Unter den Narben (Darwin's Failure 2). Madeleine Puljic

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Unter den Narben (Darwin's Failure 2) - Madeleine Puljic Darwin's Failure

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überzeugt gewesen, er würde denselben Jungen vor sich finden, den er seinerzeit aus dem N4-Center gestohlen hatte. Für Xenos. Für das Kloster. Ein perfektes Kind, um den Gläubigen die Illusion zu geben, sie könnten ebenso makellos wie die Oberschicht sein. Eines von vielen, wie er wusste. Aber das Einzige, das er selbst entwendet hatte.

      Haron löste die Hand, die sich bei diesen Gedanken zur Faust geballt hatte, und streckte sie dem Novizen entgegen. »Komm mit, wenn du möchtest.« Ein Maul mehr, das er stopfen musste. Was machte das noch für einen Unterschied? Viel konnte der Kleine ja wohl nicht brauchen.

      Der Junge zögerte, musterte erst ihn, dann Hemmon mit furchtsamem Blick. Doch schließlich siegte der Hunger. Der Hunger siegte immer. Er ergriff Harons Hand und ließ sich von ihm auf die dürren Beine ziehen.

      Hemmon sagte nichts. Als der Junge stolperte, hob er ihn auf die breiten Schultern. Zu dritt machten sie sich auf den langen Weg zurück.

      Die Nacht fiel herein, als sie noch Stunden von der Unterstadt entfernt waren, färbte den Himmel vom ewigen Grau des Smogs zu undurchdringlichem Schwarz. Haron wartete darauf, die Feuer der Aufstände auflodern zu sehen, doch die Nacht blieb dunkel. Zwar bewegten sie sich immer noch durch die kleinen, uneinsehbaren Nebenstraßen, um nicht aufgehalten zu werden – dass aber nichts zu hören, nichts zu sehen war, erschien ihm seltsam. Hatten seine Leute aufgegeben? Sahen sie keinen Grund zu kämpfen, wenn er sie nicht dazu antrieb?

      Erst als ihr Weg sie wieder in die Nähe einer Hauptstraße führte und sie einen Blick auf die riesigen Monitore an den Häuserfronten der Oberschicht werfen konnten, erkannte er seinen Irrtum.

      Es hatte sehr wohl einen Anschlag gegeben. Doch nicht auf die Läden der Optimierten, keines der vereinbarten Ziele für Plündereien. Nichts, um den Hunger zu stillen oder den Krieg voranzutreiben. Diesmal war es nicht die Suche nach Lebensmitteln und Waffen gewesen, die das Ziel ausgewählt hatte, sondern blinde Rache.

      Haron biss die Zähne zusammen. Das Kloster brannte, und er wusste nur zu gut, wer dafür verantwortlich war.

      3. Kapitel

      Ramin

      Wütend stürmte der ehemalige Priester durch die Gänge des Regierungssitzes. Er stieß jeden beiseite, der nicht schnell genug den Weg freiräumte. Verständnisloses Gemurmel folgte ihm, doch davon ließ er sich nicht bremsen. Er eilte weiter, erreichte die weniger frequentierten Bereiche und schlüpfte unbemerkt in die unscheinbare Nische an der Seite. Nervös sah sich er um, während der Scanner seinen Chip erfasste.

      Es dauerte schier endlose Sekunden, dann endlich glitt die hintere Wandverkleidung beiseite. Ramin atmete auf und schlüpfte in den schmalen Gang, der ihn direkt in die privaten Räumlichkeiten des Präsidenten führen würde. Kam es ihm nur so vor, oder dauerte die Autorisierung tatsächlich jedes Mal länger?

      Er schob den Gedanken beiseite. Darüber konnte er sich ein anderes Mal Gedanken machen, im Augenblick gab es dringlichere Dinge zu besprechen. Solange die Sicherheitskontrolle ihn einließ, war er noch nicht aufgeflogen. Und selbst wenn jemand einen Verdacht schöpfte, hier drinnen konnte ihn niemand aufspüren – kaum jemand außer ihm kannte diesen Zugang. Nur er und natürlich der Präsident selbst benutzten die geheimen Wege hinter den offiziellen Bereichen.

      Also hetzte er weiter, rannte durch den verwinkelten Gang, bis er Sepions Büro erreichte. Verschwitzt und außer Atem trat er durch die geheime Tür, und der entrüstete Blick des Präsidenten machte ihm einmal mehr klar, wie rasch es mit seinen Privilegien vorbei sein konnte.

      Eine Augenbraue des Regierenden wanderte pikiert nach oben. »Ja?«

      »Es gab einen neuen Anschlag«, keuchte Ramin.

      Er fühlte einen dicken Schweißtropfen, der ihm feucht und unappetitlich über die Wange lief. Sepion verzog angewidert den Mund. Schlagartig wurde Ramin bewusst, zu welchem Fehler ihn seine Aufgebrachtheit verleitet hatte: Kein Klon würde sich derart körperlich verausgaben, ein Regierungsmitglied erst recht nicht! Sich so abzuhetzen war ein undenkbares Verhalten für jemanden aus der Oberschicht. Er hätte anrufen sollen, eine sichere Verbindung beauftragen und … Zu spät. In seiner Aufregung war er in seine alten, verräterischen Gewohnheitsmuster zurückgefallen.

      Der Präsident wandte sich jedoch bloß desinteressiert ab. »Ich weiß.«

      »Du weißt es bereits?«, wiederholte Ramin fassungslos. Er räusperte sich verhalten, um diesen Fehler zu überspielen, straffte die Schultern und strich seine Kleidung glatt. Betont neutral fuhr er fort: »Gibt es schon eine Anweisung, wie wir darauf reagieren werden?«

      »Nein.« Sepion betätigte den Sensor, der seinen Kleiderschrank aktivierte, und musterte die Hemden in der ersten Reihe. »Was interessiert es mich, ob diese Verrückten nun auch die Unterschicht angreifen?«, fragte er, während er ein cremefarbenes Stück mit dezenten Golddrucken auswählte. »Wenigstens eine Nacht, in der nicht weiteres Geld in Flammen aufgeht.«

      Ungeachtet der Anwesenheit seines Beraters begann der Präsident sich zu entkleiden. Er entblößte bleiche, teigige Haut. Fettschwulste wölbten sich um seinen blassen Leib und hingen wie Fremdkörper daran herab.

      Nun war es an Ramin, Abscheu zu empfinden. Er senkte den Blick, um sich nicht zu verraten.

      »Das Kloster war der Regierung unterstellt«, merkte er an. Es erhielt Zuschüsse, um die wachsende Arbeiterschicht versorgen zu können. Was Ramin auch von seinen ehemaligen Kollegen halten mochte, an der Aufgabe des Klosters zweifelte er nicht. In seinen Augen fiel es unter den Schutz des Präsidenten.

      Sepion sah das allerdings anders. »Sie haben nie getan, wofür wir sie bezahlt haben.« Er streckte die Arme aus und wartete darauf, dass Ramin ihm beim Ankleiden half. Als sein Berater ergeben den weichen Stoff ausschüttelte, fuhr der Präsident fort: »Diese sogenannten Priester haben immer nur schlecht von uns gesprochen.«

      »Sie haben die Unterschicht ruhig gehalten«, wandte Ramin ein. Die Verteilung der Ressourcen unter den Arbeitern war nicht nur essenziell, um die Menschen dort unten am Leben zu erhalten, sie war auch im Sinne der Regierung. Wenn Sepion schon nicht die menschliche Verpflichtung des Klosters anerkennen wollte, dann doch wenigstens das.

      Wieder wurde er enttäuscht. »Diese Aufgabe haben sie ja nun ebenfalls gehörig vernachlässigt, meinst du nicht? Insofern haben die Puristen wenigstens einmal etwas Vernünftiges getan, indem sie uns von diesem Ballast befreit haben. Eine unnötige Ausgabe weniger, über die ich mir den Kopf zerbrechen muss.« Er schloss den Kragen und sah seinen Berater durchdringend an. »Wieso kümmert dich das so?«

      Wie so oft waren es halbe Wahrheiten, auf die Ramin zurückgreifen musste. Er log selten, doch noch weniger konnte er frei sprechen. Jedes Wort, jedes Zucken seiner Gesichtsmuskeln konnte ihn verraten. Ramin zwang sich zur Ruhe. »Es wird weitere Aufstände geben«, warnte er. »Schlimmere. Die Reinen haben eine Grenze überschritten, indem sie nun auch Natürliche angegriffen haben.«

      »Gut«, antwortete der Präsident. »Wenn sich die Unterschicht gegenseitig dezimiert, gibt uns das vielleicht die Gelegenheit, Noryak wirtschaftlich wieder einigermaßen zu stabilisieren. Dein wunderbarer Plan zum Wiederaufbau zeigt bisher nämlich keine großen Erfolge.«

      »Es ist ein langfristiger Plan«, gab Ramin zu bedenken. Eine Wirtschaft stabilisierte sich nicht über Nacht, in Kriegszeiten erst recht nicht.

      Doch davon wollte Sepion nichts wissen. »Wie wohl alle deine Vorschläge«, gab er barsch zurück. »Erfolg hat bisher jedenfalls nichts gezeigt. Immer noch wissen wir nicht, wo sich die Aufständischen versteckt

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