Dien Bien Phu. Harry Thürk
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Janville überlegte lange, bevor er antwortete. Es kam ihm vor, als müsse er während eines laufenden Spiels die Karten aufdecken. Aber der Commandant war ein Freund.
»Ich will ordnungsgemäß entlassen werden«, erklärte er. »Das Verfahren läuft bereits. Der Chefarzt hat mich untersucht; er hat nicht vermutet, daß ich alles verstand, was er zu seiner Assistentin sagte. Er wies sie an, für mich einen Antrag auf ehrenhafte Entlassung aus der Armee zu stellen. Pensionsanspruch und Schiffskarte nach Hause.«
»Deshalb also ziehst du die Nummer mit dem Affenbiß ab?«
»Ich kann nicht mehr weitermachen wie vorher«, gestand ihm Janville ernst. »Wir haben immer gewußt, daß es ein gemeiner Krieg ist. Der gemeinste, den man führen kann: Technik gegen Hungerleider. Nur weil Frankreich nicht genug kriegt. Du mußt verstehen, Paul, es ist ein Unglück, wenn man auf diese Weise wie ich seine Gegner erlebt …«
»Oder ein Glück«, murmelte der Commandant.
»Ich habe geglaubt, ich müßte hier die Ehre der Trikolore verteidigen. Statt dessen mußte ich Hilfsdienste bei einem überdimensionalen Diebstahl leisten. Alles vorbei. Von Xom Dong an würde ich bei jedem Schuß, den ich abgebe, das Gesicht der Großmutter aus dem Pfahlhaus vor mir sehen. Mit einem Loch in der Stirn. Könntest du das ertragen?«
Der Commandant dachte lange nach, bevor er antwortete: »Ich sehe kein solches Gesicht vor mir, Junge. Aber ich verstehe schon. Wenn die Sache so ist, wird es am besten sein, du läßt dich demobilisieren. Gedanken von der Art, wie du sie hast, lähmen einen Soldaten im entscheidenden Augenblick. Das Resultat ist dann meist ein toter Soldat. Zieh deine Nummer weiter ab, du hast mein Wort, daß ich dich nicht verrate. Ich werde nämlich auch bald zu Hause sein, und dann kann ich lange überlegen, ob das alles hier mein Bein wert war …«
Ein Arzt erschien. Im Hintergrund war die verschreckte Krankenschwester zu sehen. Janville schloß die Augen.
»Er hat getobt, höre ich?«
»Quatsch«, knurrte der Commandant. »Er hat die Gedanken nicht beieinander. Ausgehakt eben. Ich habe viele von seiner Art gesehen. Unbrauchbar geworden. Aber nicht gefährlich. Er würde niemandem etwas tun.«
»Es ist, weil wir ihn sonst sichern müßten«, meinte der Arzt.
Aber der Commandant schüttelte den Kopf. »Harmloser Narr. Ich passe schon auf, daß er nicht aus dem Fenster springt. Die Schwester soll sich beruhigen.«
Wenig später war Janville wieder auf den Beinen gewesen. Gaston der Narr, wie ihn bald jeder im Lazarett nannte. Er strich in der Stadt umher, wurde auch bei den Posten bekannt. Gaston le Fou war eine der tausend Erscheinungen des Vietnamkrieges; man begann, sich an ihn zu gewöhnen.
Der Commandant deckte ein As und eine Zehn auf und schrieb einen Strich auf seine Liste. Dann sagte er gedehnt: »Der Chefarzt will dich sehen. Entlassung. Die Schwester hat es mir verraten. Die Papiere sind schon da. Der Dampfer geht von Haiphong ab.«
Als Janville ihn freudig überrascht ansah, fügte der andere hinzu: »Ich werde dich vermissen, Junge. Grüß mir die Bistros, in denen es anständigeren Roten gibt als hier!«
Janville warf die Karten hin. An der Tür hob er die Prothese des Commandanten auf und warf sie ihm zu.
Im Vorzimmer des Chefarztes grinste er wieder dümmlich und verriet der Sekretärin: »Ich habe Dung noch nicht gefunden. Aber ich werde mir heute Abend noch im Haus der fünfhundert Mädchen von allen die Ärsche zeigen …«
»Ja, ja!«, unterbrach ihn die Sekretärin unwillig. Sie schob ihm ein Formular hin, auf das er seinen Namen zu schreiben hatte, dann übergab sie ihm den Marschbefehl nach Haiphong. »Der Chef kann Sie leider nicht noch einmal sehen. Er mußte zum Oberkommando Tongking. Gute Reise!«
Gaston Janville kam nie in Haiphong an. Um die Zeit, als der Dampfer von dort nach Saigon abfuhr, befand er sich bereits fünfzig Kilometer westlich von Hanoi. Noch fünfundzwanzig Kilometer mehr, und er würde in Xom Dong sein, dem Dorf, das aus Pfahlhäusern bestand, ähnlich wie jene in Laos, wo Janville noch Soldat gewesen war. Das Mädchen Ba, das stets einen uralten französischen Karabiner bei sich hatte, würde da sein. Er würde ihr erklären, jetzt sei er frei, keiner Fahne mehr untertan und entschlossen, sich nie wieder dazu verpflichten zu lassen, arme Leute in entlegenen Dörfern zu töten. Er sah die Großmutter vor sich mit ihren vom Betelkauen schwarz gefärbten Zähnen, und er war glücklich, daß kein Einschußloch in ihrer Stirn seine Gedanken peinigte.
Navarre holt aus
Das Hauptquartier der regulären Streitkräfte der Demokratischen Republik Vietnam lag in einer gebirgigen Region des befreiten Nordens. Es war sicher, denn der Gegner konnte mit seinen Kräften keine wirkungsvolle Aufklärung betreiben. Wer hier arbeitete, war in Felsgrotten untergebracht, die zudem noch Schutz bei einem eventuellen Luftangriff bieten konnten. Außerdem war das Gebiet im weiten Umkreis durch ein Netz von Posten gesichert, die es an Aufmerksamkeit nicht fehlen ließen.
Anh Chu war einer dieser in der neuen Volksarmee ausgebildeten Soldaten. Er kam aus einer lokalen Selbstverteidigungseinheit in Hanoi; inzwischen galt er als erfahrener Postenführer. Vor seiner Zeit als Soldat hatte er in einer Klempnerei gearbeitet. Er verstand etwas von Wasserrohren und defekten Gullys, konnte Metall löten und Gewinde schneiden. Überhaupt hatte er immer alles an Kenntnissen und Fertigkeiten begierig eingesogen. Wann immer es in der Einheit, zu der er gehörte, einen Vortrag gab, eine Abendveranstaltung, war er mit Sicherheit dabei zu finden. Erst kürzlich hatte ein von der Armeeführung Beauftragter eine Serie von Vorträgen über die Entstehung der Republik gehalten und Anh Chu deshalb mehrmals den Dienst getauscht, um nicht einen Satz zu verpassen. In seinem Notizbuch, das er einem toten Gegner abgenommen hatte, bevor er ihn begrub, standen viele Aufzeichnungen – Anh Chu konnte schreiben und lesen. Er war in eine der heimlich betriebenen Schulen gegangen, zu jener Zeit, als die Japaner Vietnam besetzt hielten. Bei Gründung der Republik, im September 1945, war er dreizehn Jahre alt gewesen. Mit sechzehn stand er seinen Mann bei den Selbstverteidigungskräften. Wenn er die jungen Soldaten sah, die heute zu den neuen Divisionen gehörten, kam er sich beinahe schon wie ein Veteran vor. Er hatte so viele Kämpfe mitgemacht, daß er sich an manche Einzelheiten nicht mehr genau erinnerte.
»Postenführer!« wurde er angerufen. Er duckte sich noch tiefer in den Schatten des riesigen Banyanbaumes, dessen Luftwurzeln so dicht erdwärts wuchsen, daß sie ein vorzügliches Versteck boten. Nach einer Weile konnte er sehen, es handelte sich um einen der Kuriere, die zwischen dem Hauptquartier und Hanoi eine ständige Verbindung aufrechterhielten. Ein Posten brachte ihn heran.
Hanoi war nach wie vor ein Zentrum der Parteiarbeit und ein Schwerpunkt der Aufklärung. Es war die Hauptstadt der Demokratischen Republik Vietnam, selbst wenn jetzt dort der Feind residierte. Der Kurier schien müde zu sein; er lehnte sich an einen Stamm und wartete. Sein Gesicht war vom Mondlicht blaß erhellt. Der Mann war nicht mehr jung.
Der Posten trat ab. Anh Chu prüfte den Kurier: »Parole?«
Der antwortete: »Viet-Bac«.
Daraufhin trat Anh Chu aus dem Dunkel und begrüßte ihn. Er hatte ihn zum diensthabenden Offizier des Hauptquartiers zu bringen, so lautete sein Befehl. Also erkundigte er sich nur kurz, ob alles in Ordnung sei, und als der Kurier ihm versicherte, er werde nicht verfolgt, führte er ihn auf verschlungenen Pfaden durch das unübersichtliche Gelände bis an die Grotte, in der er den Diensthabenden wußte.
Der