Gegen die Spielregeln. Philea Baker

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Gegen die Spielregeln - Philea Baker Baker Street Bibliothek

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14. Ball des Lloyd’s Register of Shipping fand wie jedes Jahr im Claridge’s statt. Das berühmte Hotel in Mayfair bot alles, was für dieses Ereignis vonnöten war: die richtige Lage sowie luxuriös ausgestattete, architektonisch beeindruckende und ausreichend große Räume für rund dreihundert Gäste. Alessa kannte das Claridge’s gut, da sie ihren Onkel und ihre Tante bereits zum dritten Mal begleitete. Es war einer der letzten Bälle in London, bevor die Saison sich dem Ende zuneigte. Alles, was Rang und Namen besaß, verschwand die Sommermonate über in die See-Regionen nach Bath, Clacton-on-Sea und andere renommierte Kurorte. Die Stadt war bereits jetzt angenehm leergefegt, wie Alessa es spitzbübisch auszudrücken pflegte.

      Der Ball hatte einen völlig anderen Charakter als alle anderen Bälle. Mitarbeiter des Lloyd’s Register, Schiffseigentümer, Schiffsoffiziere und Kapitäne, Ingenieure, Investoren, Versicherer, schlicht alle, die mit Schiffen zu tun hatten, trafen sich hier. Die Veranstaltung wurde von Männern dominiert, und diese waren nicht etwa aufgrund ihrer Abstammung hier, sondern aufgrund ihres Könnens. Diese Tatsache und der Umstand, dass sie aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt kamen, fesselten Alessa. Sie interessierte sich für fremde Sitten und Gebräuche, für all die fernen Länder, deren Namen in ihren Ohren bisweilen so seltsam klangen, als handle es sich um fiktive Welten. Ein weiterer Grund, warum Alessa diesen Ball liebte, war, dass ihre Stiefmutter Fiodora bei dieser speziellen Veranstaltung nie zugegen war. Auch wenn Richard Bridgetown seine Schwester immer wieder einlud, sagte sie jedes Mal ab. Das viele Gerede über Schiffe, das Meer und ferne Länder langweile sie: »Was ist an einem Schiff so besonders? Es schwimmt auf dem Wasser wie jedes andere Stück Holz auch!« und »Was interessiert mich die Unkultiviertheit anderer Länder? Sieh sie dir doch alle nur an, Richard: Sie kommen nach London! Hier spielt die Musik!« waren ihre Kommentare. Außerdem waren ihr die Gattinnen der Kapitäne oder Ingenieure, sofern vorhanden, zu simpel. »In dieser Gesellschaft, lieber Bruder, bin ich sicherlich völlig fehl am Platz.«

      Darin steckte tatsächlich ein Fünkchen Wahrheit.

      Als Alessa mit ihrem Onkel und ihrer Tante den weitläufigen Eingangsbereich des Claridge’s betrat, war es kurz nach acht Uhr. Obwohl sie all das kannte, verschlug es ihr wieder den Atem. Der Raum erstrahlte in goldgelbem Glanz. Gewaltige Kronleuchter glitzerten von der Decke und ihr Licht sprühte einen Reigen schillernder Punkte auf die Wände und den schwarz-weiß gefliesten Boden. Einige Gäste verweilten in Gespräche vertieft vor dem Kaminsims, unter den Arkaden oder vor der schwungvollen Treppe, die zum Ballsaal in den ersten Stock führte. Schwerer Moschusduft lag in der Luft.

      Ihr Ankommen blieb nicht unbemerkt. Überall nickte man ihnen zu und hier und dort wurden sie in ein kurzweiliges Gespräch verwickelt. Die Blicke der Damen hafteten auf Alessas Robe.

      Sie trug ein blassrotes Kleid aus Tussahseide, welche von einer floralen Struktur durchsetzt war. Der runde Ausschnitt des Dekolletés und auch der des Rückens waren mit Brüsseler Spitze versehen. Die Rückenpartie des Kleides war geschnürt, die schmalen Ärmel, die über die Ellenbogen reichten, schlossen ebenfalls mit der Spitze ab. Fast ein Jahr lang hatte das Kleid im Schrank gehangen, sie hatte es explizit für diesen Ball aufgehoben. Viele Frauen hatten ihre Haare nur teilweise hochgesteckt, wie es der neue Schick war. Sie hingegen hatte sich von Laura, dem Dienstmädchen, überzeugen lassen, dass ihr die klassische Hochfrisur am besten zu Gesicht stand. Eine mit kleinen, tiefblauen Saphir-Steinen bestückte Kette zierte ihren schlanken Hals. Das kostbare Schmuckstück war ein Geschenk ihres Vaters gewesen. ›Aus Montana, mein Schatz.‹ Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem er ihr die Kette überreicht hatte. Die Erinnerung schmerzte. Nichts war mehr, wie es war. Er fehlte.

      Sie schritten an einem großen Spiegel vorbei und für einen kurzen Moment erhaschte sie einen Blick auf sich selbst. Sie war kein kleines Mädchen mehr: Sie war eine Frau mit einem Lebensplan. Sie würde die Dinge selbst in die Hand nehmen. Wenn sie es nicht tat, würden es andere für sie tun. Fiodora machte keinen Hehl daraus, dass sie sie verheiraten wollte – und zwar bald. Nun, gegen das Heiraten hatte sie ja gar nichts einzuwenden. Es musste nur der Richtige sein. Und wer das war, das wusste sie, Alessa, besser als Fiodora. Er war heute Abend nicht zugegen. Aber das minderte ihre gute Laune nicht.

      Der Saal war bereits übervoll, ein deutliches Zeichen, dass sie recht spät dran waren. Die großen runden Tische waren mit feinstem Porzellan und Silber gedeckt, in denen sich das Licht der pompösen Kronleuchter spiegelte. Gebinde aus roten Rosen verströmten einen betörend sinnlichen Duft. Im hinteren Teil des Raumes spielte ein Orchester einen Walzer von Strauß. Die Töne schwebten leise über dem Murmeln der Menge dahin. Noch war das Spiel der Musiker verhalten, bald schon aber, nach dem Essen, würde die Musik den Abend dominieren. Die Abendsonne warf ihre Strahlen durch die großen Balkonfenster und ließ das Kirschholzparkett feurig aufleuchten.

      »Mr. Bridgetown, Mrs. Bridgetown.« Ein junger Mann trat auf sie zu. Der blassen, sommersprossigen Haut nach zu urteilen, ein Ire. Alessa schätzte ihn auf etwa zwanzig Jahre. Interessiert betrachtete sie ihn. Auch er warf ihr einen neugierigen Blick zu.

      »Mr. Carlisle!« Ihr Onkel lächelte erfreut auf, während er ihm die Hand schüttelte. »Meine Frau Beth und meine Nichte Alessa Arlington, wenn ich vorstellen darf.«

      Alexander Carlisle! Verblüfft hielt Alessa die Luft an. Natürlich hatte sie von dem Ausnahme-Ingenieur gehört, der für die White Star Line arbeitete. Carlisle nahm ihre Hand. Formvollendet verbeugte er sich, einen Kuss andeutend, wie es sich schickte. Als er sie wieder anblickte, lächelte er.

      »Wo sitzen Sie, Mr. Carlisle?«, nahm Richard Bridgetown den Faden wieder auf, nachdem Carlisle auch Beth seine Aufwartung gemacht hatte.

      »Ich sitze in der Mitte.« Carlisle deutete auf die erste Reihe. Sie verabredeten sich für ein späteres Gespräch und Carlisle erbat sich von Alessa und Beth die Erlaubnis, sie später zum Tanz auffordern zu dürfen. Einer der Diener führte sie zu ihrem Tisch. Das freudige Gefühl, das sie bis eben erfüllt hatte, schwand schnell, als sie sah, wer sie dort erwartete. Natürlich hatte sie gewusst, dass er dem Ball beiwohnen würde. Aber sie hatte es bis auf die letzte Sekunde verdrängt. Wieder wurde ihr bewusst, wie sehr er sie anwiderte.

      »Alessa! Onkel Richard, Tante Beth!« Gerald Bonniers stand sogleich auf, um sie zu begrüßen. Er war von mittelgroßer Statur und somit fast mit ihr auf Augenhöhe. Sein Gesicht, das unterhalb der Wangenknochen leicht eingefallen war, erinnerte ein wenig an einen Vogel, was durch die eng beieinanderstehenden Augen und die leicht gekrümmte Nase noch unterstützt wurde. Als Franzose trug er ausschließlich Haute Couture de Paris. Die braunen Haare teilte ein weit seitlich gezogener Scheitel. Alles an ihm wirkte seltsam übertrieben. Sie zuckte heftig zusammen als er seine feuchten Lippen auf ihren Handrücken drückte. Über seinen gebeugten Rücken hinweg warf sie ihrem Onkel einen verzweifelten Blick zu. Aber dieser zeigte sich unbeteiligt. Weil Bonniers ihre Hand länger als nötig für sich beanspruchte, zog sie sie schließlich entschlossen zurück. Gerald Bonniers sah sie einen Moment lang überrascht an, fasste sich aber schnell wieder und wandte sich Richard und Beth zu.

      Das Essen an Bonniers Seite schien Alessa schier endlos und gestaltete sich umso unerträglicher, als dieser die Unterhaltung mit Selbstkomplimenten zu spicken verstand. Sie entfernte sich schließlich von der Tischrunde, um ein wenig mit Eliza Berett zu plaudern, die mit ihrer Mutter und ihrem Vater am Nachbartisch saß. Gespannt blickte sie sich während des Gespräches um. Von ihrem Onkel hatte sie in Erfahrung bringen können, dass einige spanische Schiffsoffiziere anwesend sein würden. Gerade die Spanier hatten sich beim letztjährigen Ball als die besten Tänzer erwiesen. Außerdem gab es noch eine andere Person, nach der sie Ausschau hielt. Aber er war nirgends zu sehen. Ihren Onkel hatte sie nicht zu fragen gewagt, ob dieser Jemand kommen würde. Auch wenn es irrational war, so befürchtete sie doch, allein das Aussprechen seines Namens könne etwas in ihr verfestigen, was sich auf keinen Fall verfestigen sollte.

      »Suchst du die spanischen Schiffsoffiziere?«, fragte Eliza augenzwinkernd.

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