Die Revolution der Städte. Henri Lefebvre

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Die Revolution der Städte - Henri Lefebvre eva taschenbuch

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Urbanisierung (von der »reinen Natur«, der den »Elementen« ausgelieferten Erde) bis zur gänzlichen Vollendung des Prozesses gehen soll. Diese Achse, die die Wirklichkeit des städtischen Geschehens symbolisiert, verläuft sowohl im Raum als auch in der Zeit: im Raum, weil der Prozeß sich räumlich ausdehnt und den Raum verändert – in der Zeit, weil er sich in der Zeit entwickelt, ein zunächst nebensächlicher, dann aber dominierender Aspekt der Praxis und der Geschichte. Das Schema zeigt nur einen Aspekt der Geschichte: die Zeit wird bis zu einem bestimmten, abstrakten, willkürlich gesetzten Punkt zerschnitten, womit eine von vielen anderen Operationen vorgenommen wird (Einteilung in Zeitabschnitte), die im Vergleich zu anderen Einteilungen nicht privilegiert, wohl aber von gleicher (relativer) Notwendigkeit ist.

      Wir wollen einige Marksteine an den bis zur Verstädterung zurückgelegten Weg setzen. Was ist zu Beginn vorhanden? Populationen, die in den Bereich der Ethnologie, der Anthropologie fallen. Um diese Anfangsnull herum markierten und benannten die ersten Menschenhorden (Sammler, Fischer, Jäger, vielleicht Hirten) den Raum; sie erforschten ihn, indem sie Zeichen setzten. Sie erfanden Flurnamen, gaben die ersten Landmarken an. Der dem Boden verhaftete Bauer schuf in der Folge die Topologie und eine Raumaufteilung, die wohl vollkommen und genau war, den Raum aber nicht von Grund auf veränderte. Wichtig ist dabei, daß fast überall auf der Welt und wohl überall da, wo der Mensch ins Licht der Geschichte tritt, die Stadt dem Dorf auf dem Fuße folgte.

      Die Ansicht, aus der Urbarmachung des Landes, aus dem Dorf und der dörflichen Kultur sei allmählich ein städtisches Dasein erwachsen, ist ideologisch gefärbt. Das Geschehen in Europa nach dem Zerfall des Römischen Reiches und der Wiedergeburt der Städte im Mittelalter wird als allgemeingültig hingestellt. Jedoch läßt sich das Gegenteil unschwer beweisen. Der Übergang vom Wildbeutertum zum Ackerbau vollzog sich erst unter dem (autoritären) Druck städtischer Zentren, die im allgemeinen von geschickten Eroberern bewohnt wurden, die Beschützer, Ausbeuter und Unterdrücker, das heißt Verwalter, Gründer von Staaten oder staatsähnlichen Gebilden geworden waren. Mit oder kurz nach Entstehen eines organisierten gesellschaftlichen Lebens, von Ackerbau und Dorf, tritt die politische Stadt auf.

      So nehmen wir also das Risiko auf uns, die politische Stadt auf der Raum-Zeit-Achse in etwa an den Anfang zu setzen. Wer bevölkerte nun diese politische Stadt? Priester und Krieger, Fürsten, »Adelige«, Kriegsherren. Aber auch Administratoren, Schreiber. Ohne Schreibkunst – Dokumente, Befehle, Listen, Steuereintreibungen – ist die politische Stadt nicht vorstellbar. Sie ist ganz und gar Ordnung, Erlaß, Macht. Allerdings gehören Handel und Gewerbe dazu, wenn auch vielleicht nur, weil man sich mit beider Hilfe die zum Kriegführen und zur Erhaltung der Macht erforderlichen Rohstoffe (Metalle, Leder usw.) beschaffen, sie verarbeiten und instand halten konnte. Infolgedessen gibt es in ihr, wenngleich in untergeordneter Stellung, Handwerker und sogar Arbeiter. Die politische Stadt verwaltet ein oftmals weitläufiges Gebiet, schützt es und beutet es aus. Sie leitet die großen Aufgaben der Landwirtschaft: Trockenlegung, Bewässerung, Eindämmung, Urbarmachung usw. Sie herrscht über eine gewisse Anzahl von Dörfern. Das Land ist in erster Linie Eigentum des Herrschers, der Symbol für Ordnung und Tatkraft ist. Tatsächlich aber bleibt das Land im Besitz der Bauern und der Tribut zahlenden Gemeinwesen.

      Tauschgeschäft und Handel, die niemals fehlen, gewinnen an Bedeutung. Ursprünglich mochten sie von suspekten Leuten, den »Fremden«, wahrgenommen worden sein, aber bald werden sie auf Grund ihrer Funktion wichtig, Örtlichkeiten, die für Tausch und Handel bestimmt sind, tragen zunächst die Zeichen der Heterotopie. Gleich den dort lebenden und Handel treibenden Menschen sind auch sie ursprünglich von der politischen Stadt ausgeschlossen: Karawansereien, Märkte, Vororte usw. Der Prozeß der Integration von Markt und Ware (Menschen und Dingen) in die Stadt besteht über Jahrhunderte fort. Handel und Verkehr, unerläßlich sowohl zum Überleben als auch zum Leben, bringen Wohlstand und Bewegung. Die politische Stadt widersetzt sich dem mit ihrer gesamten Macht, ihrem ganzen Zusammenhalt; sie empfindet, sie erkennt die Bedrohung durch den Markt, die Ware, den Händler, durch deren Form des Eigentums (das bewegliche Eigentum, das Geld). Es gibt unzählige Fakten, die das beweisen: die Existenz der Handelsstadt Piräus, unweit des Stadtstaates Athen, ebenso wie die wiederholten vergeblichen Verordnungen, die das Feilhalten von Waren auf der Agora, dem freien Platz, dem Platz für politische Versammlungen, untersagten. Wenn Christus die Händler aus dem Tempel vertreibt, so treffen wir auf das gleiche Verbot, den gleichen Sinngehalt. In China, in Japan gehört der Händler lange Zeit einer niederen Bürgerschicht an, die in ein »besonderes« Viertel verwiesen wurde (Heterotopie). Im Grunde gelingt es der Ware, dem Markt und dem Händler erst im europäischen Abendland, gegen Ende des Mittelalters, siegreich in die Stadt einzudringen. Man könnte sich vorstellen, daß der halb kriegerische, halb plündernde Hausierer sich bewußt der befestigten Reste einstiger (römischer) Städte bemächtigte, um die Grundherren zu bekämpfen. Bei dieser Hypothese würde die erneuerte politische Stadt den Rahmen für eine Aktion abgegeben haben, die sie selbst umformen sollte. Im Verlauf dieses (Klassen-)Kampfes gegen die Grundherren, die das Land besaßen und beherrschten, eines Kampfes also, der im Abendland unerhört fruchtbar war und eine Geschichte, wenn nicht die Geschichte überhaupt, schuf, wird der Markt zum Mittelpunkt. Er tritt an die Stelle des Versammlungsortes (der Agora, des Forums), ersetzt ihn. Um den Markt, der zum wesentlichen Teil geworden ist, gruppieren sich Kirche und Rathaus (das von einer Kaufmannsoligarchie besetzt ist) mit Bergfried oder Kampanile, den Symbolen der Freiheit. Man beachte, daß die Architektur sich den neuen Stadtbegriff zu eigen macht und ihn übersetzt. Das Stadtgelände wird zum Begegnungsort von Dingen und Menschen, zum Umtauschplatz. Es schmückt sich mit den Zeichen der errungenen Freiheit, anscheinend mit der Freiheit schlechthin. Ein großartiger und lächerlicher Kampf. In diesem Sinn ist die Untersuchung der »bastides« (befestigte mittelalterliche Städte, die auf Befehl der französischen Könige gegründet wurden) im Südwesten Frankreichs von Interesse. In diesen ersten Städten, die um den Marktplatz erbaut wurden, mag man ein Symbol erblicken. Ironie der Geschichte. Sobald die Herrschaft der Ware mit ihrer Logik, ihrer Ideologie, ihrer Sprache und ihren Menschen, anhebt, wird die Ware zum Fetisch. Im 14. Jahrhundert glaubt man, es genüge, nur einen Markt zu gründen, Läden und Bogengänge um einen zentral gelegenen Platz zu erbauen, und Händler und Käufer würden herbeiströmen. So gründet man (Grundherren und Bürger) Handelsstädte in nahezu wüsten Gebieten ohne Ackerbau, wo noch wandernde Halbnomaden ihre Herden treiben. Die Städte im Südwesten Frankreichs tragen zwar klingende Namen, aber sie sind Fehlgründungen. Wie dem auch sei, auf die politische Stadt folgt die Handelsstadt. Um diese Zeit (im Abendland etwa im 14. Jahrhundert) wird der Handel zu einer städtischen Funktion; auf Grund der Funktion entsteht eine Form (oder entstehen Formen: baulicher und/oder städtebaulicher Art). Somit erhält die Stadtanlage eine neue Struktur. Die Umwandlungen von Paris bieten ein deutliches Bild der vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen den drei Aspekten und den drei Hauptkonzepten: Funktion, Form, Struktur. Flecken und Vorstädte, die anfänglich Handelsplätze und handwerkliche Gemeinwesen waren: Beaubourg, Saint-Antoine, Saint-Honoré, werden zu Mittelpunkten, die der im eigentlichen Sinn politischen Gewalt (den Institutionen) Einfluß, Ansehen und Raum streitig machen, sie zu Kompromissen zwingen und mit ihr gemeinsam eine machtvolle Stadteinheit schaffen.

      Zu einem bestimmten Zeitpunkt tritt im europäischen Abendland ein »Ereignis« ein, das bei aller ungeheuren Tragweite dennoch verborgen und nahezu unbemerkt bleibt. Innerhalb der gesamten sozialen Ordnung gewinnt die Stadt dermaßen an Gewicht, daß eben diese Ordnung aus den Fugen gerät. Immer noch maß man bei der Stadt-Land-Beziehung letzterem die größere Bedeutung zu: dem Land mit seinem Reichtum an Grundbesitz, den Bodenerzeugnissen, den bodenständigen Menschen (Lehensleute

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