Das Meer, die Liebe, der Mut aufzubrechen. Andrea Marcolongo

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wären nie erwachsen, sondern gleich alt geworden, ihre geschmeidigen Muskeln wären von der Wiederholung der ewig gleichen Schritte, der ewig gleichen Gesten schwach geworden.

      Alle diese jungen Männer waren entschlossen, die Kraft zu entdecken, die man braucht, um erwachsen zu werden. Aufgrund ihres Elans stachen sie schimmernd wie die Sterne aus den Wolken hervor. So beschreibt Apollonios von Rhodos die Schönheit, die der Mut zum Aufbruch verleiht.

      Manche wussten bereits aus dem Mund des Orakels, dass sie nicht nach Hause zurückkehren und auf der Irrfahrt über ferne Meere sterben würden. Doch sie entschieden sich trotzdem dafür, mitzufahren, anstatt auf immer kleine Kinder zu bleiben. Alle entschieden sich dafür, Helden zu sein.

      Keiner von ihnen war bereits ein Held, sie waren allenfalls Halbgötter, Söhne eines Gottes und einer Sterblichen.

      In der Antike gab es keinen unbestrittenen Heldenstatus, ἥρως (héros = Held) zu sein, war keine Gegebenheit: Tapferkeit, Kraft, Tugend, List mussten erworben und öffentlich unter Beweis gestellt werden. Die Herkunft, der gesellschaftliche Stand, die Vaterstadt, waren ohne Bedeutung: Man kam nicht als Held zur Welt.

      Man entschied sich vielmehr dafür, ein Held zu werden, indem man eine Reihe von Aufgaben bewältigte, deren höchstes Ziel darin bestand, anderen zu helfen – das Unbekannte bekannt zu machen, dafür zu sorgen, dass eine Überfahrt möglich wurde, weil sie schon jemand gewagt hatte.

      Das Heldenhafte bestand in der Erfahrung der Selbstüberwindung, nicht im Ergebnis.

      Scheitern zählte nicht: Held war nicht der, der den Sieg davontrug, sondern der, der es zumindest versucht hatte. Wir erinnern uns an die Tapferkeit Hektors und Achills vor den Mauern Trojas, nicht an ihre Niederlage. Der Ruhm, für den sie kämpften, hat sie über ihren Tod hinaus unsterblich, auf immer zu Helden gemacht.

      Held war, wer die Herausforderung annahm, sich an etwas zu messen, das größer war als er selbst, um auf immer groß zu sein.

      Fragwürdig, aber bestechend ist die Etymologie des Wortes heros, die Platon im Kratylos entwirft. Dem Philosophen zufolge ist derἔρως (eros) – die Liebe – die Kraft, die die Menschen dazu bringt, ἥρως (heros) – Held – zu werden. Die beiden schönen altgriechischen Worte unterscheiden sich nur aufgrund der Länge des Vokals.

      Vor seinem Aufbruch war Jason noch nie verliebt gewesen.

      Eine Menge Volk lief im Hafen zusammen, um die Schar der mutigen Männer zu bewundern, und die Frauen hoben die Hände zu den Unsterblichen im Himmel und beteten, sie möchten ihnen eine glückliche Heimkehr gewähren.

      Ihr Name wurde in jeder Straße der Stadt gerufen.

      Die jungen Männer, die bereit waren, in See zu stechen, wurden auf immer und ewig nach dem Namen des Schiffes bezeichnet, auf dem sie fuhren: Argonauten.

      Süß ist der Mut des Aufbruchs, sofern man weiß, warum man sich auf die Reise macht. Und Jason redete seiner alten Mutter, deren Herz von Unheil gefesselt war und die ihn heftig weinend hielt – so wie ein Mädchen klagt –, mit freundlichen Worten zu.

      Ihre Angst war so groß, dass sie gar nicht alle ihre Tränen weinen konnte.

      Dabei fürchtete seine Mutter Alkimedes nicht die Gefahren der Seefahrt. Sie fürchtete eine noch größere Gefahr: die Sehnsucht.

      Sie fürchtete, vor Sehnsucht nach dem geliebten fernen Sohn zu sterben, bevor er zurückkehrte – jede Mutter empfindet diese Angst, wenn ihr Sohn zum ersten Mal das Haus verlässt, und sei es auch nur für eine Nacht.

      Doch auch der Vater weinte.

      Jason tröstete die Eltern, doch er ließ sich nicht von ihrer Traurigkeit erpressen. Er ließ sich nicht umstimmen, sagte vielmehr zu seiner Mutter.

       Um meinetwillen! Belaste dich nicht, Mutter, so im Übermaß mit elenden Qualen! Denn du wirst mich nicht durch Tränen vom Unheil zurückhalten, sondern wirst sogar noch zu Schmerzen Schmerz erwerben. Unsichtbar verhängnisvolle Leiden teilen nämlich die Götter den Sterblichen zu; einen Teil davon – magst du auch beklommen sein – im Gemüt zu ertragen, gewinne dennoch über dich!

      So trennte er sich zum ersten Mal von der Familie, bereit, aufzubrechen, um sie zu retten – und um all jene Lügen zu strafen, die sagten, er würde es nie schaffen.

      Er würde beweisen, dass sie sich irrten, dass keine Reise ins Ungewisse unmöglich ist, solange man das Ziel kennt.

      Und er wusste, wohin er die Argo führen musste: ins ferne Kolchis, auf der Suche nach dem Goldenen Vlies, dem magischen Widderfell, von dem alle schon gehört hatten, das aber noch keiner gesehen hatte.

      Noch kannte er die Route nicht, die er nehmen musste, doch das war egal.

      Das andere, was für ein Schiff zugerüstet werden muss, liegt ja alles wohl geordnet bereit für uns, die wir uns nun aufmachen. Also wollen wir darob die Schifffahrt nicht lange aufschieben.

      Und Jason machte sich als Erster ans Werk, befestigte die Segel am Mast, umgürtete das Schiff mit einem Tau und legte dieses auf einen Felsen von Iolkos, der längst blank gespült war.

      Die Freunde taten es ihm gleich.

      Und abwechselnd […] stemmten [sie] zugleich Brust und Hände dagegen. Und hinein schritt also Tiphys, damit er die jungen Männer antreibe, im richtigen Moment zu ziehen.

      Die Argo war bereit und mit ihr die Argonauten.

      Und zum ersten Mal in der Geschichte des Menschen sollte ein Schiff ins Meer gleiten.

       Zeit auszulaufen

      Wenn alles wie am Schnürchen klappt, wenn alles bereit ist und die Fracht auf dem Rettungsboot gut verteilt ist, gibt es keinen Grund mehr, einen Rettungsring zu tragen. Werfen Sie ihn auf den Boden des Bootes und vergessen Sie ihn.

      Laufen Sie aus.

      Und sofort trieb er die Gefährten an, das Schiff zu besteigen. Es war Zeit auszulaufen.

      Gewaltige Schreie erhoben sich im Hafen, und auch die Argo jubelte: Denn in sie war ein göttlicher sprechender Stamm aus der Dodonischen Eiche eingefügt, den Athene in der Mitte des Vorderstevens eingepasst hatte, um den jungen Männern die Einsamkeit der Schifffahrt erträglicher zu machen.

      Die Argonauten nahmen ihren Platz an den Rudern ein. In der Mitte saß der mächtige Herakles, neben sich hatte er seine Keule gelegt. Und unter seinem Gewicht tauchte der Rumpf des Schiffes etwas tiefer ein.

      Der Stapellauf eines Schiffes ist ein einzigartiger Augenblick: Sobald das Schiff zum ersten Mal das Salzwasser berührt, die Anker gelichtet sind, hat es seine Jungfräulichkeit verloren und wird auf immer zur See fahren.

      Veränderungen müssen gebührend gefeiert werden, alles

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