Unter den Narben (Darwin's Failure 2). Madeleine Puljic

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Unter den Narben (Darwin's Failure 2) - Madeleine Puljic Darwin's Failure

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nützten sie. Den Kindern, die niemanden mehr hatten, die von der Straße gekommen oder deren Eltern im Aufstand gefallen waren. Für sie musste sie stark sein, für sie musste sie überleben.

      Ranya drückte die Tür auf und kehrte in ihr neues Zuhause zurück. Die Zuflucht war ärmlich eingerichtet, kaum mehr als ein paar schmutzige Matratzen, die sie um einen niedrigen Tisch herum angeordnet hatten. Es war beengt, und es stank. Aber wenn es den Kindern ermöglichte, ohne Hass aufzuwachsen, ohne den Wunsch, sich Narben zuzufügen … Wenn diese Kinder lachen konnten, dann hatte sich die Entbehrung gelohnt.

      Sie nickte den Frauen zu, die diese wilde Bande von Kleinkindern beaufsichtigten, die über das Matratzenlager stürmte. Saske, die Älteste der Gruppe, kam umständlich auf die Beine.

      »Ist es wahr?«, fragte sie. Ihr Blick zuckte zu den Kindern, doch die waren zu sehr mit ihrem Spiel beschäftigt, um etwas von dem Gespräch mitzubekommen. Dennoch senkte Saske die Stimme noch weiter. »Ein Anschlag auf die Unterschicht?«

      »Es ist das Kloster«, antwortete Ranya ebenso leise. Sie war erstaunt, wie ruhig sie dabei klang.

      Saske presste eine zitternde Hand an den Mund. »Sie werden uns hassen«, wisperte sie.

      »Sie haben allen Grund dazu.« Die Gebetsstätten verweigerten den Reinen bereits jede Spende, und nun, da das Kloster gefallen war, würden sie Puristen erst recht nicht in ihren Gemeinden dulden. Von den Priestern konnte Ranya kein Verständnis erhoffen. Nicht einmal von ihrem eigenen Sohn.

      Dabei hatte sie getan, was Atlan ihr nahegelegt hatte: Sie hatte die Unschuldigen aus Harons Fängen geholt. Obwohl sie gewusst hatte, dass es schwer werden würde, allein zu überleben. Sie hatte auf Atlans Unterstützung gehofft. Nun musste sie einen anderen Weg finden – oder sterben.

      Saske scheuchte einen schmutzigen Jungen fort, der sie am Ärmel zog, und fragte leise: »Werden sie uns aufspüren?«

      »Wen meinst du?«, entgegnete Ranya. »Die Priester? Die Arbeiter? Oder die Reinen?« Keine dieser Aussichten war angenehm. Ihre Feinde nahmen von Stunde zu Stunde zu.

      Saske war wohl zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Sie hob mit einer beiläufigen Geste die Schultern. »Macht es einen Unterschied?«

      Ranya lächelte bitter. »Nein, ich schätze nicht.« Wer auch immer sie hier finden sollte, würde sie verurteilen für das, was sie waren. Puristen. Verräter. Abtrünnige.

      Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, ihrem Jungen zu zeigen, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Dass sie die Aktionen der Puristen nicht unterstützte, nichts mit all dem Wahnsinn zu tun hatte.

      Doch sie zögerte. So sehr sie Atlan auch wiedersehen wollte, sie konnte unmöglich an seiner Gebetsstätte erscheinen. Er würde sie nicht empfangen, sie würde nur für Unruhe sorgen. Wenn sie jetzt ging, würde sie womöglich nicht zurückkehren, und sie durfte ihre Schützlinge nicht im Stich lassen. Also musste sie jemand anderen schicken. Keinen Puristen, niemanden, dem man die Verbindung zu den Attentätern ansah. Jemanden, der unauffällig war und der sich in Noryaks Straßen zurechtfand.

      Ihr Blick fiel auf die Neue. Ein Mädchen, das nicht lachte, nicht weinte. Sie saß still in ihrer Ecke, beobachtete die anderen Kinder beim Spiel und gesellte sich doch nie dazu. Das Leben an der Oberfläche hatte tiefe Wunden in ihr hinterlassen, die erst nach und nach zu heilen begannen. Es hatte Wochen gedauert, bis sie den Reinen mit etwas anderem als Feindseligkeit und Misstrauen begegnet war. Mittlerweile schien das Mädchen ihre Anwesenheit immerhin zu dulden.

      Irgendetwas sagte Ranya, dass der Tag gekommen war, sie als eine der ihren anzusehen.

      »Leera«, sagte sie sacht. »Komm her, Kind. Ich möchte dich um etwas bitten.«

      Haron

      Mit der stickigen Luft der Unterstadt schlug Haron auch der Lärm entgegen. Tausende gedämpfte Stimmen, die durch ihre schiere Masse in seinen Ohren dröhnten. Sie klangen euphorisch, und das ließ ihn seine Schritte beschleunigen.

      Doch als er die Haupthalle erreichte, prallte er unwillkürlich zurück. Wann waren sie so viele geworden? Die Höhle war bis auf den letzten Winkel mit Menschen gefüllt, die Luft war so verbraucht, dass er das Gefühl hatte, nicht genug Atem zu bekommen. Es stank nach den Ausdünstungen tausender Leute, nach Hunger, Krankheit und Schweiß.

      Das schien die versammelten Leute allerdings nicht zu stören. Sie plauderten ausgelassen, feierten mit dem Wenigen, was sie hatten.

      Harons Rationierung war hart, wenn sie ihn also nicht noch weiter hintergangen hatten, waren das die Vorräte der nächsten Woche, die sie für ihre Feier benutzten. Entweder vertrauten sie darauf, dass er die Einteilung lockerte, oder sie nahmen den Hunger in Kauf. Die Leiber, die Haron unter den Lumpen ausmachen konnte, waren ebenso abgemagert wie der des Klosterjungen, den er noch auf dem Arm trug. Und trotzdem feierten sie.

      Was gab es an der Zerstörung des Klosters zu feiern? Was dachten sie, dass sie mit ihrem Anschlag erreicht hätten? Nichts als sinnlose Gewalt, die unnütze Verschwendung wertvoller Ressourcen. Das war nicht der Weg, den er ihnen zeigen wollte. Er hatte die Puristen aus ihrem passiven Zustand befreien wollen, um eine bessere Welt zu schaffen. Mit ihnen, für sie. Für alle, die unter dem Joch der Oberklasse litten. Für Sianna …

      Bei dem Gedanken an seine Frau spannte er unwillkürlich die Muskeln an. Das Kind begann zu wimmern. Haron wandte sich zu seinem stillen Begleiter um und drückte ihm den erschöpften Jungen in die Arme.

      »Bring ihn zu den anderen«, ordnete er an. »Sieh zu, dass er etwas zu essen bekommt, und dann hol dir deinen Anteil am Gelage.«

      Hemmon grinste. Als hätte Haron ihm die Teilnahme am Fest irgendwie verwehren können. Er konnte von Glück reden, wenn der Hüne es nicht als Nachteil ansah, ihn begleitet zu haben. Einen ganzen Tag hatten sie auf den Besuch des Klosters verschwendet, während die anderen aktiv geworden waren. Wenn die Reinen erst einmal zu dem Schluss kamen, dass sie besser beraten waren, Ariat zu folgen statt ihm …

      Ein Gedanke, den er von vornherein unterbinden musste. Er nickte Hemmon noch einmal zu und wandte sich dann wieder der Menge zu.

      Er musste nicht lange suchen. Ariats schmale Gestalt war leicht auszumachen, sie hatte es sich im Zentrum der Halle bequem gemacht – an dem Platz, der eigentlich ihm gebührte. Selbst auf diese Entfernung sah er den rosigen Schimmer auf ihren Wangen und den fiebrigen Glanz ihrer Augen, die den Konsum des einzigen Produkts bezeugten, das sie im Überfluss besaßen: Alkohol.

      Energisch bahnte er sich seinen Weg durch die feiernden Puristen. Die ersten Leute, die er anrempelte, reagierten ungehalten. Dann erkannten sie, wer sich da durch ihre Reihen drängte, und begannen zu jubeln. Haron lächelte und nickte ihnen zu. Sie wussten nicht, dass der Befehl für diesen Anschlag nicht von ihm gekommen war, und er würde alles tun, damit es dabei blieb. Es konnte nur einen Anführer geben, und das war er.

      Der Jubel ließ Ariat aufblicken. Sie setzte ein hinterhältiges Grinsen auf, doch als sie erkannte, dass er nicht das Weite suchte, sondern auf sie zu marschierte, gefror ihre zuvor so ausgelassene Miene. Haron sah die Anspannung in ihren Schultern, als würde sie erwägen, aufzuspringen und davonzulaufen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Die Reinen drängten ihm entgegen, sodass sie ihr den Fluchtweg abschnitten. Zugleich machten sie ihm respektvoll Platz. Nur wenige Schritte, dann hatte er den Raum durchquert und trat an Ariats Seite.

      Sie zuckte zusammen, als er die Hand hob. Doch statt ihr die Prügel zu verpassen, die sie eigentlich verdient hätte, nahm

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