Gegen die Spielregeln. Philea Baker

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Gegen die Spielregeln - Philea Baker Baker Street Bibliothek

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fasste die Unterlagen auf seinem Schreibtisch zusammen und legte sie in eine Schublade, richtete einen kleinen, silber eingefassten Bilderrahmen auf, der zwischen diesen lag und sah schließlich Ryon mit ernster Miene an. »Die Bothnia wurde vor vier Tagen in unserem Haus registriert. Ein bemerkenswertes Schiff. Das Beste, das die Cunard Line seit langer Zeit gebaut hat. Charles MacIver«, Bridgetown hielt kurz inne, bevor er weitersprach, »ist mir seit vielen Jahren bekannt.« Er verharrte abermals einen Moment. »Ich traf Ihren Vater gestern Abend im White’s Club, als er gerade mit Charles MacIver sprach. Er tat sein Interesse kund, die Bothnia zu besichtigen. Möglicherweise ist er auch auf dem Schiff.«

      Ryons Wangenmuskeln spannten sich an. »Ich komme mit«, sagte er.

      Bereits von Weitem war die Unglücksstelle zu erkennen: Eine riesige schwarze Rauchwolke stieg unheilversprechend von dieser in den Himmel auf. Aufgeregte Stimmen drangen vom Schiff zu ihnen herüber, während sie den Steg passierten. Die Luft war von einem beißenden Gestank erfüllt. William McMickan, der Kapitän der Bothnia, stand auf dem oberen Deck und blickte mit versteinertem Gesichtsausdruck hinab auf die Geschehnisse unter ihm. Ein Dutzend Policemen war damit beschäftigt, Ordnung ins Chaos zu bringen, die Mannschaft zu vernehmen und dafür zu sorgen, dass niemand das Schiff verließ. Ein Verbrechen könne bislang nicht ausgeschlossen werden, hieß es. Schmerzensschreie ertönten vom Achterdeck, auf das man offenbar die Verletzten gebracht hatte. Ein kurzer Seitenblick verriet Ryon, dass Bridgetown ihn besorgt ansah.

      Das Unwetter hatte sich gelegt, die Sonne sandte bereits wieder ihre Strahlen aus. Es war nach wie vor unerträglich heiß, die Luft strotzte vor Feuchtigkeit. Alles wirkte scharf, grell und bunt. Alles, bis auf den Rauch, der dem Maschinenraum der Bothnia entstieg. Nachdem sie sich ausgewiesen hatten, wurden sie von einem Constable auf das Schiff gelassen. Ohne Umschweife steuerte Ryon auf die Unglücksstelle zu. Bridgetown begleitete ihn ein Stück, entschied sich dann aber, auf das obere Deck zu gehen, um mit Kapitän William McMickan zu sprechen.

      Ryon sprang die Stufen zum unteren Deck hinab. Wenige Schritte von der Tür entfernt, aus der der Qualm aufstieg, stand ein junger Mann der Fire Brigade, der seinen Helm unter dem Arm geklemmt hielt und angespannt auf die Tür blickte.

      »Wissen Sie, wie viele Männer schon herausgeholt wurden?«, fragte Ryon ihn ohne Umschweife. Der junge Mann wandte sich ihm zu und blickte auf seinen Zopf, als sähe er einen Geist. »Sieben. Bis jetzt sind es sieben.«

      »War darunter ein Mann von etwa vierzig Jahren? Ein Amerikaner? Braune Haare, mittelgroß?«

      »Alle, die herausgeholt wurden, sind Maschinisten der Bothnia. Zwei von uns sind noch drin und suchen. Es heißt, der Geschäftsführer der Cunard Line sei noch im Maschinenraum, zusammen mit einem Ingenieur, der sich den Motor ansehen wollte. Ist das der Mann, den Sie suchen?«

      »Ich glaube, ja. Würden Sie mir Ihren Helm und Ihre Uniform leihen?«

      »Es sind zwei Leute von unseren Jungs drin, Mister. Und wenn Sie mich fragen, die hätte unser Chef gar nicht reinschicken sollen. Meine Kollegen riskieren ihr Leben für nichts. Da drin lebt keiner mehr, da bin ich sicher.«

      Ryon blickte ihn mit eisiger Miene an. »Es ist mein Vater, nach dem ich suche.«

      Der Brigadist sog die Luft laut durch die Nasenflügel ein. »Sie sind doch gar kein Weißer. Das soll Ihr Vater sein, da drin?«

      »Mein Vater ist Amerikaner. Meine Mutter Lakota. Genügt Ihnen das als Erklärung?«

      Der Brigadist betrachtete ihn skeptisch, reichte ihm jedoch den Helm und zog seine Uniform aus. »Das ist die Hölle da drin«, meinte er.

      Ryon zog sein Jackett aus, stieg in die Uniform und setzte sich den Helm auf. »Das glaube ich Ihnen. Aber ich muss gehen. Haben Sie vielen Dank.«

      Die Hitze schlug ihm wie ein Peitschenhieb ins Gesicht. Durch die Augenschlitze erkannte er verschwommen Feuer am Ende des Ganges. Entschlossen ging er darauf zu, doch mit jedem Schritt wurde die Hitze unerträglicher. Lautes Prasseln und Zischen betäubte seine Ohren. Plötzlich wurde er aus dem Nichts heraus grob angestoßen. Er stützte sich mit seiner Rechten an der Wand ab. Ein blitzartiger Schmerz schoss in seine Hand: Die Wand glühte. Schwach meinte er die Umrisse eines Mannes zu erkennen, der einen anderen schulterte. Er blickte noch einmal den Gang hinunter zum Maschinenraum. Alles war orange, verzerrt. Eine weitere Gestalt tauchte plötzlich auf, fasste ihn grob an der Schulter und zog ihn mit sich zum Ausgang. Er besaß kein Quäntchen Luft mehr in den Lungen. Das Gefühl, zu ersticken, war alles bestimmend.

      Kaum dass sie draußen waren, sog er gierig die frische Luft in seine Lungen. Er beugte sich vornüber, der Helm fiel hinab. Seine Haut glühte. Als er die Augen aufschlug, besah er sich seine Hand, auf der sich gerade Brandblasen bildeten. Er sah sich nach Wasser um, fand einen Eimer und ließ die Hand darin versinken. Er öffnete die Uniform und strich sie von sich ab. Ihm war heiß, unfassbar heiß. Mit der linken Hand krempelte er die Ärmel hoch, öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes. Sein Brustkorb hob und senkte sich heftig von der Anstrengung. Die gebräunte Haut und das große Tattoo auf seiner Brust, welches durch sein offenes Hemd zutage trat, glänzten von Hitze und Schweiß. Unweit von ihm entfernt standen die beiden Männern der Fire Brigade, die mit ihm im Maschinenraum gewesen waren. Sie wurden von Kollegen und Krankenschwestern versorgt. Auf dem Boden lag der Mann, den sie herausgeholt hatten. Es war sein Vater. Ein Arzt saß kniend vornübergebeugt vor diesem. In der nächsten Sekunde war er bei ihm. Schwere Verbrennungen und Verletzungen, vermischt mit Blut, waren sichtbar. Der Brustkorb seines Vaters hob und senkte sich kaum wahrnehmbar, die Augen waren geschlossen. Sein Vater bewegte die Lippen, sie formten ein Wort, ohne jedoch einen Laut zu bilden. Unversehens zog er deutlich hörbar die Luft ein, dann sank sein Oberkörper zusammen und regte sich nicht mehr.

      »Für diesen Mann kommt jede Hilfe zu spät«, sprach der Arzt. Er atmete tief ein. »Sie kannten ihn?«, fragte er Ryon zugewandt.

      »Er ist mein Vater.« Ryon ergriff die Hand seines Vaters und murmelte leise Worte in seiner Muttersprache. Kaum dass er gesagt hatte, was er seinem Vater hatte sagen wollen, erklang eine helle Frauenstimme.

      »Dr. Croft?« Eine Krankenschwester trat zu ihnen. »Wir bräuchten Ihre Hilfe auf dem Achterdeck. Wenn Sie Zeit hätten …«

      Ryon musterte sie. Die Krankenschwester war größer als die meisten Frauen. Ihre schwarze Schwesterntracht war durchnässt und klebte an ihr. Sie blickte abwechselnd auf seinen Vater und ihn, Traurigkeit und Überraschung spiegelte sich in ihren bernsteinfarbenen Augen.

      »Ich komme«, sprach der Arzt. »Mein Beileid«, sagte er zu Ryon, während er aufstand.

      Dieser nickte und sah den beiden nach, als sie gingen. Die Krankenschwester drehte sich noch einmal um, wandte sich aber sogleich abrupt ab, als sie gewahr wurde, dass er sie ansah. Der Arzt schritt mit ihr zu einem Policeman, der Ryon aus der Ferne taxierte. Sofort hatte er das Gefühl, dieser habe ihn schon länger im Visier. Trotz seiner jugendlichen Ausstrahlung wirkte der Mann abgebrüht. Das Chaos an Deck schien ihn nicht im Geringsten zu erschüttern. Ryon stand auf und schritt wieder zum Eimer, um seine Hand zu kühlen. Er atmete tief durch, betrachtete seinen Vater, der nun von zwei Männer der Fire Brigade auf eine Trage gelegt wurde.

      »Wer sind Sie? Was hatten Sie da drinnen zu suchen?«, wurde er barsch zur Rede gestellt. Er blickte in kühle, graue Augen. Es war der Policeman. Sein Blick durchbohrte ihn förmlich.

      »Mein Name ist Ryon Buchanan. Ich wollte meinen Vater aus dem Feuer retten.« Ryon wies mit dem Kopf auf seinen toten Vater. »Und wer sind Sie?«

      »Das können Sie irgendwem erzählen, aber nicht mir! Halten

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