Das Meer, die Liebe, der Mut aufzubrechen. Andrea Marcolongo

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Das Meer, die Liebe, der Mut aufzubrechen - Andrea Marcolongo Transfer Bibliothek

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Leser von Die Fahrt der Argonauten, dem Epos des Apollonios von Rhodos, gefragt, was genau dieser geheimnisvolle, goldene Widder sei, auf dem die Geschwister Helle und Phrixos von Griechenland nach Kolchis geflogen waren – Helle war bei diesem Flug ins Meer gestürzt, ihr zu Ehren wurde diese Meerenge von nun als Hellespont bezeichnet.

      Historiker, Philologen und Anthropologen vermuteten ein Bild für Kolonisierung, für Natur- oder Himmelsphänomene, religiöse Kulte oder Handelsbeziehungen.

      Lauter plausible Antworten.

      Lauter menschliche Antworten.

      In diesen zynischen Zeiten, in denen Angst und Hass so geschickt benutzt werden, dass sie unsere Fantasie und unsere Liebe zum Versiegen bringen, habe ich eine der fantastischsten Geschichten der griechischen Mythologie, die der Argonauten, ausgewählt.

      Heute, wo offenbar schon alles gesagt und gesehen wurde, ist die Fantasie ein zutiefst revolutionärer, wenn nicht gar politischer Akt. Und der Königsweg zur Fantasie ist ausschließlich die Liebe.

      Um den Regisseur Guillermo del Toro bei den Filmfestspielen Venedig 2017 zu zitieren: Unmöglich, dass sich die Beatles und Jesus in Bezug auf die Liebe geirrt haben.

      Und schon gar nicht die alten Griechen, füge ich hinzu.

      Seitdem ich in einem Schulbuch die Geschichte von Jason und Medea gelesen habe, wollte auch ich eines Tages herausfinden, was das Goldene Vlies bedeutet – was für ein merkwürdiges Wort, wer sagt heute noch Vlies anstelle von Fell?

      Natürlich habe ich es nicht herausgefunden.

      Ich bin mir jedoch sicher, dass das Goldene Vlies das unbekannte Ziel einer jeden Fahrt darstellt, angefangen bei der ersten, jener der Argonauten. Denn Jason findet im fernen Kolchis nicht nur ein magisches Fell, sondern etwas noch Geheimnisvolleres: die Liebe Medeas.

      Nur deshalb habe ich mich aufs Neue aufgemacht.

      Und dieses Buch geschrieben.

      Wieder einmal nur aus Liebe.

       Sei bereit

      B.A. Baker, der dritte Offizier des Frachters Prusa, rät: Das Wichtigste für einen Seenotretter ist, den Geist zu trainieren. Konzentrieren Sie sich darauf, nicht aus der Fassung zu geraten, und halten Sie daran fest. Sagen Sie niemals: „Ich habe keine Angst“, denn Sie werden Angst haben. Wenn das Schiff von einem Torpedo getroffen wird, verspüren Sie Panik in der Magengrube und die Knie werden weich. Dagegen gibt es nur ein Mittel: handeln.

      Kolchis war so weit entfernt, wie man zwischen dem Untergang und dem Aufgang der Sonne schauen kann, erzählt Apollonios von Rhodos gleich am Anfang seines Epos.

      Jason wusste weder, wo Kolchis lag, noch, wie er dorthin gelangen sollte, doch er wusste, warum er aufbrechen musste und wollte – ein Begehren treibt die Männer, mit dem Schiff über die Salzflut zu fahren.

      Seine Aufgabe bestand darin, das Goldene Vlies, das im Besitz des grausamen Aietes war, der über ein fernes Reich im Osten, das heutige Georgien, herrschte, nach Griechenland zurückzubringen.

      Jason war noch ein Junge und vor allem ein Sohn: Noch nie davor hatte er das Elternhaus verlassen.

      Sein Vater war der große Aison, der König der Stadt Iolkos in Thessalien in der Nähe des heutigen Volos: Hier lebte er glücklich, bis sein Onkel, der grausame Pelias, den Thron an sich riss.

      Kein Erwachsener hätte wohl Pelias’ Aufforderung Bring das Goldene Vlies zurück, dann lasse ich deinen Vater frei ernst genommen, nur ein Junge, der weder Lebenserfahrung besaß noch jemals Bekanntschaft mit dem Meer gemacht hatte, nahm sie ernst.

      Pelias sagte, Schauen wir mal, ob es dir gelingt, doch das war bloß eine List, um diesen Jungen loszuwerden, der fest entschlossen war, den Thron seines Vaters zurückzuerobern, ein Scherz, den keiner sonst aufgegriffen hätte.

      Alle sagten, es sei ein unmögliches Unterfangen.

      Niemand glaubte, dass Jason nach Thessalien zurückkehren würde: Zu viele Gefahren verbargen sich im Meer, zu viele unbekannte Völker befanden sich entlang des Weges, zu fremd und zu weit entfernt war Kolchis.

      Alle dachten, er wäre auf immer verloren, und beweinten ihn schon jetzt.

      Keiner hätte den Aufbruch gewagt.

      Allerdings hatte ihn auch noch nie jemand versucht.

      Das Schiff Argo war wunderschön, das vorzüglichste von allen Schiffen, welche auch immer es mit Ruderarbeit auf dem Meer versuchten, aber Athene hatte es nicht geschaffen, damit es im Hafen vor Anker lag.

      Das erste von Menschenhand, von einem Zimmermann namens Argos gebaute Schiff wartete schon zu lange.

      Die Göttin Hera würde über die Schifffahrt wachen, sie trieb der Mannschaft den Steuermann Tiphys zu, der tüchtig darin war, die Wirbel des Windes vorher zu bemerken und die Fahrt aus der Sonne und einem Stern vorauszusagen.

      Argo war gebaut worden, um ins Unbekannte aufzubrechen und dann nach Hause zurückzukehren.

      Sie wartete nur darauf, dass jemand bereit war, in See zu stechen.

      Argo wartete auf jemanden wie Jason.

      Aus Angst vor dem, was noch kein anderer vor ihm gewagt hatte, bat der Junge seine engsten Freunde um Hilfe. Und sie ließen ihn nicht im Stich.

      Aus ganz Griechenland kamen ihm fünfzig Männer zu Hilfe. Unter ihnen die beiden Dioskuren, Kastor und Pollux, die Boreas-Söhne Zetes und Kalais, mit schwarzen Flügeln an den Füßen, die mit goldenen Schuppen glänzten, der Dichter Orpheus, der Seher Mopsos, der für seine Kraft und seinen Mut berühmte Herakles.

      Auch Akastos, der Sohn des übelwollenden Pelias, beschloss, nicht im Haus seines Vaters zu bleiben.

      Viele Jahrhunderte später würdigte Pindar in der Vierten pythischen Ode ihren jugendlichen Mut mit rührenden Worten:

       Solchen all bewegenden Trieb zu dem Kiel

       Argo facht’ in den Heldenherzen

       Hera an, dass keiner der Männer daheim

       bei der Mutter blieb’, ein bequemes gefahrlos

      Leben fristend, sondern, und sei’s um den Tod,

       seines Heldenthumes Befriedigung aufsucht’

       unter Jugend-Kameraden. (303–309)

      Am Ufer zu bleiben, während das erste von Menschenhand gebaute Schiff in See stach, hätte bedeutet, auf immer und ewig ein Kind zu bleiben.

      Wenn sie darauf verzichtet hätten, sich zu beweisen, und sei es um den Preis von

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