Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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»Stephanie!« schrie der Oberst.
»Oh! das ist Philipp,« sagte die arme Gräfin.
Sie stürzte sich in die zitternden Arme, die der Oberst ihr entgegenstreckte, und die Umarmung der beiden Liebenden erschütterte die Zuschauer. Stephanie floß in Tränen. Plötzlich legte sich ihr Weinen, sie wurde leblos, als wenn der Blitz sie gerührt hätte, und hauchte mit schwacher Stimme: »Adieu, Philipp! Ich liebe dich, adieu!«
»Oh, sie ist tot!« rief der Oberst, indem er die Arme öffnete.
Der alte Arzt fing den leblosen Körper seiner Nichte auf, umarmte sie, wie es ein junger Mann getan hätte, trug sie fort und setzte sich mit ihr auf einen Holzhaufen. Er blickte die Gräfin an und legte ihr seine kraftlose und krampfhaft zuckende Hand aufs Herz. Das Herz schlug nicht mehr.
»So ist es also wahr?« sagte er, indem er abwechselnd den unbeweglichen Oberst und das Gesicht Stephanies betrachtete, über das der Tod eine strahlende Schönheit, eine flüchtige Glorie ausbreitete, das Pfand vielleicht einer glänzenden Zukunft.
»Ja, sie ist tot.
»Ach, dieses Lächeln!« rief Philipp, »sehen Sie nur dieses Lächeln! Ist es möglich?«
»Sie ist schon kalt«, erwiderte Herr Fanjat.
Herr von Sucy machte einige Schritte, um sich von diesem Schauspiel loßzureißen; aber er hielt an, pfiff das Lied, das die Irre kannte, und als er seine Geliebte nicht kommen sah, entfernte er sich mit schwankendem Schritt, wie ein Trunkener, immer pfeifend, aber ohne sich noch einmal umzusehen.
Der General Philipp von Sucy galt in der Gesellschaft als ein sehr liebenswürdiger und namentlich als ein sehr heiterer Mann. Vor einigen Tagen beglückwünschte ihn eine Dame wegen seiner guten Laune und der Beständigkeit seines Charakters.
»Ach, meine Gnädige,« sagte er, »ich bezahle meine Späße recht teuer, des Abends, wenn ich alleine bin!«
»Sind Sie denn jemals allein?«
»Nein,« antwortete er lächelnd.
Wenn ein kluger Beobachter der menschlichen Natur in diesem Augenblick den Ausdruck des Grafen von Sucy hätte beobachten können, würde er vielleicht geschaudert haben.
»Warum heiraten Sie nicht?« fuhr jene Dame fort, die selbst mehrere Töchter in einem Pensionat hatte. »Sie sind reich, Standesperson, von altem Adel; Sie haben Talente, Sie haben noch eine Zukunft, alles lächelt Ihnen zu.«
»Jawohl«, erwiderte er, »aber es ist ein Lächeln, das mich tötet.«
Am nächsten Tage erfuhr die Dame voll Erstaunen, daß Herr von Sucy sich während der Nacht eine Kugel vor den Kopf geschossen hatte. Die gute Gesellschaft unterhielt sich verschiedentlich über dieses außergewöhnliche Ereignis, und jeder suchte nach dem Grunde. Je nach dem Geschmack des Beurteilers wurden das Spiel, die Liebe, der Ehrgeiz, verborgene Ausschweifungen als Erklärung gegeben für diese Katastrophe, die letzte Szene eines Dramas, das im Jahre 1812 begonnen hatte. Zwei Menschen allein, ein Beamter und ein alter Arzt, wußten, daß der Graf von Sucy einer jener starken Menschen war, denen Gott die unglückselige Kraft verleiht, alle Tage siegreich aus einem furchtbaren Kampf hervorzugehen, den sie einem unbekannten Schrecken liefern. Und daß sie, wenn in einem Augenblick Gott ihnen seine mächtige Hand entzieht, unterliegen.
Cäsar auf dem Gipfel seines Ruhms
In den Winternächten hört der Lärm in der Rue Saint-Honoré nur für einen Augenblick auf; die Gemüsehändler, die in die Markthalle fahren, setzen das Geräusch der Wagen fort, die aus den Theatern oder von den Bällen nach Hause rollen. Gerade in dieser kurzen Ruhepause des Pariser Straßenlärms, die gegen ein Uhr morgens eintritt, fuhr die Frau des Parfümeriehändlers Cäsar Birotteau, der nahe am Vendômeplatz sein Geschäft hatte, jäh aus einem entsetzlichen Traum in die Höhe. Sie hatte sich doppelt gesehen, sie war sich selbst, in Lumpen gehüllt und mit vertrockneter runzliger Hand die Türklinke ihres eigenen Ladens öffnend, erschienen, so daß sie sich gleichzeitig auf ihrer Türschwelle und in ihrem Kontorsessel befand; sie bettelte sich selbst um ein Almosen an, sie hörte sich zugleich an der Tür und im Kontor sprechen. Sie wollte nach ihrem Mann greifen und faßte mit der Hand auf eine kalte Stelle. Da wurde ihre Angst so gewaltig, daß sie ihren steifgewordenen Hals nicht mehr bewegen konnte; die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie konnte keinen Ton herausbringen; die stieren Augen aufgerissen, das Haar schmerzhaft sich sträubend, die Ohren voll von fremdartigen Tönen, das Herz zusammengepreßt, aber heftig schlagend, so saß sie starr wie festgebannt da, zugleich in Schweiß gebadet und zu Eis erstarrt, mitten in dem Alkoven, dessen beide Türen offen standen.
Die Furcht ist ein halb krankhaftes Gefühl, das auf die menschliche Maschinerie so heftig einwirkt, daß ihre Eigenschaften plötzlich sich bis zum höchsten Grade der Möglichkeit steigern