Dien Bien Phu. Harry Thürk
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Die Ärzte waren mit Ausnahme von zwei Amerikanern, die hier Studien über bestimmte, nicht sehr häufige Verletzungen betrieben, Franzosen, ebenso das mittlere Pflegepersonal. Lediglich niedere Dienste wurden von Einheimischen versehen. Sie stellten auch, außer dem Chefkoch, das Küchenpersonal. Bevorzugt handelte es sich dabei um Frauen von Soldaten, die entweder in den Streitkräften Bao Dais oder direkt unter französischem Kommando dienten.
Gaston Janville kannte jeder im Haus, ob es der Chefarzt war oder der Toilettenklempner. Als er jetzt vom Sanitätswagen zurückgebracht wurde, empfing ihn am Eingang bereits ein dienstfreier Küchengehilfe und teilte ihm mit, Monsieur le Commandant wäre ungehalten, weil Gaston zur vereinbarten Kartenpartie nicht erschienen sei, er warte im Spielzimmer.
Commandant Prunelle, der stämmige, rotgesichtige Bretone, der einen Pyjama trug, saß an einem der kleinen Tische und war dabei, die Prothese abzuschnallen, die man ihm hier für sein linkes Bein verpaßt hatte. Sie saß nicht gut, überdies war der Stumpf noch sehr empfindlich, und so legte der Commandant das hölzerne Ding ab, wann immer er nicht unbedingt gehen mußte. Diesmal allerdings hatte er Schwierigkeiten mit der Befestigungsschiene, und er wurde so ungehalten, daß er die Prothese wütend zur Seite schleuderte, als er sie endlich losbekommen hatte. Gerade in dem Augenblick betrat Gaston Janville forsch und heiter den Raum. Er bekam die Prothese in den Bauch, riß verblüfft die Augen auf und erkundigte sich, nähertretend: »He, Paul, willst du mich entmannen?«
Der Commandant knurrte nur: »Werde ich wohl kaum schaffen! Du wirst noch mit einem halben Hoden der König der Rue Blondel sein. Hast du wieder dein Spiel mit dem Affenbiß abgezogen?«
»Pst!«, machte Gaston Janville erschrocken. Er blickte sich um, aber die Tür war geschlossen, niemand außer ihnen war im Zimmer.
»Ich wundere mich immer wieder, daß sie dir die Vorstellung abnehmen. Selbst die Ärzte! Der Chef hat mir erst vorhin, als der Anruf kam, aufgetragen, dich beim Spiel zu beruhigen.«
»Tu das!« Janville grinste vergnügt. Er griff sich das bereitliegende Kartenpack, hob ab und teilte aus, bis sein Gegenüber bei der zweiten Karte die Hand hob, das vereinbarte Zeichen. Während einer solchen Kartenpartie sprachen die beiden sonst selten. Heute sollte es anders sein. Als der Commandant seine beiden Zehner aufdeckte, überraschte ihn Janville mit zwei Assen. Der Commandant machte den fälligen Strich auf den Zettel, dann meinte er kopfschüttelnd: »Dein Glück möchte ich haben! Aber – wehe, wenn es dich einmal verläßt!«
Er zielte mit dieser Bemerkung weniger auf das Kartenspiel als auf das, was Janville in Hanoi aufführte, seitdem er als Genesender galt, für den es nur geringe Hoffnung auf völlige Wiederherstellung gab.
Die beiden waren sich in Algerien zum ersten Mal begegnet, dann hatte der beginnende Indochinakrieg sie zunächst nach Saigon verschlagen. Zu jener Zeit war Gaston Janville noch dem Commandant unterstellt gewesen, und damals war es auch zu dem Gefecht gekommen, in dessen Verlauf der Commandant erstmals verwundet worden war, durch einen Schuß in die Schulter. Die Wunde hatte sehr stark geblutet. Janville, selbst leicht angekratzt, hatte ihn aus der Feuerzone gebracht und verbunden, hatte aufgepaßt, daß die Sanitäter ihn so schnell wie möglich zum Verbandplatz transportierten. Der Commandant betrachtete ihn seitdem als seinen Lebensretter, und er hatte es sehr bedauert, als Gaston damals auf den Posten in Laos versetzt wurde. Wiedergesehen hatten sich die beiden hier in Hanoi, im Lazarett, als man Gaston Janville neben den Commandant in das noch freie Bett legte und den älteren Offizier bat, er möge etwas aufpassen. Der Mann sei völlig durcheinander, eigentlich müßte man ihn anbinden, aber man wolle das gern vermeiden.
Der Commandant, der den Vorzug genoß, in einem Zweibettzimmer zu liegen, weil der Chefarzt gelegentlich mit ihm Karten zu spielen pflegte, erkannte Gaston sofort, aber der Capitaine war bewußtlos, von einer halbwegs überstandenen Gelbsucht geschwächt, psychisch offenbar angeschlagen. So dauerte es einige Tage, bis die vietnamesische Schwester eines Morgens an sein Bett trat, um ihm den Puls zu fühlen. Da sprach Janville zum ersten Mal. Er forderte das Mädchen auf: »Zeig mir deinen Arsch, du, damit ich erkenne, ob du Dung bist!«
Der Commandant fuhr hoch und sah das ausdruckslose Gesicht Janvilles. War der Bursche übergeschnappt? Die Schwester floh erschrocken. Nach einer Weile sprach der Commandant seinen Bettnachbarn an: »He, Gaston, warum erschreckst du das Mädchen so? Hast du was an der Klingel?«
Es war das erste, wohl auch das einzige Mal, daß Janville die Beherrschung verlor. Er besah sich den Nebenmann, erkannte ihn und flüsterte betroffen: »Paul, du! Haben sie dich wieder erwischt? Wo diesmal?« Der Commandant schlug wortlos die Decke zurück, und Janville konnte sehen, daß ihm ein Bein fehlte. Und dann staunte der Commandant darüber, daß Janville, den er als einen mutigen Soldaten kennengelernt hatte, plötzlich weinte.
»Was ist?« erkundigte er sich mißtrauisch. »Bist du nun wirklich gaga, oder?«
»Sie hat aber … den Affenbiß in der Arschbacke!« versuchte es Janville nochmals. Doch der Commandant ließ sich nicht so leicht von seinem Mißtrauen abbringen. Er sagte gedämpft, obwohl niemand sonst im Zimmer war: »Spar dir den Zirkus, mein Junge. Kein Übergeschnappter flennt, wenn er neben sich einen Freund entdeckt, dem ein Bein abgeschossen wurde. Also – was ist? Schnauze voll?«
Nach einer langen Pause antwortete Janville endlich: »Paul, ich bin am Ende. Ich kann nicht mehr.«
»Laos?«
»Nicht nur. Alles.«
Nun erfuhr der einbeinige Commandant, daß Gaston auf seinem langen, einsamen Marsch, als er sich bereits kurz vor der ehemaligen Befestigungslinie der Franzosen um Hoa Binh, am Schwarzen Fluß, befand, vom Fieber gepackt worden war. Er verkroch sich im Unterholz, zwischen Trümmern von Panzern und Geschützen, die hier ein Jahr zuvor bei den Kämpfen zerstört worden waren, und wollte sterben. Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer Bambusmatte, in einem Pfahlhaus. Nach einiger Zeit erschien eine uralte Frau vom Stamme der Muong, die hier lebten, und brachte ihm einen Sud, der bitter schmeckte. Er sei in Sicherheit, sagte sie, er solle trinken, und die Krankheit werde vergehen. Ein Menschenleben, so vertraute sie ihm an, sei kostbar, und aus einem Feind könne ein Freund werden. Seltsam.
»Die Gelbsucht verging«, berichtete Janville. »Ich kam auf die Beine. Die Leute in der Siedlung waren zu gut zu mir. Sie sagten, ich könnte bei ihnen bleiben. Ich solle nicht mehr zu den fremden Kriegern zurückgehen. Ich half ihnen bei verschiedenen Arbeiten, denn es gab kaum noch Männer im Dorf. Die Großmutter, die mich gepflegt hatte, wollte mich mit ihrer Enkeltochter verheiraten, das spürte ich. Sie war naiv, aber gutmütig, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Die Enkeltochter gehörte zur Miliz der Vietminh. Sie dachte, ich wäre desertiert und bot mir an, im Dorf zu bleiben. Ich bin dann lange dort gewesen. Es sind friedliche Leute, und sie haben mich behandelt wie den eigenen Sohn. Aber als ich wieder ganz bei Kräften war, bin ich gegangen. Sie haben mich nicht einmal aufgehalten, sie sagten mir nur, wenn ich Frieden halten wollte, könnte ich jederzeit zurückkommen. Ein Leben wie aus einer anderen Welt, Paul …«
»Und das Mädchen? Hübsch?«
»Gefallen hat sie mir schon. Ich glaube, es war eher ihr Charakter. Sie war nicht freundlich zu mir, wie man es zu Gästen ist, sie war einfach gut.«
»Warum bist du dann abgehauen? Dieser Krieg hier läuft aus, das kann man riechen. Auch daß wir ihn verlieren, riecht ein kluger Mann. Wenn sie dich in dem Dorf behalten, bis der Tod nicht mehr nach dir greift, Junge, dann hättest du gut daran getan, dort zu bleiben. Ich wäre geblieben