Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac Gesammelte Werke bei Null Papier

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das sie ge­fun­den hat­te, als sie ihn durch­such­te, wäh­rend er sprach. Er hat­te also für einen mensch­li­chen Ge­dan­ken die­sen Grad von Ver­stand ge­hal­ten, den die List des Af­fen vor­aus­setzt. Phil­ipp ver­lor die Be­sin­nung. Herr Fan­jat fand die Grä­fin auf dem Kör­per des Obers­ten sit­zend. Sie biß zum Zei­chen ih­res Ver­gnü­gens in ih­ren Zu­cker mit ei­ner Schön­tue­rei, die man be­wun­dert hät­te, wenn sie, im Be­sitz ih­rer Ver­nunft, zum Spaß ih­ren Pa­pa­gei oder ihre Kat­ze hät­te nach­ah­men wol­len.

      »Ach, mein Freund!« rief Phil­ipp aus, als er wie­der zur Be­sin­nung kam, »ich st­er­be alle Tage, alle Au­gen­bli­cke! Ich lie­be sie zu sehr! Al­les wür­de ich er­tra­gen ha­ben, wenn sie in ih­rem Irr­sinn ein klein we­nig von weib­li­chem Cha­rak­ter bei­be­hal­ten hät­te. Aber sie im­mer wie eine Wil­de se­hen und selbst scham­los, sie se­hen …«

      »Sie wol­len also einen Oper­nirr­sinn ha­ben«, sag­te bit­ter der Dok­tor, »und die Hin­ge­bung Ih­rer Lie­be ist Vor­ur­tei­len un­ter­wor­fen? Wie, mein Herr, ich habe mich des trü­ben Glücks be­raubt, mei­ne Nich­te zu er­näh­ren, ich habe Ih­nen das Ver­gnü­gen über­las­sen, mit ihr zu spie­len, und mir nur die drückends­ten Las­ten vor­be­hal­ten … Wäh­rend Sie schla­fen, wa­che ich über sie, ich … Nein, mein Herr, über­las­sen Sie sie mir wie­der. Ver­las­sen Sie die­se trau­ri­ge Ein­sie­de­lei. Ich kann mit die­sem teu­ren klei­nen We­sen le­ben; ich ver­ste­he ih­ren Irr­sinn, ich spä­he ihre Ges­ten aus, ich ken­ne ihre Ge­heim­nis­se. Ei­nes Ta­ges wer­den Sie mir da­für dan­ken.«

      Der Oberst ver­ließ Bons-Hom­mes, um nur noch ein­mal dort­hin zu­rück­zu­keh­ren. Der Dok­tor war be­trof­fen von der Wir­kung, die er bei sei­nem Gast her­vor­ge­ru­fen hat­te; er be­gann ihn glei­cher­ma­ßen zu lie­ben wie sei­ne Nich­te. Wenn von den bei­den Lie­ben­den der eine des Mit­leids wert war, so war es si­cher Phil­ipp: trug er nicht für sich selbst al­lein die Last ei­nes schreck­li­chen Schmer­zes? Der Arzt zog Er­kun­di­gun­gen über den Oberst ein und er­fuhr, daß der Un­glück­li­che sich auf ein Gut ge­flüch­tet hat­te, das er in der Nähe von Saint-Ger­main be­saß. Der Baron hat­te, un­ter der Ein­ge­bung ei­nes Traums, einen Plan ge­faßt, um der Grä­fin den Ver­stand wie­der­zu­ge­ben. Ohne Wis­sen des Dok­tors ver­wand­te er den Rest des Herbs­tes auf die Vor­be­rei­tun­gen zu die­sem ge­wal­ti­gen Un­ter­neh­men. Ein Flüß­chen lief durch sei­nen Park, wo es im Win­ter einen großen Sumpf über­schwemm­te, der fast demje­ni­gen glich, der sich längs des rech­ten Ufers der Be­re­si­na aus­brei­te­te. Das Dorf Sa­tout, das auf ei­nem klei­nen Hü­gel lag, rahm­te die­se Sze­ne des Schre­ckens ein, wie Stud­zi­an­ka die Nie­de­rung der Be­re­si­na um­schloß. Der Oberst nahm eine An­zahl Ar­bei­ter an und ließ einen Kanal zie­hen, der den rei­ßen­den Fluß dar­stell­te, wo die Schät­ze Frank­reichs un­ter­ge­gan­gen wa­ren, Na­po­le­on und sei­ne Ar­mee. Mit Hil­fe sei­ner Erin­ne­rung ge­lang es Phil­ipp, in sei­nem Park das Ufer nach­zu­bil­den, wo der Ge­ne­ral Eblé sei­ne Brücken er­rich­tet hat­te. Er pflanz­te Bü­sche und ließ sie an­zün­den, um da­durch die ge­schwärz­ten und halb ver­brauch­ten Bret­ter dar­zu­stel­len, die auf bei­den Sei­ten des Ufers den Nach­züg­lern be­zeugt hat­ten, daß der Weg nach Frank­reich ih­nen ver­sperrt war. Der Oberst ließ Holz­trüm­mer her­bei­schlep­pen, ähn­lich de­nen, de­ren sich sei­ne Un­glücks­ge­fähr­ten be­dient hat­ten, um ihr Fahr­zeug zu kon­stru­ie­ren. Er ver­wüs­te­te sei­nen Park, um die Il­lu­si­on voll­kom­men zu ma­chen, auf die er sei­ne letz­te Hoff­nung bau­te. Er be­schaff­te zer­lump­te Uni­for­men und Klei­der, um meh­re­re hun­dert Bau­ern dar­ein zu klei­den. Er er­rich­te­te Hüt­ten, Bi­waks, Bat­te­rie­stän­de, die er in Brand setz­te. Kurz er ver­gaß nichts von al­le­dem, was ge­eig­net war, die schreck­lichs­te al­ler Sze­nen nach­zu­bil­den, und er er­reich­te sein Ziel. Um die ers­ten Tage des Mo­nats De­zem­ber, als der Schnee die Erde mit ei­nem di­cken wei­ßen Man­tel be­deckt hat­te, er­kann­te er die Be­re­si­na wie­der. Die­ses falsche Ruß­land war von ei­ner so er­schre­cken­den Wirk­lich­keit, daß auch meh­re­re sei­ner Waf­fen­ge­fähr­ten die Sze­ne ih­rer ehe­ma­li­gen Lei­den wie­der­er­kann­ten. Herr von Sucy hü­te­te das Ge­heim­nis die­ser tra­gi­schen Dar­stel­lung, über die zu je­ner Zeit sich meh­re­re Pa­ri­ser Ge­sell­schafts­krei­se wie über eine Narr­heit un­ter­hiel­ten.

      Zu Be­ginn des Mo­nats Ja­nu­ar 1820 be­stieg der Oberst einen Wa­gen, ähn­lich dem, der Herr und Frau von Van­dières von Mos­kau nach Stud­zi­an­ka ge­führt hat­te, und wand­te sich nach dem Wal­de von Ile-Adam. Der Wa­gen wur­de von Pfer­den ge­zo­gen, die fast de­nen gli­chen, die er bei Ge­fahr sei­nes Le­bens aus den Rei­hen der Rus­sen ge­holt hat­te. Er trug die be­schmutz­ten und bi­zar­ren Klei­der, die Waf­fen, die Kopf­be­de­ckung, die er am 29. No­vem­ber 1812 an­hat­te. Er hat­te so­gar Bart und Haa­re lang wach­sen las­sen und sein Ge­sicht ver­nach­läs­sigt, da­mit nichts an die­ser scheuß­li­chen Wirk­lich­keit fehl­te.

      »Ich habe Ihr Kom­men ge­ahnt,« rief Herr Fan­jat, als er den Oberst aus dem Wa­gen stei­gen sah. »Wenn Sie wün­schen, daß Ihr Pro­jekt glückt, dann zei­gen Sie sich nicht in die­sem Auf­zug. Heu­te Abend wer­de ich mei­ne Nich­te et­was Opi­um neh­men las­sen. Wäh­rend sie schläft, wer­den wir sie wie bei Stud­zi­an­ka an­zie­hen und wer­den sie in die­sen Wa­gen set­zen. Ich fol­ge Ih­nen in ei­nem Rei­se­wa­gen.«

      Etwa um zwei Uhr mor­gens wur­de die jun­ge Grä­fin in den Wa­gen ge­tra­gen, auf Kis­sen ge­bet­tet und in eine gro­be De­cke ein­gehüllt. Ei­ni­ge Bau­ern hiel­ten Licht bei die­ser ein­zig­ar­ti­gen Ent­füh­rung. Plötz­lich er­scholl ein durch­drin­gen­der Schrei in der Stil­le der Nacht. Phil­ipp und der Arzt wand­ten sich um und er­blick­ten Ge­no­ve­fa, die halb­nackt aus der Kam­mer kam, in der sie schlief.

      »Adieu, adieu! Es ist zu Ende, adieu!« rief sie, hei­ße Trä­nen wei­nend.

      »Nun, was hast du denn, Ge­no­ve­fa?« sag­te Herr Fan­jat zu ihr.

      Ge­no­ve­fa schüt­tel­te den Kopf mit ei­ner Be­we­gung der Verzweif­lung, hob die Arme gen Him­mel, blick­te den Wa­gen an, stieß einen lan­gen Kla­ge­ton aus, gab sicht­li­che Zei­chen ei­nes tie­fen Schre­ckens und kehr­te schwei­gend ins Haus zu­rück.

      »Das ist ein gu­tes Vor­zei­chen«, rief der Oberst. »Die­ses Mäd­chen be­dau­ert, kei­ne Ge­fähr­tin mehr zu ha­ben. Sie sieht viel­leicht, daß Ste­pha­nie den Ver­stand wie­der­fin­den wird.

      »Gott wol­le es!« sag­te Herr Fan­jat, der von die­sem Zwi­schen­fall tief­be­wegt zu sein schi­en. Seit­dem er sich mit dem Irr­sinn be­schäf­tig­te, hat­te er mehr­fa­che Bei­spie­le pro­phe­ti­schen Geis­tes und der Gabe des zwei­ten Ge­sichts an­ge­trof­fen, von de­nen ei­ni­ge Pro­ben von Geis­tes­kran­ken ge­ge­ben wor­den sind, und die, nach den Er­zäh­lun­gen meh­re­rer Rei­sen­der, auch bei den wil­den Völ­kern zu fin­den sind.

      So wie es der Oberst be­rech­net hat­te, durch­quer­te Ste­pha­nie die ver­meint­li­che Nie­de­rung der Be­re­si­na etwa um 9 Uhr mor­gens; sie wur­de durch einen Böl­ler­schuß ge­weckt, der hun­dert Schritt von dem Ort ent­fernt ab­ge­feu­ert wur­de, wo die Sze­ne statt­fand. Das war das Si­gnal. Tau­send Bau­ern stie­ßen ein schreck­li­ches Ge­schrei aus, ähn­lich

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