Oval. Elvia Wilk

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Oval - Elvia Wilk

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ihren nützlichen Einrichtungen und innovativen Apparaturen prahlte, war sie doch bei weitem der schönste Raum im Haus. Durch die Reihe Fenster an den beiden Wänden, die nach Osten zeigten, drang genügend Helligkeit, sodass sie die meiste Zeit des Tages auf künstliche Beleuchtung verzichten konnten, und die Arbeitsflächen aus recyceltem Plastik-plus-irgendeinem-anderen-Stoff reflektierten erfolgreich die Sonnenstrahlen bei minimaler Grelle und maximaler Erhellung, wie es die Designer vorgesehen hatten.

      »Lassen sie dich nicht noch ein paar Tage freinehmen?« Anja schenkte Louis Smoothie nach. Er war nochmals eingeschlafen, nachdem er geduscht hatte, und in einer anderen Zeitzone erwacht, distanziert und unbeteiligt. Jet-Lag – wenn die Seele nicht mitkommt.

      »Doch, natürlich. Sie sagen ständig, ich soll noch eine Woche freinehmen, aber was sonst sollte ich mit meiner Zeit anstellen?«

      »Ich weiß nicht. Schlafen? Das, was passiert ist, verarbeiten? Eine Auszeit nehmen?«

      »Ich brauche Ablenkung. Und da ist gerade viel los. Ein großes Projekt steht an.«

      »Bist du sicher?« Sie streckte die Hand aus und drückte seinen Nacken.

      »Im Ernst, mir geht’s gut.« Er nahm die Hand. »Alles, was ich brauche, ist Small Talk, Organisatorisches, einfache Arbeiten.«

      Sie lächelte. »Ein typischer Tag in der Kreativindustrie.«

      »Ein einzigartiges Privileg. Die Maloche der Elite.«

      Sie stellte den Mixer in die Spüle und drehte das Wasser auf, um ihn auszuspülen. Das Wasser kam in unregelmäßigen Schüben aus dem Hahn.

      »Hast du schon mal richtig gearbeitet, mit deinen Händen?«

      »Klar.« Er fuhr mit dem Finger über den Rand seines Glases und leckte ihn ab. »Ich habe einen Sommer lang in San Francisco auf einer Baustelle gearbeitet. Während der Uni.«

      »Hast du manchmal Lust, das wieder zu machen?«

      »Ständig. Ich könnte meinen idealistischen Job kündigen und mich um das Nachhaltigkeitsfiasko kümmern, in dem wir hier leben. Was Praktisches machen. Hausmann und Umweltschützer werden.«

      »Und ich müsste die Kohle ranschaffen? Aber ich verdiene nicht genug.«

      »Dann müsstest du eben deinen Treuhand-Fun anzapfen.«

      Sie schlug auf den Hahn, für den Fall, dass er verstopft war. War er nicht. Der Wasserstrahl verebbte zu einem Tröpfeln. »Von wegen Fun. Merkst du, dass Leute wie du das immer ansprechen?«

      Sie sah ihn über die Kücheninsel hinweg an. Das vertraute Geplänkel schien ihn zu beruhigen. Im Laufe der Zeit war sie zu einer Expertin geworden in diesem Spiel aus endlosen Kontern und Gegenkontern und Wortspielen, eine typisch amerikanische, spiralförmige Art der Gesprächsführung, in der das Vergnügen rein semantischer Natur und die Bedeutung einer Aussage stets ihrer Formulierung untergeordnet war.

      Louis tat eine regelmäßige Dosis Geplänkel gut, und im Verlauf ihrer Beziehung, während sie das Spiel zu spielen lernte, hatte sie unerwarteter Weise festgestellt, dass es ihr auch guttat. Zunächst hatte sie es noch, typisch europäisch, für oberflächlichen Small Talk gehalten, aber im Laufe der Zeit hatte sie sich überzeugen lassen, dass das Geplänkel nicht nur harmlos war, sondern auch eine wichtige Art von Meta-Inhalt darstellte. Diese Plaudereien machten die emotionale Bindung zwischen ihnen nicht zunichte, sie verstärkten sie noch. Ihr Englisch hatte während dieses Prozesses seinen Feinschliff erhalten.

      Er stand auf und legte seine Hand an ihr Gesicht, sodass sie die Wange in ihr ruhen lassen konnte. »Wenigstens weißt du, dass ich dich nicht nur deines Geldes wegen liebe, du gibst es ja nicht einmal aus.«

      Sie verdrehte die Augen. Dieser alte Scherz hatte etliche Stadien durchlaufen: Provokation > ein wenig beleidigend, aber lustig > tatsächlich beleidigend, weil übermäßig strapaziert > zulässig > liebenswertes Relikt der gemeinsamen Vergangenheit. War der Rückgriff auf alte Insiderwitze eine gute Sache?

      »Howard hat mich gebeten, heute Morgen direkt zu ihm zu kommen, anstatt zur Arbeit zu fahren«, sagte sie.

      »Schräg. Glaubst du, ich sollte dich begleiten? Geht es um das Haus?«

      »Ich glaube, es ist in Ordnung. Wahrscheinlich will er nur, dass ich eeeendlich aufhöre, mich ständig zu beschweren«, sagte sie, einen übertriebenen britischen Akzent anschlagend.

      Vergnügt verließ Louis an diesem Morgen das Haus und ließ Anja zurück, die, über ihren halb ausgetrunkenen Smoothie gebeugt, auf den Boden des Glases herabgesunkene Avocadobrocken beäugte, ihr war übel. Sie ermahnte sich, nicht ständig über sein Verhalten nachzudenken. Doch er wirkte so unvorstellbar normal, dass dies nur eine Abnormalität darstellen konnte. An ihm war heute nicht die leiseste Spur von Trauer zu bemerken. Das fahle Gesicht von gestern war verschwunden, stattdessen sah er leicht verquollen aus, rotbackig und frisch. Das war unerhört, fast schon verletzend. All die schlaflosen Nächte, in denen sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte, aus Loyalität zu ihm deprimiert gewesen war, sich im Bett gewälzt hatte. Immer wieder hatte sie ihre eigenen Eltern angerufen, um sicherzugehen, dass sie noch am Leben waren. Es war offensichtlich, dass Anja dabei war, sich etwas anzueignen, und das musste aufhören.

      Scheiß auf trauermantra.com und beistandsgruppe.de, dachte sie dann – es gab sehr wohl einen falschen Umgang mit Gefühlen. Angenommen, es handelte sich bei Louis’ Verhalten nur um Getue, war es dann nicht ein sehr schlechtes Zeichen, dass er so tat, als wäre alles ganz normal? Sollte sie sich auf kranke Scheiße in der nahen Zukunft gefasst machen? Oder konnte er tatsächlich genau so sein wie vorher, wie es den Anschein machte? Was war vorher?

      Ein Mal in diesem Vorher hatte Louis bei einer Dinner Party eine Geschichte nacherzählt, die er im New Yorker gelesen hatte. Der Artikel war eine Enthüllungsgeschichte über russische Gefängnisse in der sogenannten »Schwarzen Zone«, einem gesetzlosen Bereich der Strafanstalt, in der es wenig Überwachung von oben gab und die Gefangenen sich im Grunde genommen selbst regierten. In der Schwarzen Zone hatten sich strenge Sitten entwickelt, die Neuankömmlinge lernen mussten, wenn sie nicht abgestochen werden wollten. Die meisten Verhaltensregeln waren ursprünglich aus praktischen Gründen geschaffen worden, mittlerweile hatten sie sich aber zu willkürlichen Gesetzen verkehrt, deren einzige Funktion darin bestand, ein Gefühl von sozialem Zusammenhalt durchzusetzen. Zum Beispiel galt eines der größten Tabus dem Wegschmeißen von verschimmelten Brotresten. In den frühen Jahren der Schwarzen Zone, in denen Nahrungsknappheit geherrscht hatte, war es notwendig gewesen, jeden Krümel zu bewahren. Heutzutage versorgte ein florierender Schwarzmarkt die Insassen mit Champagner und Kaviar – und doch blieb das Tabu, Brot zu verschwenden, bestehen. Wer vergammeltes Essen wegschmiss, gab sich als Außenseiter zu erkennen, als jemand, der sich der Geschichte von Mangel und Entbehrung nicht bewusst war, aus der heraus sich die Regeln entwickelt hatten. In Hinsicht auf Brot, erklärte Louis, war die Kultur der Schwarzen Zone eine Kultur der Zugehörigkeit durch Wertschätzung.

      So ähnlich verhielt es sich auch in Anjas und Louis’ sechs Haushalte umfassender Ökosiedlung, oder Ökokolonie, oder Kolonoskopie, einem Sortiment experimenteller Architektur, angehäuft in etwa tausend Meter Höhe am Hang von The Berg. Das Zero-Waste-Prinzip, nach dem alle Bewohner und Bewohnerinnen selbst für das interne Ökosystem und Mikroklima ihrer Häuser verantwortlich waren, wurde eher durch den internalisierten Druck imaginierter Regeln in Kraft gesetzt als durch tatsächliche Überwachung von Fin-Start Corp. Die winzigen roten Lichter der Kameras, die in jedem Zimmer

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