Altes Zollhaus, Staatsgrenze West. Jochen Schimmang
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Als er einen Verlag gefunden hatte, in Zürich, war es Z.s Idee, dass ich meinen Namen als Verfasser hergeben sollte, weil er sich davon mehr Erfolg für das Buch versprach. Vielleicht hatte ihn auch der Verlag dazu gedrängt. Z. schien die Verkaufschancen des Romans nicht allzu hoch einzuschätzen, weil er dann doch keine Beteiligung, sondern einen gut dotierten Buyout-Vertrag wollte. Wie viel er bekommen hat, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall war sein Pauschalhonorar eher bescheiden, gemessen an dem, was sein Machwerk ihm an Autorenhonoraren eingebracht hätte und nun mir zugefallen ist. Immerhin hat er von dem schnellen Geld dann noch etwas gehabt, bevor er ein Jahr nach Erscheinen des Buches während eines Unwetters im Siebengebirge von einem Blitz erschlagen wurde.
Der Erfolg des Buches ist bekannt. Er hat niemanden mehr überrascht als mich, der ich angeblich sein Autor bin. Das erste Jahr nach dem Erscheinen war etwas anstrengend, weil ich ständig auf Buchpräsentationen anwesend sein und sogar vorlesen musste. Dabei habe ich mein Buch nie ganz gelesen, weil es mir einfach zu dick war. Das fiel jedoch nie auf, weil die Fragen auf diesen Veranstaltungen in der Regel weniger literarischer Art waren, sondern sich auf meine ehemalige Tätigkeit als Ministerberater bezogen. Und wenigstens den Sonja-Strang der Handlung kannte ich ja gut, weil ich ihn in den Grundzügen selbst erlebt und erlitten hatte. Ein paar Jahre nach meinem fünfzigsten Geburtstag aber konnte ich, wie es sich nur wirklich bedeutende Autoren erlauben können, erklären, dass ich keine Veranstaltungen und Lesungen mehr mache, und mich als Privatier niederlassen.
Aber ich sollte zunächst von dem Traum von heute Morgen erzählen. Meine Erinnerungen daran nach dem Aufwachen waren außergewöhnlich scharf – und hell. Hell, während meine sonstigen Traumerinnerungen eher trübgrau, bestenfalls milchig sind und sich auf wenige Bruchstücke beschränken, wie bei den meisten Menschen. Als ich meine Analyse machte, damals in Köln, versorgte ich meinen Analytiker nur spärlich mit Träumen, und um überhaupt brauchbares Material zu liefern, musste ich sie meistens kräftig mit Bildern und Verbindungsgliedern anreichern, die ich vermutlich gar nicht geträumt hatte. Er war ein sympathischer Mann, und ich wollte ihn nicht enttäuschen.
Heute Morgen nach dem Erwachen dagegen, es war kurz vor halb neun, waren alle Bilder sehr präsent, und ich fühlte mich merkwürdig erfrischt. Geträumt hatte ich anscheinend von Europa und Deutschland in den Grenzen von 1988. An den Grenzen, auch und gerade an der innerdeutschen, herrschte jedoch nicht jene dumpfe, depressive Stimmung der Bedrohung und der Angst, die ich damals noch gut kennengelernt habe. Die Übergänge – oder der Übergang, ich war in meinem Traum eindeutig am vertrauten Punkt Helmstedt/Marienborn und reiste als Transitler nach Westberlin – sahen noch ebenso aus wie früher, aber die Atmosphäre war viel entspannter. Es schien so etwas wie eine allgemeine Erleichterung auf allen Seiten zu herrschen. Wie damals gab es den Blick in den Pass, dann den Blick auf mich, den Blick in den Pass, dann auf mich, in den Pass, dann auf mich, dreimal, viermal oder öfter, bevor der Pass zurückgereicht und ich zur Weiterfahrt aufgefordert wurde. Aber das Ganze schien diesmal eher ein Spiel zu sein, und das Herz klopfte einem nicht im Halse wie früher. An Selbstschussanlagen mochte man hier nicht mehr denken.
Auch beim Transit selbst hatte sich einiges geändert. Die Straßen waren in einem wesentlich besseren Zustand, und an den Tankstellen gab es kein Minol, sondern westliche Markenbenzine. Der Rasthof Magdeburger Börde dagegen sah so aus wie damals, und es gab dort auch wieder einen Intershop. Auch die Volkspolizei, deren Wagen hier und da am Rand der Transitstrecke oder halb verborgen auf kleinen Parkplätzen standen, trug die bekannten Uniformen von damals. Es fehlte auch nicht an der bewussten Brücke die Aufschrift Plaste und Elaste aus Schkopau, stark verblasst. Die sozialistischen Parolen von früher sah man allerdings jetzt nicht mehr an der Strecke. Dafür las ich kurz vor dem Hermsdorfer Kreuz Wir sind das Volk!, aber dies war die einzige ernsthafte Drohung, der ich auf meiner Fahrt begegnete.
Die Erleichterung, die ich zu spüren meinte, schien daher zu rühren, dass man übereingekommen war, einander auf umgängliche Art in Ruhe zu lassen. Man wickelte den notwendigen Austausch ab, wesentlich freundlicher als früher, aber die eine Seite musste nicht irgendwelche Standards erreichen und sich anpassen, und die andere musste sich nicht mehr bemühen, zu verstehen, was in den Köpfen der Anderen vor sich ging. Ich hatte so wenig wie damals ein Bedürfnis, von der Strecke abzuweichen und mit irgendwelchen Bürgern des anderen Staates ins Gespräch zu kommen, obwohl das jetzt nicht mehr explizit verboten schien. Dieses ganze Gebiet machte nun eher den Eindruck eines Reservats als eines Staates, eines Reservats allerdings, dessen Bewohner es wie damals nur mit Genehmigung verlassen durften. Die Stadt Leipzig, das meinte ich einem Schild unterwegs entnehmen zu können, hatte darin einen halbautonomen Sonderstatus. Dass mein Traum keine Rückkehr in die Vergangenheit, keine leicht verschobene Reminiszenz war, merkte ich daran, dass ich selbst ganz deutlich kein junger Mensch mehr war, sondern mein jetziges Alter hatte, dass ich also auch während der Traumzeit der alte Spinner vom Zollhaus blieb, hier an der Staatsgrenze West.
Die alte Grenzstation Granderath, die ich heute bewohne, entdeckte ich sechs Jahre, nachdem Das Sonja-Komplott erschienen war. Gerade waren die ersten Folgen der Fernsehadaption gelaufen, die den selten dämlichen Titel Im Visier der Dienste trug. Ich kam aus Amsterdam zurück. Auf der deutschen Seite der Grenze benutzte ich nicht mehr die Autobahn, sondern fuhr hinter Emmerich den Niederrhein auf Bundesstraßen hinunter und bog dann südlich Kevelaer auf eine noch kleinere Straße ab. Dort fand ich einige Kilometer nordwestlich von Straelen das unmittelbar an der Grenze gelegene Örtchen Granderath, von dem ich nie zuvor gehört hatte, im Grunde nicht mehr als ein Straßendorf mit Ausfransungen in die ehemaligen Felder zu beiden Seiten. Am Ende der Hauptstraße stand tatsächlich ein altes Zollhaus, ein Klinkerbau, an dem die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, von deren Existenz ich in diesem Moment zum ersten Mal erfuhr, annoncierte, dieses Haus stehe zum Verkauf.
Ich will nicht die Unzahl der Telefonate und sonstigen Gespräche, die Notartermine und den umfangreichen Schriftwechsel mit der BImA hier anführen, der nötig wurde. Diese Anstalt, deren Sitz sich praktischerweise in Bonn befand, war gerade erst vor einem Vierteljahr gegründet worden, als Nachfolgerin der Bundesvermögensverwaltung, und musste sich selbst noch finden.
Dabei hätte alles schnell über die Bühne gehen können, weil ich beim geplanten Erwerb dieses Hauses keinerlei Konkurrenten hatte und der Preis lächerlich gering war. Aber es waren zunächst einmal innerhalb der Behörde die zuständigen Leute zu finden; es musste geklärt werden, ob ich an dem Haus nach meinem Gutdünken Um- und vielleicht sogar Anbauten ausführen lassen konnte, und plötzlich schien es, obwohl man mir das nie im Klartext sagte, ein Problem zu sein, dass ich vor anderthalb Jahrzehnten das Opfer einer Inoffiziellen