und ein Glaubwürdigkeitsgutachten in Hinblick auf Tobias in Auftrag geben.
Die Ergebnisse liegen jetzt vor.“ In Kürze werde gegen den inzwischen 57-Jährigen Anklage erhoben.
Die Jugendstrafkammer sieht in der Tatsache, dass Tobias selbst missbraucht wurde, einen von drei strafmildernden Gründen. Ausgewirkt habe sich zudem sein Geständnis am ersten Verhandlungstag, das Kristins Mutter die Aussage ersparte und eine „situationsbedingte Spontaneität der Tat“. Dem stehe jedoch die Schwere des Verbrechens gegenüber.
Sichtlich betroffen habe der 15-jährige Täter den Worten des Vorsitzenden Richters zugehört, heißt es nach der Sitzung. Zu einer Entschuldigung habe sich Tobias jedoch an keinem der Prozesstage durchringen können.
Der Anwalt von Kristins Mutter, Andreas Dahm, spricht unmittelbar nach der Urteilsverkündung von einer „angemessenen Entscheidung“ der Kammer. Leider sei auf Grund von Vorschriften bei Verfahren gegen Jugendliche eine Nebenklage nicht zugelassen. „Deshalb haben Kristins Mutter und ich den Prozess auch nur in der Presse verfolgen können.“
Der Familie des Opfers gehe es seit der Tat sehr schlecht. „Und jeder kann sich bestimmt vorstellen, wie es in der Mutter nach der Verkündung des Urteils aussieht.“
Die Verteidiger des jugendlichen Angeklagten reichen beim Bundesgerichtshof Revision ein. Sie zweifeln nach wie vor die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Tobias an.
Im Oktober 2000 lehnt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision als unbegründet ab. Bei der Prüfung des Urteils sei kein Rechtsfehler festgestellt worden, der den Angeklagten benachteiligt hat, lautet die Begründung. Damit ist das Urteil des Magdeburger Landgerichts rechtskräftig.
Am 6. März 2002 hat der Fall „Tobias“ ein Nachspiel. Das Schöffengericht des Amtsgerichts Wolmirstedt spricht einen 59-jährigen Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs des damals 13-jährigen Tobias frei. Dem Angeklagten waren drei Missbrauchshandlungen von April bis September 1998 vorgeworfen worden.
Vor Gericht widerruft der inzwischen 17 Jahre alte Tobias, der als Zeuge aus der Jugendhaftanstalt Halle zugeführt wurde, seine Aussagen, die er bei der Polizei gemacht hat: „Stimmt so nicht.“ Zu dem Angeklagten, in dessen Laube er wochenlang übernachtet hatte, empfinde er noch heute ein freundschaftliches Gefühl.
Auf die Frage, warum er bei der Polizei gelogen hat, antwortet Tobias: „Weiß ich nicht.“ Eine Gartennachbarin hätte ihm die Beschuldigungen in den Mund gelegt. Die 56-Jährige als Zeugin: „Stimmt nicht, Tobias hat gelogen und oft Schauermärchen erzählt.“
Ein Gutachter hatte dem Jungen Glaubwürdigkeit bescheinigt. Diese Auffassung teilt jedoch das Gericht auf Grund der augenfälligen Unterschiede der Aussagen des Jungen nicht und kommt so zu dem Freispruch.
Auswirkungen auf das Mordurteil des Landgerichts Magdeburg hat der Wolmirstedter Prozessausgang jedoch nicht. Obwohl der vermeintliche sexuelle Missbrauch seiner Zeit strafmildernd berücksichtigt wurde. Der sexuelle Missbrauch konnte zwar im Mädchen-Mord-Prozess nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden. Deshalb galt: „Im Zweifel für den Angeklagten“.
Das Mordurteil ist rechtskräftig. Ein Wiederaufnahmeverfahren wird es nicht geben, auch wenn sich der strafmildernde Missbrauch als Luftblase entpuppte.
Die Hütte im Wald
Zumeist sitzen Daniel Katz* – der Angeklagte mit dem angedeuteten Irokesenschnitt – und Sandro Penn* – der Schmächtige, dem man nichts Schlechtes zutraut – mit gesenkten Köpfen neben ihren Anwälten. Nur wenn sie auf Fragen antworten, blicken sie im Saal 218 des Stendaler Landgerichts nach oben.
Beide gestehen am ersten Prozesstag Mord und Vergewaltigung an der 14-jährigen Stefanie Dom* aus Güsen im Jerichower Land. Sie versuchen am 16. Juni 2000 erst gar nicht zu leugnen. Passagenweise entspricht ihr Geständnis sogar wörtlich der Anklage, die Oberstaatsanwältin Ramona Schlüter kurz zuvor verlesen hat.
Zuerst spricht der 19-jährige Daniel. Zwei Stunden lang schildert er die Tat. Begonnen habe alles, als Sandro ihm um den 15. Dezember 1999 herum über Handy die Nachricht geschickt hat, dass er Steffi, seiner Ex-Freundin, „etwas antun“ will. „Aus Hass und Rache für die Verarschung“, weil sie einen neuen Freund hat, der zudem noch sein Cousin ist. „Eine Entführung oder so“, sollte es sein. Nächtelang hätten sie dann darüber gesprochen und „Ideen zusammengetragen“. „Was man dazu braucht, um Steffi zwischen Güsen und Parey wegzufangen, hatte Sandro im Nachtschrank“, sagt Daniel. Stricke, Handschellen, Klebeband, zählt er auf. Alles andere, was noch gebraucht wurde, schrieben sie auf eine Liste.
Was der 19-Jährige dann berichtet, lässt alle aufhorchen: Sandros Tante, Corinna Vasal*, habe von Anfang an alles gewusst. Sie sei „Kontaktperson“ gewesen, habe ihnen sogar „Viel Glück!“ gewünscht und nach der Tat Sachen aufbewahrt. „Die Tante hat uns das Gefühl gegeben, dass uns nichts passieren kann.“
Der 18 Jahre alte Sandro bestätigt das später. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters Hilmar Rettkowski sagt Sandro, dass seine Tante und er so etwas wie die schwarzen Schafe der Familie waren und deshalb zusammengehalten haben. „Außerdem konnte Tante Corinna die Steffi nicht leiden.“ Gegen Corinna Vasal läuft inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe. Sie wird in einer psychiatrischen Klinik behandelt.
Am 19. Dezember sollte die Sache dann über die Bühne gehen, nachdem sie das Fesseln und Knebeln bereits an einer Bekannten geübt und die Zeit gestoppt hatten. Weil sie sich vorgenommen hatten, nach der Tat alle „Spuren zu beseitigen“, kauften sie an der Tankstelle in Parey einen Fünf-Liter-Kanister und füllten ihn mit Super-Benzin.
Doch Steffi kam an diesem Abend in Begleitung ihres Freundes. „Wir mussten verschieben“, sagt Daniel. Über Tante Corinna brachten sie in Erfahrung, wann Stefanie wieder ihren Freund in Parey besucht: am 21. Dezember.
Der zweite Versuch. Wieder warteten die beiden an derselben Stelle, nahe dem Umspannwerk Parey. Über Handy stand Sandro mit seiner Tante in Fünf-Minuten-Kontakt. Dann sahen sie ein Fahrrad kommen.
„Wir haben unsere Wollmützen mit den Sehschlitzen über die Köpfe gezogen und Steffi an Beinen und Armen vom Rad gezerrt. Dann haben wir ihre Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Ich habe sie festgehalten, sie hat sich gewehrt. Wir haben sie beruhigt, dass ihr nichts passieren wird, wenn sie still ist“, sagt Daniel. Sandro habe das Fahrrad in ein Gebüsch gerollt.
Sie führten das Mädchen zu einer Hütte im Zerbener Wald. Dort war alles vorbereitet. Die Täter hatten am Vortag den Holztisch, der draußen stand, ins Haus getragen, Tischbeine und Hüttenwand so präpariert, dass Haken für die Fesseln schnell eingedreht werden konnten.
„Wir haben Steffi mit dem Rücken auf den Holztisch gelegt und ihre gefesselten Hände über ihrem Kopf festgebunden“, redet Daniel weiter. „Die Füße waren ebenfalls gefesselt.“
Die