Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3. Dirk van den Boom

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niemand sagte etwas. Sie waren hier und unbehelligt, also waren sie im Recht, so hieß die einfache Logik. Allein schon der Gedanke, dass sich jemand einschleichen könnte, war absurd. Darüber hinaus waren alle mit dem drohenden Ende ihrer Zivilisation beschäftigt und eigentlich mit ihren Gedanken ganz woanders.

      Vigil kritisierte diese Haltung nicht, denn sie machte sein Vorhaben viel einfacher.

      Sie betraten einen Bürotrakt. Jede Institution bedurfte der Administration und natürlich bildete das Flottenhauptquartier hier keine Ausnahme. Wer meinte, dass man existieren könne, ohne verwaltet zu werden, lebte in einer absurden Traumwelt. Und das Imperium konnte, abgesehen vom Erobern fremder Zivilisationen und dem Aushecken intriganter Spielchen zur Selbstbeschäftigung, eines sehr gut: auf jede Schicht von Verordnungen und Gesetzen immer wieder eine neue zu legen, bis die unteren irgendwann sedimentierten und zum Rohstoff beständiger Revisionen wurden, die alles noch komplizierter und widersprüchlicher machten, ein ewiger Kreislauf, der, sollten die Kalten dies nicht vorwegnehmen, das Reich irgendwann in die Knie zwingen würde.

      »Was tun all diese Menschen?«, fragte Ildaya, als sie den großen Raum betraten, unterteilt in Würfel, durchzogen von rechtwinklig anliegenden Gängen. In jedem Würfel saß jemand. Es herrschte eine beinahe schon kontemplative Stille, nur bisweilen durchbrochen vom Gemurmel eines Administrators, dem Geräusch von Fingern auf Tastaturen, dem Quietschen eines Stuhls. Über allem lag, wie ein sanfter Klangteppich, das Säuseln der Luftumwälzung. Irgendwo vernahm man, sehr leise, eine Melodie, die jemanden bei der Arbeit motivierte, nur ein Hauch an Tönen, auf dass er jene nicht störe, die Stille benötigten. Oder Andacht. Dies war wie ein Tempel, sie alle hier Gläubige oder Priester, die Zeit und Energie einem Gott opferten, der aus Regeln und Gesetzen bestand, dessen Seelenlosigkeit durch die Investition ihres Geistes gestärkt wurde. Vigil wusste, warum er den Weg gewählt hatte, der ihn nun hierherführte: Die Regeln zu ignorieren, wo sie ihn störten, und selbst welche zu machen, wo er die Autorität dazu hatte, das war stets der größte Reiz seiner Arbeit gewesen.

      »Sie arbeiten«, erwiderte Vigil kurz angebunden. Er steuerte seine Schritte zielsicher durch die Gänge, bis er an einem ausgewählten Kubikel ankam. Blicke verfolgten ihn. Er war ein Fremdkörper in der permanenten Zeremonie der Selbstregulierung, die die Atmosphäre dieses Raums erfüllte, und obgleich niemand sein Recht infrage stellte, sich hier aufzuhalten, wirkte er für manche alleine schon durch seine Anwesenheit wie ein Sandkorn im Getriebe der administrativen Unausweichlichkeit. Vigil gefiel dieser Gedanke, er war gleichermaßen bescheiden, ja demütig, wie auch rebellisch.

      Die ältliche Frau hinter dem schmalen Schreibtisch sah auf, als sich Vigil schweigsam vor sie stellte. Sie hatte ein ebenso schmales Gesicht, schmale Hände, einen schmalen Körper, dürr beinahe, und trug, wie alle hier, eine monotone Bürokleidung, fast schon wie eine Uniform, obgleich nach Vigils Kenntnis hier gar kein strenger Dresscode galt. Die Gesichtshaut der Frau war kalkweiß und an den Schläfen sah man die Äderchen durchscheinen, als hätte jemand mit einem feinen Stift ein komplexes Flussdelta aufgezeichnet. Die Haare waren streng zusammengebunden, bildeten einen glatten, perfekt geformten Dutt am Hinterkopf, eine altmodische Frisur, die aber gut zu ihr passte.

      Sie zuckte zusammen, ihre Augen weiteten sich für einen Moment überrascht, dann wechselte der Ausdruck und verwandelte sich in Ergebenheit, eine umfassende, innere Kapitulation.

      Interessensausgleich hatte Vigil gesagt. Dafür war es an der Zeit.

      »Vigil«, hauchte sie. Es klang hoffnungslos und hoffnungsfroh gleichzeitig, eine seltsame Mischung. Es war eine kurze, kondensierte Kommunikation, Erwiderung auf seinen auffordernden Blick. Es bedurfte keiner langen Erklärungen, alles war schon längst gesagt worden, vor Jahren bereits.

      »Es ist dann jetzt so weit, Anna«, sagte Vigil leise, beinahe schon sanft.

      Anna nickte, wirkte gefasst, ein wenig niedergeschlagen dabei, wurde sie doch unvorhergesehen an Sünden erinnert und damit an Verpflichtungen, die sie mindestens zu verdrängen versucht hatte.

      »Jetzt gleich?«, fragte sie zögernd.

      »Wenn es dir nichts ausmacht.«

      Eine leere Formel. Er hatte es nicht so gemeint. Ihm war letztlich egal, ob es ihr etwas ausmachte.

      Anna erhob sich, schaute Ildaya nur beiläufig an. Das Zentrum ihres Universums war in diesem Moment Horton Vigil und alles, was er für sie bedeutete.

      »Hier entlang«, wisperte sie und ging voraus.

      Ihr Haar wehte lang und ungebunden den Hinterkopf hinab. Vigil starrte auf die Pracht, blinzelte kurz. Eben war da doch noch …

      Sie musste den Dutt mit einer schnellen Geste gelöst haben. Eine Bewegung, die ihm entgangen war. Er sah Ildaya an, doch diese schien weder verwirrt noch beunruhigt, sondern einfach nur entschlossen, die Sache jetzt zum Ende zu bringen.

      Vigil fühlte kurz die Versuchung, die Audh danach zu fragen, aber er beherrschte sich. Dies war nicht der Moment, sich lächerlich zu machen. Dafür gab es gewiss zu einem anderen Zeitpunkt eine gute Gelegenheit.

      Er eilte Anna hinterher.

      5

      Thasri saß so da, betrachtete die Welten der Vergangenheit und drohte in ihnen zu versinken.

      Jeder hatte so seine Art zu fliehen. Manche nahmen Drogen, andere schauten endlose Holovid-Serien. Sie kannte mal einen akademischen Kollegen, einen ausgewachsenen Professor, der zu Hause in Vitrinen eine Sammlung von Püppchen hatte, die er sehr schätzte und pflegte. Es gab dann auch jene, die sich nicht in Vergnügen, sondern in Arbeit stürzten, auch wenn diese keinerlei Sinn ergab. Tun als Ablenkung, Fokus als Schutz. Thasri war sich dieses Mechanismus durchaus bewusst. Sie hatte eine Menge zu vergessen, Dinge, die sie in der Vergangenheit getan hatte, gesehen, verantwortet und unterstützt. Da war eine Menge Scham, auch Reue und Selbsthass. Ein schweres Gepäck, das leichter geworden war, als sie ihr zweites Leben anfing, als Professorin, Wissenschaftlerin, mit einem Spezialgebiet, das so weit in die Vergangenheit reichte und so voller Rätsel war, dass sie es niemals durchdringen, sich aber gleichzeitig völlig darin verlieren konnte. Eine ferne Welt, real, aber vergangen und damit greifbar wie unerreichbar. Mit Detailfülle auf der einen, gigantischen Löchern der Unkenntnis auf der anderen Seite. Man konnte sich hineinbegeben ohne Angst vor Rache, Reue oder Bedauern. Es war alles bereits geschehen. Es ging nur noch darum, es zu betrachten.

      Und jetzt hatte sie diesen Datenspeicher der Kath. Ihr Abschiedsgeschenk. Ihre Freude darüber war groß gewesen, beinah euphorisch. Nun aber, da sie ihr Lesegerät aktiviert hatte und sich kurz – ja, kurz! – in die Materie zu vertiefen begann, da spürte sie, wie die Angst ihren Hals emporkroch. Nicht davor, was sie entdecken würde, sondern vor der Entdeckungsreise selbst. Dies war der Gral. Es war das Schönste, Wunderbarste, es war umfassend, es war detailreich, es war alles, wovon sie in ihrer Sucht nach Vergessen durch Erkenntnis geträumt hatte.

      Die ultimative Droge.

      Das machte ihr Angst.

      Dass sie sich verlor; dass sie eintauchte, aber nicht wieder hervorkam; dass die Sucht sie überwältigte; dass sie vergaß, wo und wann und wozu sie lebte und welchen Nutzen all das Wissen für ihre Umwelt hatte. Dass dies der Moment war, in dem sie jeden Bezug zur Realität verlor und auf immer in einem kontinuierlichen Orgasmus des Wissens ewige Glückseligkeit erfuhr.

      Ewige Glückseligkeit war sehr gefährlich. Man verlor seine Identität, wenn es einem immer nur gut ging. Wozu noch jemand sein, wenn man sein Ich gar nicht mehr benötigte, um die Konflikte des Lebens zu sortieren, mit ihnen umzugehen und Lösungen zu finden? Deswegen glaubte

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