Der Todesengel mit den roten Haaren. Bernd Kaufholz
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Ein Psychologe charakterisiert Daniel als einen Gefangenen, der in Haft sehr zurückgezogen lebt. Nachdem er von jugendlichen Gefangenen wegen seiner Tat angegriffen wurde, habe man ihn sicherheitshalber verlegt.
Als den Kernpunkt des Verfahrens bezeichnet Richter Hilmar Rettkowski die Frage, ob die Angeklagten nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollen. Nach Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte, spricht sich der Psychologe beim 19-jährigen Daniel für das Jugendstrafrecht aus.
Die Frage nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht steht am 7. Juli im Mittelpunkt des Prozesstages. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, die Psychologin und der Psychiater sind sich einig: Beide Angeklagte haben noch nicht die Reife eines Erwachsenen erreicht. Die Gutachter sprechen sich für die Anwendung des Jugendstrafrechtes aus. Denn weder im beruflichen noch im privaten Bereich verfügten die Angeklagten über eine realistische Lebensplanung, heißt es unter anderem.
Psychiater Mohammad Hasan vom Landeskrankenhaus Königslutter beschreibt Sandro als unreif, verschlossenen und ängstlich. Nachdem Stefanie mit ihm Schluss gemacht habe, sei Kränkung in Wut und Zorn umgeschlagen. „Rache- und Bestrafungsgedanken haben sich mit nicht erfüllten sexuellen Wünschen und eigenen Unzulänglichkeiten gepaart“, so der Nervenarzt. Irgendwann habe sich der Vergewaltigungsgedanke im Kopf des jungen Mannes festgesetzt. „Er war zugleich das Motiv für die Tat“, analysiert Hasan.
Nächtelang hätten Sandro und Daniel diskutiert. Das habe dazu geführt, dass Daniel Sandros Wut auf Stefanie „mitempfunden“ habe.
Am 18. Juli 2000 werden Sandro Penn und Daniel Katz wegen Vergewaltigung und Mordes zu je neun Jahren Jugendhaft verurteilt. Beide nehmen das Urteil regungslos zur Kenntnis. Die Zuschauer quittieren den Richterspruch mit verhaltenem Protest.
„Es ist verständlich, dass bei einer Tat mit solchen furchtbaren Folgen die Gedanken von Trauer, Wut und Hass bestimmt werden und Angehörige und Freunde fordern, die Angeklagten so hart wie möglich zu bestrafen“, leitet der Vorsitzende Richter Hilmar Rettkowski seine Urteilsbegründung ein.
Er lässt jedoch keinen Zweifel an der besonderen Gesetzeslage, die für Heranwachsende im Alter zwischen 18 und 21 Jahren gilt. Und hier sehe der Gesetzgeber vor, das Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn zum Beispiel schwerwiegende Entwicklungsrückstände bei den Angeklagten vorhanden sind. „Und das ist bei Sandro Penn und Daniel Katz der Fall.“
Gutachten hätten bei beiden Angeklagten eine „erheblich emotionale Labilität“ festgestellt. Für die Einordnung in das jeweilige Strafrecht sei es im Übrigen unerheblich, ob es bei der Tat um Mord oder Diebstahl gehe, ergänzt Rettkowski.
Auch eine härtere Strafandrohung hätte die Angeklagten nicht von der Tat abgehalten, fügt Rettkowski in seiner Schlussbemerkung hinzu. Dies hätten die Angeklagten beide bestätigt. Die Tat habe einen „nichtigen Anlass mit enormen Konsequenzen“ gehabt.
Die Schlussfolgerung aus dem Fall sei für ihn daher, „sich Gedanken um die Prävention zu machen: Wie kann verhindert werden, dass so etwas wieder passiert?“ Daran müssten Eltern, Schulen und auch die Medien arbeiten.
Mit einem erstickten Aufschrei reagiert Stefanies Mutter Martina auf die Feststellung des Vorsitzenden Richters, dass man die Angeklagten „ohne Zweifel zu lebenslanger Haft“ verurteilt hätte, wenn sie bereits 21 Jahre alt gewesen wären.
„Das Urteil ist eine Veralberung des Opfers“, sagt Martina Dom nach Prozessende. „Die Mehrheit der Bevölkerung bei uns in Güsen ist für lebenslange Haft gewesen. Ich hätte wenigstens eine Sicherungsverwahrung erwartet, damit so etwas nie wieder passieren kann.“ (Sicherungsverwahrung ist allerdings im Jugendstrafrecht nicht vorgesehen.) Die gezeigte Reue der Verurteilten nennt sie „eine reife schauspielerische Leistung“.
Drei Jahre später spricht das Landgericht Stendal das letzte Urteil im Mordfall Stefanie. Die Tante des Mörders Sandro Penn, Corinna Vasal, wird der Beihilfe zum Mord und zur Vergewaltigung schuldig gesprochen. Die Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monate wird zur Bewährung ausgesetzt.
Zwischen Filmriss und Halbschlaf
„Erst morgens, wenn ich aufgestanden bin, habe ich gesehen, was ich am Vortag getrunken habe.“ Um die 15 Bier am Tag sollen es nach vorsichtigen Schätzungen gewesen sein. Und das exzessive Saufen führte dazu, dass Frank Dall* nur zwischen Filmriss und Halbschlaf taumelte. Ab 13. September 2000 muss er sich vorm Magdeburger Landgericht wegen Totschlags verantworten.
Viel ist es nicht, was der 35-Jährige von jenem Morgen nach der Tat in Halberstadt weiß. Selbst ob es der 5. oder 6. Juli 1998 war, als er seinen Fußballkumpel Peter Herr* umgebracht hat, ist vom Alkohol weggeschwemmt.
Sicher hingegen ist, dass Frank Dall im Gästezimmer der Wohnung von Herr aufwachte. Dort übernachtete er immer, wenn er es nicht mehr bis ins eigene Bett schaffte. Als er in die Stube ging, sah er dort seinen Bekannten neben der Tür liegen. Der Kopf war blutig und auch unter dem Körper hatte sich eine rote Lache gebildet. „Irgendwas ist passiert“, quälten sich die Gedanken durch das benebelte Gehirn.
Der 8-Klassen-Schüler setzte sich neben den Toten aufs Sofa und versucht die Erinnerung durch ein paar Bier aufzuhellen. Nichts. Dasselbe wiederholt sich im Gästezimmer: trinken, grübeln. Nichts.
Dann das „Ritual“, wie es der Psychiater Andreas Marneros nennt: Frank Dall stellte sich vor den Spiegel und schaute an sich herab, ob er blutbeschmiert ist. Das habe er jeden Morgen gemacht, um sicher zu sein, dass in der Nacht nichts passiert ist.
Ob er ein Tischtuch über den Toten deckte, ob er zuvor dem Toten die Geldbörse klaute und am 7. September mit der EC-Karte, deren PIN er kennt, 850 Mark am Automaten abhob, kann er vor der Magdeburger Schwurgerichtskammer nicht sagen.
Diese Dinge, die er nach seiner Festnahme im polizeilichen Vernehmungsprotokoll mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, habe er zugegeben, weil doch nur er und das Opfer in der Wohnung gewesen sind. „Es kann ja nur so gewesen sein“, sagt er.
Wohnungsinhaber Peter Herr war mit Tritten traktiert und mit einem zehn bis zwölf Zentimeter langem Messer neunmal kräftig in den Rücken gestochen worden. Er war verblutet.
Damit die Tat länger geheim bleibt, habe er jeden Tag den Briefkasten des Toten geleert. So sollte sich niemand Gedanken über einen überquellenden Postbehälter machen.
Das Verbrechen blieb wochenlang unentdeckt. Erst am 4. November 1998 verhaftete die Polizei Frank Dall. Ab Anfang 1999 wurde er zeitweilig im Maßregelvollzug Uchtspringe untergebracht.
Das Leben des Hilfsschlosser dreht sich seit seinem 16. Lebensjahr – wie er sagt – mehr oder weniger um Alkohol. in den letzten Jahren sei es so schlimm gewesen, dass er morgens gleich mit dem Trinken anfangen musste, um überhaupt etwas essen zu können. Immer öfter habe er gar nicht mehr gewusst, wo er ist. So sei er einmal in Hamburg zu sich gekommen. „Ich habe nicht gewusst, was ich da soll und wie ich da hingekommen bin“, sagt der Alkoholiker.
Die Liste seiner Straftaten ist stattlich. Immer ist der Suff im Spiel. Mit 18 Jahren Diebstähle. Verurteilung. Die Reststrafe von vier Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Widerruf, weil Frank Dall gegen die so genannte Arbeitsplatzbindung verstößt.