Dien Bien Phu. Harry Thürk
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Als der General dahinterkam, daß der Postenführer des Hauptquartiers ein Tagebuch schrieb, ließ er es sich zeigen. Eigentlich wollte er dem Soldaten Anh Chu eine Belehrung erteilen: Man trug als Kämpfer kein Tagebuch bei sich. Wenn der Feind es erbeutete, könnte er Schlüsse daraus ziehen, unter denen andere Kameraden zu leiden hätten. Doch als Giap las, daß es sich bei den Notizen um historische Reminiszenzen handelte, Zeugnisse eines Studiums der Geschichte Vietnams, das die Franzosen so gern als geschichtslos hinstellten, lobte er Anh Chu und ermunterte ihn weiterzumachen.
Giap widmete sich wieder der Karte. Sollte der Teufel das Flugzeug da oben holen. Es beunruhigte ihn nicht. Selbst wenn er den Passagier gekannt hätte, wäre er nur schwerlich nervös geworden.
General Navarre saß neben dem Piloten der von den Amerikanern gelieferten »Dakota« und starrte mit seinem Fernglas nach unten. Durch das verschmutzte Kanzelfenster verschleiert, erkannte er unermeßliche blaugrüne Waldgebiete. Dazwischen lagen verkarstete Höhenzüge, faltige Erdaufwürfe mit ausgetrocknetem rostrotem Elefantengras. Hin und wieder öffneten sich Täler, in denen Siedlungen zu erkennen waren; an den Hängen schimmerten schlammige Reisterrassen. Und Flußläufe gab es. Sie blinkten im Sonnenlicht auf wie Silberfäden. Kleine Streifen gelber Erde markierten Fahrwege, so schmal wie ein Büffelkarren. Land ohne Maßstäbe, dachte Navarre, der Kavallerist, dem die mechanisierte Kriegführung vorschwebte, die alles hinwegfegende Offensive mit der stählernen Faust der Panzer und Haubitzen.
Wo soll man hier Panzer einsetzen? Es ist nicht das Gelände dafür. Artillerie? Eine Hundearbeit, Geschütze zu transportieren! Er begann sich vorzustellen, wie einem Infanteristen zumute sein mußte, der in diesem Gewirr von uralten Bäumen, Lianen, Gebüsch und fauligem Unterholz ein Deckungsloch grub. Und was tat er, um nicht nur persönlichen Schutz zu haben, sondern auch noch ein Schußfeld? Selbst Motorsägen würden Schwierigkeiten haben …
»Da unten sitzen sie«, machte der Pilot ihn aufmerksam, »irgendwo. Sogar unsere besten Aufklärer bringen nur selten brauchbare Aufnahmen mit nach Hause.«
»Meister der Tarnung. Ich habe davon gehört!«
»Nicht nur das. Sie haben ein System entwickelt, selbst größere Truppenteile so zu verstecken, daß man nicht einmal ein paar Reifenspuren sieht.«
»Was haben sie denn mit Reifen?«, erkundigte sich Navarre ironisch. »Büffelkarren?«
»Fahrräder«, antwortete der Pilot. Er flog, weil der General es so wollte, in etwa sechshundert Meter Höhe, und ihm war nicht sehr wohl dabei. »Neben den Fahrrädern haben sie so ziemlich alles, was die Amerikaner in Korea liegenlassen mußten. Die Chinesen haben es zusammengelesen und den Vietminh gespendet: 105-mm-Haubitzen, 81-mm-Granatwerfer, rückstoßfreie Geschütze, Bazookas, und Unmengen von Munition für jeden Zweck.«
»Flugzeuge?«
»Keine. Aber 37-mm-Flak. Unangenehm.« Der General wurde auf ein schmales bräunliches Band aufmerksam, das westwärts verlief. Der Pilot erklärte ihm, es sei die Straße nach Lai Chau. Befahrbar zwar, aber von Vietminh-Kommandos beherrscht, die jedem Konvoi verlustreiche Hinterhalte zu legen pflegten. Lai Chau war der letzte größere französische Stützpunkt im Nordwesten. Als der Ort zu sehen war, die Erdaufwürfe der Befestigungen, das Zickzackgewirr der Verbindungsgräben, die MG-Nester, ließ Navarre die Maschine ein paar Runden fliegen und sah immer wieder unschlüssig auf die Karte, die er auf den Knien ausgebreitet hatte. Schließlich bemerkte er zu dem Piloten, der den Krieg aus jahrelanger Erfahrung kannte: »Wer mit stärkeren Kräften nach Laos will, muß Lai Chau überwinden, soviel steht fest!«
»Er kann auch achtzig Kilometer weiter südlich operieren. Bei Dien Bien Phu. Gehörte mal uns. Außenposten. Habe gehört jetzt soll dort ein Vietminh-Regiment liegen.«
»Dien Bien Phu?« Der General suchte auf seiner Karte, bis er den Ort gefunden hatte.
Der Pilot klärte ihn auf: »Heißt wörtlich übersetzt ›Große Kreisstadt an der Landesgrenze‹. Weniger eine Stadt. Eben so eine Häufung von Siedlungen in einem ziemlich geräumigen Tal. Die Straße, die Sie jetzt sehen, mon Général, da unten, dieser lächerliche Wanderweg, den man stellenweise nicht sieht weil er zugewachsen ist, das ist die sogenannte Pavie-Piste. Beginnt bei Lai Chau und führt über Dien Bien Phu nach Laos. Wurde von einem gewissen Monsieur Pavie abgesteckt, der hier oben residierte, als die Thai das Gebiet besetzten. Lange her. Der Pfad endet irgendwo in der Nähe von Muong Khoua. Laos. Da haben wir einen Stützpunkt, wie den in Lai Chau. Muong Khou fiel am 18. Mai den Pathet Lao in die Hände, aber inzwischen gehört es wieder uns …«
»Einen Tag, bevor ich in Saigon eintraf«, sinnierte Navarre.
Der Pilot zeigte ihm Muong Khoua auf der Karte, dann tippt er auf Lai Chau, und zuletzt auf einen etwa 150 Kilometer weiter östlich gelegenen Punkt, bei dem der Name Na San stand. »Da wären die drei wichtigsten Bollwerke, um den Vietminh den Weg nach Laos zu verlegen. Wenn wir das Gebiet zwischen ihnen kontrollieren könnten, kämen nur noch Einzelreisende mit leichtem Gepäck nach Laos durch. Allerdings ist Muon Khoua so gut wie völlig abgeschnürt.«
»Wir können nur noch mit Lai Chau und Na San ernsthaft rechnen, wie?«
»So ist es. Fliegen wir Na San an, mon Général?«
»Ich möchte es sehen, ja.« Navarre dachte daran, daß er erst vor einigen Tagen wieder aus Paris die Order erhalten hatte, Laos unbedingt zu sichern, egal, wie er es anfing. Muong Khoua werden wir nicht mehr lange halten können. Es zu versorgen, überfordert unsere Nachschubdienste. Lai Chau müssen wir halten. Das ist ein Eckpfeiler des Tores nach Laos sozusagen. Wenn wir dazu, und außer diesem Na San, im Westen noch einen Stützpunkt hätten, wären wir in der Lage, aus einem strategischen Dreieck Fernpatrouillen zwischen den einzelnen Punkten auszuschicken. Dien Bien Phu. Warum haben wir das verloren? Ein großer Platz. Wie konnte man den aufgeben? Genug Raum für Truppen, schwere Waffen, einen Flugplatz, der die Versorgung garantiert, wenn die Landwege verschlossen sind. Hätten wir heute Dien Bien Phu, dann wäre das strategische Dreieck wieder vollständig, und es ergäbe sich hier für die Vietminh eine tödliche Falle! Er blickte aus der Kanzel. Die Maschine stieg.
»Warum gehen wir höher?« fuhr er den Piloten an. »Ich entsinne mich nicht, das befohlen zu haben!«
Gehorsam ging der Pilot wieder auf die vorherige Höhe zurück. Aber er sagte nicht sehr freundlich: »Da unten, mon Général, kommt Moc Chau. Dort haben die Vietminh Flak stehen.«
Navarre war entschlossen, die paar MG-Salven, die vielleicht irgendein barfüßiger Freischärler abfeuerte, nicht ernst zu nehmen. Vermutlich gab es sie gar nicht, es gab nur die Vorsicht des Piloten. Auch einer von denen, die nicht den Ehrgeiz hatten, zu kämpfen, sondern sich lediglich unbeschädigt über die Zeit bringen wollten. Noch während er über diese Mischung von Kleinmut und Spekulationsgeist innerlich grollte, schlugen von unten kommende Geschosse plötzlich Blechfetzen aus der linken Tragfläche.
Der Pilot trimmte die Maschine, die ins Torkeln geriet, aus und warf einen Blick auf Navarre. Der schwieg. Demonstrierte Desinteresse an jemandem, der vermutlich mit einem jahrzehntealten Maschinengewehr die »Dakota« beschoß. Erst als unter einer genauer sitzenden Garbe die Scheiben der Glaskanzel splitterten, nickte der General dem Piloten zu. »Höher!«
Als sie über Na San ankamen, dem in den Wald gehauenen Stützpunkt, der an die Forts in Indianerfilmen erinnerte, begnügte sich Navarre mit einer Runde. Dann akzeptierte er