Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3. Dirk van den Boom

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Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3 - Dirk van den Boom

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trauen Vigil nicht?«, fragte Kerr.

      »Er ist ein Agent der Krone. Ich bin mir nicht sicher, ob es irgendetwas gibt, was er sagt, das man nicht auf die Goldwaage legen muss.«

      Darius ließ das nicht gelten und überging die Diskussion einfach. »Aber sie sind offenbar keine völlig hilflosen Gefangenen, wenn sie noch am Leben sind. Noch einmal weiter gedacht: An Bord des Kollapsars fand Vigil so etwas wie eingefrorene oder konservierte Lebewesen. Wir wissen nicht, welche Funktion sie erfüllten. Aber dass einfach nur Leichen transportiert wurden, das will ich bezweifeln. Also leben sie auf gewisse Weise, existieren zu einem genauen Zweck. Wenn das so ist, warum sollten dann jene, die den Hilferuf formuliert haben, nicht auch noch existieren, auf ähnliche Weise? Wenn es eine Hibernationstechnologie ist, dann spielt das biologische Alter nur eine untergeordnete Rolle.«

      »Gut«, sagte Plastikk. In dem einen Wort lag eine Menge Gefühl, vor allem ein tiefer Unglaube und die lauernde Überzeugung, dass der Prinz vielleicht doch nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. »Und nehmen wir an, das wäre so: wie nehmen wir mit diesen potenziell tiefgefrorenen Greisen aus der Vergangenheit Kontakt auf, ohne dass Dendh uns auf die Schliche kommt und dem gleichen Schicksal zuführt? Mindestens.«

      Darius nahm den Unterton des Schrotthändlers mit Gleichmut hin. Er war von seiner eigenen Idee überzeugt, das sah man ihm an. Vocis selbst, die schweigend zuhörte, war ein wenig hin- und hergerissen. Sie hatte in letzter Zeit viele fantastische Dinge gehört und gelernt. Da erschien ihr die Hypothese des Prinzen auch nicht absurder als alles andere.

      »Wenn wir nahe genug herankommen und ich recht habe und diese Leute bei Bewusstsein sind, dann gibt es eine Möglichkeit, wie Sie wissen, egal in welchem Aggregatzustand sie sich befinden.« Jetzt schaute Darius Plastikk bedeutungsvoll an. Mit dem Schrotthändler ging eine bemerkenswerte Veränderung vor sich. Er holte tief Luft, war mit einem Male etwas blass um die Nase.

      Vocis sah ihn an. Ein kühler Luftzug blies in ihren Nacken. Sie drehte sich irritiert um, doch die Gitter der Luftumwälzung waren weit weg. Vielleicht nur ein Gefühl, ausgelöst durch die emotionale Reaktion Plastikks, der offenbar nun an etwas erinnert wurde, was ihm sichtlich unangenehm war.

      »Es sind Leute von … damals«, sagte er mit einem Aufstöhnen. »Das habe ich ganz vergessen. Es kann sein … ach verdammt, ich bin mir sicher, dass sie die Kontrollkapsel im Kopf haben. Ich habe nicht mehr daran gedacht.« Er tastete sich an den eigenen Schädel. »Sie haben die Narbe gesehen, mein Prinz.«

      »Darius reicht. Ja, ich habe sie gesehen. Die Kapsel wurde bei Ihnen entfernt, als der Imperiale Gerichtshof damals seine Entscheidung fällte. Sie waren im letzten Jahrgang, die sie noch bekam, richtig?«

      »Ja«, bestätigte Plastikk heiser und rieb sich immer noch die gleiche Stelle unter seinem Haar. »Wurde nie benutzt, ich habe nichts gemerkt, aber … ja. Ich habe sie noch vor Ende meiner Dienstzeit herausoperiert bekommen. Und diese Leute … damals hatte es noch nicht einmal die Klage gegeben!«

      »Vielleicht kann mich jemand aufklären, worum es hier geht?«, fragte Sol, der etwas verwirrt wirkte und fragend von einem zum anderen schaute. Sein alter Freund Darius beeilte sich, die Verwirrung zu beseitigen. Doch ehe er das Wort erheben konnte, mischte Plastikk sich ein.

      »Eine Erklärung ist notwendig. Aber nicht ohne Vorbemerkung«, sagte der ältere Mann und schaute den Prinzen zwingend an. »Sie dauert nicht lange und lautet in etwa so: Das Imperium wird von Arschlöchern regiert. Arschlöcher, die meinen, mit jenen, die ihnen freiwillig dienen, die patriotisch denken und fühlen und ihr Leben riskieren, umgehen zu können wie mit irgendwelchen Sklaven, Kriminellen oder jenen, die es zu erobern gilt. Ich war einer von diesen Menschen.« Er sah Darius an. »Ein Patriot bin ich seitdem nicht mehr.«

      Der Prinz nickte. Er war offenbar nicht verärgert, ganz im Gegenteil. Ein Teil des Schmerzes, der in Plastikks Worten gelegen hatte, fand sich in seinem Gesicht widergespiegelt. Er seufzte, als würde ihn eine schwere Last niederdrücken, wartete noch, ob der Mann etwas hinzufügen wollte, doch alles schien von seiner Seite aus gesagt zu sein.

      »Das ist richtig«, erklärte Darius nun leise. »Es sind Dinge, Entscheidungen und Irrungen wie diese, die mich auf den Konfrontationskurs gegen meinen Vater geführt haben. Ich rechtfertige nichts von dem, was getan wurde, auch wenn ich damals noch ein Kind war und nicht einmal davon wusste. Ich entschuldige es nicht. Ich entschuldige aber auch mich nicht. Ich repräsentiere diese Art von Vorgehensweise nicht, das habe ich wohl unter Beweis gestellt.«

      Plastikk widersprach nicht, obgleich es ihm sichtlich schwerfiel. Darius wandte sich an Sol.

      »Für lange Zeit wurde Rekruten der Streitkräfte sowie Zivilpersonal im Militäreinsatz eine kleine Kapsel unter die Schädeldecke implantiert. Man erzählte den Betroffenen damals, es handele sich um eine medizinische Vorsichtsmaßnahme, die vor allem gegen Infarkte helfen würde, und tatsächlich haben die meisten Soldaten nie mehr etwas mit der Kapsel zu tun gehabt, weder im Bösen noch im Guten. Die meisten dürften sie irgendwann vergessen haben.« Er sah Plastikk an. »Wie war es bei Ihnen?«

      »Ich wurde daran erinnert, als das Verfahren vor dem Gerichtshof publik wurde.«

      »Plastikk benutzte das Wort ›Kontrollkapsel‹«, erinnerte sich Sol. »Ist es das, was ich mir darunter vorstelle?«

      »Nein, nicht ganz«, erwiderte Darius. »Es war nicht so, dass damit das Bewusstsein seiner Träger kontrolliert wurde oder sein Körper oder sonst etwas. Es war keine direkte Kontrolle, sondern vor allem ein Abhörgerät. Es wurde alles aufgezeichnet, was jeder im Dienst sagte und hörte – permanent. Ohne vorherige Einwilligung. Ohne Kenntnis. Befand sich die Person in der Nähe einer Flotteneinrichtung oder einer administrativen Einheit der Zivilverwaltung, wurde der Speicher runtergeladen und alle Informationen landeten beim Geheimdienst, wo KIs ihn permanent auswerteten. Ein absolut vollständige und umfassende Überwachung. Natürlich zum Schutz gegen Terroristen oder Korruption.«

      »Was geschah?«, wollte Sol wissen. Er machte große Augen. Natürlich hatte er, der nie in Diensten des Imperiums gestanden hatte, von der Geschichte nichts mitbekommen.

      »Es kam raus. Es ging vor Gericht. Die Rechtslage war klar. Es wurde verboten. Es wurden dann keine neuen Kapseln eingepflanzt und diejenigen, die noch da waren, mussten beseitigt werden. Es gab großzügige Entschädigungszahlungen, die den Aufruhr unter Kontrolle hielten. Ein paar Sündenböcke waren auch schnell gefunden und wurden wegbefördert oder in den vorzeitigen Ruhestand entlassen. Dann wuchs Gras über die Sache.« Darius nickte Plastikk zu. »Nur die Narben blieben – und mit ihnen die Erinnerung bei den Betroffenen.«

      »Wir fühlten uns alle plötzlich sehr …« Plastikk suchte für einen Moment nach dem richtigen Wort. »… nackt. Ja, das trifft es wohl am besten.«

      »Was hat das mit unserem Problem zu tun?«, fragte der immer noch irritierte Sol, bei dem man derzeit nicht mehr erreicht hatte, als seine wahrscheinlich ohnehin zynische Haltung zum Imperium noch zu bestärken.

      Vocis verstand ihn. Sie fühlte sich ebenfalls aufgewühlt. Sie hatte diesem Staat lange gedient, und keinesfalls unwillentlich. An diese Dinge erinnert zu werden … Unwillkürlich zitterte sie. Es war kalt auf der Aume, daran bestand kein Zweifel.

      »Wenn man in Reichweite ist, kann man die Kapselinhalte abrufen«, erinnerte ihn Darius. »Wir könnten also alles erfahren, was diese Leute mitbekommen haben – und das könnten exakt die Informationen sein, die wir brauchen. Es gibt sogar eine Möglichkeit, die Kapseln zu befragen, wenn ihre Träger längst tot sind. Glaube ich. Ich bin kein richtiger Experte, muss ich zugeben. Es gibt dabei nur ein kleines Problem – oder vielmehr zwei: Das eine ist die Distanz. Man muss auf unter

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