Mami Staffel 9 – Familienroman. Stephanie von Deyen
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»Die Zeitung war noch nicht da.«
»Erzählen Sie keine Märchen, schauen Sie nach!« Nie wäre es Elèn in den Sinn gekommen, den Weg selbst zu machen.
In gebeugter Haltung schlurfte der alte Mann davon.
Madame sah ihm ärgerlich nach und nahm sich vor, sofort einen anderen Butler einzustellen, wenn sie wieder »flüssig« war. Das aber lief zweifellos nur über Mike.
Elèn war immer wieder froh, eine so hübsche Tochter zu haben. Maurenas Schönheit war besser als jede Aktie. Einige Wochen noch, dann war die Durststrecke überwunden. Gleich nach der Hochzeit sollte Mike seiner Frau ein Konto einrichten, über das auch Elén verfügen konnte. Die Höhe der benötigten Summe würde allerdings ein kleines Problem darstellen. Doch in dieser Hinsicht vertraute Madame der Überredungskunst ihrer Tochter. Maurena war in solchen Dingen sehr geschickt.
Der Butler kam und brachte die Zeitung.
»Ich hab’ ja gewußt, daß sie dasein muß«, bemerkte Elèn hochmütig und griff gleichzeitig nach dem Blatt. »Im übrigen warte ich noch immer auf den Kaffee.«
»Aber er steht hier.« Der alte Mann wies auf die zierliche Kanne, deren Inhalt auf einem Stövchen warmgehalten wurde.
»Wollen Sie mir nicht einschenken?« erkundigte sich Elèn vorwurfsvoll.
»Doch, selbstverständlich. Naturellement.« Der Alte im schwarzen Anzug, der ihm längst zu groß geworden war, verneigte sich erneut. Nur mit dieser demütigen Haltung konnte er seine Chefin nachsichtig stimmen.
Zufrieden sah Elèn zu, wie Rosario etwas zittrig Milch und Zucker in ihre Tasse tat. »Nehmen Sie sich bloß zusammen, wenn später mein künftiger Schwiegersohn zum Frühstück kommt«, warnte sie.
»Si, si, Madame.« Rosario war dreiundachtzig. Daß er noch immer arbeiten mußte, lag daran, daß er auf Schloß Derceville nie viel verdient hatte. Diese bescheidenen Bezüge hatte Madame nach dem Tod ihres Mannes sogar noch gekürzt.
Elèn nippte an der Tasse, die sie ihres Erachtens sehr vornehm, mit zwei abgespreizten Fingern, zum Mund führte. Danach faltete sie die Zeitung auseinander und vertiefte sich in die Regionalberichte. Meldungen aus Politik und Wirtschaft interessierten sie nicht. Mehr schon die Klatschgeschichten aus Marbella, und davon gab es täglich eine ganze Menge.
»Das ist der Hammer!« stöhnte sie plötzlich in ihrer Muttersprache. »Mannomann, das haut den stärksten Eskimo vom Schlitten!«
Rosario eilte erschrocken herbei, denn er war überzeugt davon, die Ursache für die Entrüstung seiner Chefin zu sein. Zwar bemühte er sich nach Kräften Eléns Wünschen gerecht zu werden, doch klappte das häufig nicht.
Diesmal wurde der Butler allerdings gar nicht beachtet. Madame sprang auf, rannte Rosario fast um und lief weiter, ohne sich zu entschuldigen.
Geradewegs ins Zimmer ihrer Tochter lief sie. Auf die Idee, daß Maurena nicht allein sein könnte, kam die aufgebrachte Elèn nicht.
Sie hatte Glück. Mike hatte das Zimmer vor wenigen Minuten verlassen, um zu duschen und sich in seinem Zimmer, das ganz am Ende des Flurs war, umzukleiden.
Maurena lag faul im breiten Bett, hörte Musik und war überhaupt nicht erfreut, ihre Mutter zu sehen. Elèn kommandierte nämlich nicht nur die Hausangestellten, sondern auch die Tochter herum, weshalb es mit der eigenwilligen Maurena
häufig zu Auseinandersetzungen kam.
»Keine Sorge, ich komme schon zum Frühstück, du brauchst mich nicht aus dem Bett zu scheuchen.« So gesehen war Maurena froh, bald dem mütterlichen Diktat zu entkommen, wenn es auch nicht der richtige Mann war, den sie heiraten würde. Schon seit einiger Zeit liebte sie einen anderen. Er war draufgängerisch, leidenschaftlich und so vital, wie der freundliche, bescheidene Mike nie sein würde. Dieser andere wußte zu leben. Sein Stil waren Abenteuer, rauschende Feste, das Bad in der Menge, nicht Pflichterfüllung im elterlichen Betrieb, wie Mike das praktizierte. Aber der andere war mit seinen risikoreichen Geschäften zu weit gegangen. Schon seit Monaten hatte Maurena nichts mehr von ihm gehört. Deshalb war es vernünftig, den vermögenden Mike Cramer zu heiraten. Alles andere würde sich ergeben.
Maurena seufzte, denn über all das konnte sie mit ihrer Mutter nicht reden. Elèn wollte, daß sie die Sicherheit wählte.
»Da ist ein Artikel mit Bild in der Zeitung, der vor allen Dingen dich interessieren wird«, meinte Elèn, ohne auf die Befürchtung der Tochter einzugehen.
Normalerweise war Maurena an den Regionalnachrichten nicht interessiert. Ihr erschien es viel wichtiger, was bei den Reichen aus aller Welt lief. Bald würde sie dazugehören, wenn Mike kein Interesse daran hatte, sich unter den Jet-Set zu mischen, würde sie es allein tun. Etwas widerwillig schielte Maurena auf die Seite, die ihre Mutter auf der Bettdecke ausbreitete.
Was sie da entdeckte, ließ sie wie elektrisiert hochfahren.
»Das gibt’s doch nicht!« ächzte sie und riß das Blatt hoch. »Der Schuft! Dieser gemeine Schuft!« Maurena heulte fast. »Aber der wird etwas erleben. Kommt hierher und lügt mir was vor. Das hat mir gerade noch gefehlt!« Maurena nahm sich nicht die Zeit, den Text zu lesen. Ihr genügte die Aussage des Bildes. Ihrer Meinung nach war das eindeutig.
Besänftigend legte Frau Elèn den Arm um ihre erwachsene Tochter. »Jetzt kommt es darauf an, daß du klug handelst. Deshalb bin ich mit der Zeitung auch gleich zu dir gekommen. Wir dürfen nichts überstürzen, sondern müssen sorgfältig überlegen, ob…«
»Für mich gibt es da gar nichts zu überlegen«, geiferte Maurena und schüttelte Elèns Arm von ihrer Schulter. »Den kauf’ ich mir. Und was er dabei zu hören kriegt, hat ihm noch niemand gesagt. Spielt bei mir den Biedermann und hat es faustdick hinter den Ohren! So etwas hab’ ich gern.«
»Genug jetzt!« stoppte die Ältere Maurenas Redefluß. »Willst du deine Hochzeit gefährden? Das wäre höchst unklug, mein Kind.« Belehrend hob Elèn den Zeigefinger.
»Ich will vor allen Dingen nicht betrogen werden, und schon gar nicht noch vor der Hochzeit!« zischte Maurena wütend.
»Du vergißt unsere Situation«, erinnerte Elèn mit ernstem Gesicht.
»Das ist deine Sache«, konterte Maurena unbeeindruckt.
»Da täuschst du dich aber gewaltig. Wir sitzen beide im selben Boot. Ist das klar?« Eindringlich sah Madame de Derceville ihre Tochter an.
»Du meinst, ich soll mich opfern, damit du herrschen kannst.« Fast feindselig klang diese Äußerung.
»Von einem Opfer kann wohl keine Rede sein. Cramer ist ein ausgesprochen ansehnlicher Mann, reich und gebildet, und er liebt dich. Was willst du mehr?«
»Ich werde seine Eskapaden nicht dulden! Mit mir macht er das nicht, nicht mit mir!«
»Wenn du ihn vergraulst, sind wir erledigt«, warnte Elèn.
»Wirtschaftliche Gründe können nicht für eine Ehe maßgebend sein. Über diese Ära sind wir hinaus.« Maurena schlug die Decke zurück und schwang ihre schlanken Beine aus dem Bett.